Zum Tod von Papst Franziskus

Am Ostermontag Vormittag ging die Eilmeldung um die Welt: „Papst Franziskus ist um 7:35 h im Alter von 88 Jahren verstorben.“ Noch am Vortag – dem Ostersonntag – zeigte er sich ein letztes Mal der Öffentlichkeit auf dem Petersplatz in Rom und weltweit über die Bildschirme, als er zu Mittag mit kaum vernehmbarer Stimme den Segen „Orbi et Orbi“ spendete. Seine Osterbotschaft wurde von seinem Zeremonienmeister verlesen. Es war der letzte öffentliche Auftritt von Franziskus, womit seine letzten Worte auch einen testamentarischen Charakter tragen:

„Es kann keinen Frieden geben ohne echte Abrüstung! Der Anspruch eines jeden Volkes, für seine eigene Verteidigung zu sorgen, darf nicht zu einem allgemeinen Wettrüsten führen. Das Osterlicht spornt uns an, die Schranken zu überwinden, die Spaltungen hervorrufen und eine Vielzahl an politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen nach sich ziehen. Es spornt uns an, füreinander zu sorgen, die gegenseitige Solidarität zu stärken und uns für eine ganzheitliche Entwicklung aller Menschen einzusetzen. […] Ich appelliere an alle, die in der Welt politische Verantwortung tragen, nicht der Logik der Angst nachzugeben, die verschlossen macht, sondern die verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um den Bedürftigen zu helfen, den Hunger zu bekämpfen und Initiativen zu fördern, die die Entwicklung vorantreiben. Die ‚Waffen‘ des Friedens sind diejenigen, die Zukunft schaffen, anstatt Tod zu säen!“

19 Stunden später war der Papst tot. Und weltweit meldeten sich jene öffentlich zu Wort, an die sein letzter Appell gerichtet war. Doch die Reaktionen, die zwar voll der Bewunderung für den Verstorbenen waren, zeigten leider auch, dass die päpstlichen Appelle – wie schon in den vergangenen Jahren – auf taube Ohren gestoßen sind. Auch beim Begräbnis versammelte sich die politische Weltelite und trauerte um jenen Mann, dessen Worte sie zu seinen Lebzeiten bestenfalls ignoriert bzw. ihnen sogar zuwidergehandelt haben.

Argentinien

Jorge Mario Bergoglio wurde am 17. Dezember 1936 als Sohn italienischer Einwanderer (der Vater war Eisenbahnarbeiter) in Buenos Aires geboren. Er wuchs zweisprachig und als Doppelstaatsbürger auf, so dass er zwar der erste lateinamerikanische Papst war, aber kein nicht-italienischer. Bergoglio absolvierte nach seiner Schulzeit ein Diplomstudium in Chemietechnik. 1959 trat er in den Jesuitenorden ein, wurde 1969 zum Priester geweiht und wurde bereits vier Jahre später (im Alter von nur 37 Jahren!) Provinzial seines Ordens für Argentinien. In diese Zeit fielen auch die Jahre der Militärdiktatur (1976 – 1983), in denen er zwar kein Widerstandskämpfer war, aber – im Unterschied zur Mehrheit der argentinischen Bischöfe auch kein Unterstützer der Generäle (auch wenn das in einigen Nachrufen behauptet wird). Und immerhin hat er auch vie­len politisch Verfolgten geholfen. Anschließend (1980 – 1986) war er Rektor der Theologischen Hochschule der Jesuiten in Buenos Aires. 1992 wurde Bergoglio Weihbischof, 1998 Erzbischof von Buenos Aires und 2001 zum Kardinal ernannt. 2005 wurde er zum Vorsitzenden der argentinischen Bischofskonferenz gewählt.

Seine Popularität als Bischof verdankte Bergoglio vor allem seinem einfachen Lebensstil und seiner glaubwürdigen Solidarität mit den Armen. So wohnte er nicht im Bischofspalast, sondern in einer normalen Wohnung und fuhr mit der U-Bahn. Und er prangerte bei einer lateinamerikanischen Bischofsversammlung die „ungleiche Verteilung der Güter“ als „soziale Sünde“ an.

Eine arme Kirche für die Armen

Am 13. 3. 2013 wurde Kardinal Bergoglio – nach dem überraschenden Rücktritt von Papst Benedikt XVI. zum 266. Bischof von Rom und damit zum Oberhaupt der weltweiten katholischen Kirche gewählt. Zur großen Überraschung wählte er einen Papstnamen, den es noch nie gegeben hat: Franziskus. Franz von Assisi sollte auch das Programm des Pontifikats sein: „Für mich ist er der Mann der Armut, der Mann des Friedens, der Mann, der die Schöpfung liebt und beschützt.“ Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt hat der Papst bekräftigt: „Wie sehr wünsche ich mir eine Kirche, die arm ist und für die Armen da ist!“ Er wolle an die Ränder, an die Peripherie gehen – geographisch und sozial.

Seine erste Reise als Papst führte ihn im Juli 2013 nach Lampedusa, um auf das Schicksal der Bootsflüchtlinge aufmerksam zu machen. Das Sterben im Mittelmeer nannte er einen „stummen, aber ohrenbetäubenden Schrei, der uns nicht gleichgültig lassen darf“. Und er prangerte die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ angesichts der humanitären Katastrophe an. Mitte April 2016 traf sich Franziskus mit dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartholomaios, im Flüchtlingslager Moría auf der griechischen Insel zu einem Solidaritätsbesuch für die dort untergebrachten Flüchtlinge. Auf dem Rückflug nahm der Papst 3 muslimische Flüchtlingsfamilien aus Syrien und Afghanistan mit in den Vatikan. Mehr als 5 Jahre später, Anfang Dezember 2021 besuchte der Papst noch einmal Lesbos und sagte, dass das Mittelmeer, die „Wiege zahlreicher Zivilisationen“, zum „kalten Friedhof ohne Grabsteine” und einem „Spiegel des Todes“ werde und fügte hinzu: „Ich bitte euch, lasst uns diesen Schiffbruch der Zivilisation stoppen“. Anlässlich des Welttags der Migranten und Flüchtlinge 2018 betonte der Papst, dass die gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingskrise „durch vier Verben ausgedrückt werden kann: aufnehmen, schützen, fördern und integrieren.“

Rettung der Schöpfung

Ein zentrales Anliegen von Franziskus bestand darin, den „Schrei der Armen“ mit dem „Schrei der Schöpfung“ zu verbinden, also die soziale Frage mit der Umwelt- und Klimakrise. Das brachte er in seiner viel beachteten Enzyklika „Laudato Sí. Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ zum Ausdruck, die er am Vorabend der UNO-Klimakonferenz in Paris (COP21) im Juni 2015 veröffentlichte und in der er sich für eine ganzheitliche Ökologie aussprach („alles ist miteinander verbunden“). 7 Jahre später, am Vorabend der COP28 in Dubai, veröffentlichte er das Apostolische Schreiben „Laudate Deum“, in dem er zu einem konsequenten Handeln in der Klimakrise aufrief und sich gegen die Leugnung des Klimawandels wandte. In einer weiteren Enzyklika, „Fratelli tutti“ über Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft sprach der Papst angesichts der weitverbreiteten Zerstörung der Ökosysteme die eindringliche Warnung aus: „Wir sitzen im selben Boot: Entweder retten wir uns alle gemeinsam, oder niemand wird gerettet“.

Diese Wirtschaft tötet!

Die soziale Frage sowie die Umwelt- und Klimaproblematik sind für ihn eng mit der Frage einer gerechten Wirtschaft verknüpft. In seinem ersten Apostolischen Lehrschreiben „Evangelii Gaudium. Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute“ vom 13. 11. 2013 formulierte es Franziskus drastisch: „Diese Wirtschaft tötet“.

Alles spiele sich nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und dem Gesetz des Stärkeren ab. Die Ausgeschlossenen aber „sind nicht ‚Ausgebeutete‘, sondern Müll, ‚Abfall‘“. Alles Schwache „ist wehrlos gegenüber den Regeln eines vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden.“ Franziskus zitiert den Kirchenvater Chrysostomos: „Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen, bedeutet, diese zu bestehlen und ihnen das Leben zu entziehen.“

Frieden schaffen ohne Waffen

Für Papst Franziskus gibt es auch eine enge Verbindung zwischen Wirtschaft und Frieden. In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Jänner 2020 formulierte er: „Es wird nie einen wahren Frieden geben, wenn wir nicht in der Lage sind, ein gerechteres Wirtschaftssystem aufzubauen.” Und in der Weihnachtsbotschaft 2023 bezeichnete er die Waffenindustrie als den „Drahtzieher des Krieges“ und ergänzte: „Um aber ‚Nein‘ zum Krieg zu sagen, muss man ‚Nein‘ zu den Waffen sagen … Wie kann man von Frieden sprechen, wenn Produktion, Verkauf und Handel von Waffen zunehmen?“ Am 28. Juli 2024 sagte der Papst beim Angelus-Gebet auf dem Petersplatz: „Während so viele Menschen auf der Welt unter Katastrophen und Hunger leiden, werden weiterhin Waffen gebaut und verkauft und Ressourcen verbrannt, die große und kleine Kriege anheizen. Das ist ein Skandal, den die internationale Gemeinschaft nicht dulden darf.“

Ukraine

Papst Franziskus setzte sich konsequenterweise überall für einen Waffenstillstand ein – sei es in der Ukraine oder in Gaza. Auch wenn ihm das oft als „Naivität“ ausgelegt wurde, für ihn konnten Kriege keine Lösung von Konflikten bringen, sondern diese nur verschärfen. Bezüglich Ukraine hat der Papst einen Vermittlungsversuch durch Entsendung eines päpstlichen Sondergesandten (Kardinal Matteo Zuppi) unternommen, der aber – außer einem Gefangenenaustausch – kein Ergebnis gebracht hat. Auf Kritik im Westen und in der Ukraine ist der Papst vor allem durch ein Interview mit den europäischen Kulturzeitschriften der Jesuiten vom 14. 6. 2022 gestoßen. Er verurteilte dort zwar den russischen Angriffskrieg, meinte aber, man müsse sich „von dem üblichen Schema des ‚Rotkäppchens‘ lösen: Rotkäppchen war gut und der Wolf war der Bösewicht. Hier gibt es keine metaphysisch Guten und Bösen auf abstrakte Art und Weise“. Franziskus zitierte einen nicht genannten Staatschef, der ihm einige Monate vor dem russischen Angriff vom 24. 2. 2022 seine Besorgnis über die Entwicklung der NATO mitgeteilt habe: „Sie bellen vor den Toren Russlands. Und sie verstehen nicht, dass die Russen imperial sind und keiner fremden Macht erlauben, sich ihnen zu nähern… Die Situation könnte zu einem Krieg führen“. Auf den Einwand, ob er damit nicht für Putin sei, antwortete der Papst: „Nein, das bin ich nicht … Ich bin einfach dagegen, die Komplexität auf die Unterscheidung zwischen Gut und Böse zu reduzieren, ohne über die Wurzeln und Interessen nachzudenken, die sehr komplex sind.“

Gaza

Bezüglich Gaza hat der Papst wiederholt das Massaker der Hamas vom 7. 10. 2023 verurteilt, die Freilassung der Geiseln gefordert und sich klar gegen den Antisemitismus ausgesprochen. Zugleich hat er aber auch immer auf das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung hingewiesen und die israelische Kriegsführung kritisiert. Außerdem hat er fast jeden Abend per Videoschaltung mit dem katholischen Pfarrer von Gaza, dem argentinischen Priester Gabriel Romanelli, und seiner Gemeinde telefoniert. Kurz vor Weihnachten 2024 sagte der Papst: „Mit Schmerz denke ich an Gaza, an so viel Grausamkeit; an die Kinder, die mit Maschinengewehren beschossen werden, an die Bombardierung von Schulen und Krankenhäusern“. In Israel wurde der der Papst wegen seiner Kritik am Gaza-Krieg nicht nur von Medien, sondern auch von Regierungspolitikern als „Antisemit“ bezeichnet. Das führte auch dazu, dass die israelische Regierung zum Tod von Papst Franziskus nicht einmal kondolierte. Israels Außenministerium ging sogar so weit, bereits gepostete Stellungnahmen einiger Botschaften in den sozialen Medien, die Botschaften wie „Ruhe in Frieden, Papst Franziskus“ enthielten, wieder löschen zu lassen.

Religionen und Frieden

Gerade im Zusammenhang mit dem Thema Krieg und Frieden muss auch auf das interreligiöse Engagement von Papst Franziskus hingewiesen werden. Für ihn war der Frieden zwischen den Religionen und die Zusammenarbeit der Religionen als Friedensstifter ein zentraler Beitrag zum Weltfrieden: „Die Religionen sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung ,im Geist der Geschwisterlichkeit‘“, sagte er am 14. September 2022 beim „Weltkongress der Religionen“ in Kasachstan. Und am 18. Oktober 2017 betonte er im Vatikan vor einer Delegation der „Weltkonferenz der Religionen für den Frieden“: „Die Religionen sind naturgemäß dazu bestimmt, Frieden, Gerechtigkeit, Brüderlichkeit, Entwaffnung sowie den Schutz der Schöpfung zu fördern”.

Eine besondere Bedeutung kam dem „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ zu, das der Papst am 4. Februar 2019 gemeinsam mit dem Großimam Achmed al-Tayyeb in Abu Dhabi unterschrieb. Es war der erste Besuch des Papstes auf der arabischen Halbinsel – genau 800 Jahre nachdem Franz von Assisi in Ägypten den Sultan al-Malik al-Kamil traf, was für den Papst die Geburtsstunde des christlich-muslimischen Dialogs war. In der Erklärung von Abu Dhabi bekräftigen das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und der Scheich der al-Azhar-Moschee als wichtigster sunnitischer Islamgelehrter, dass „Religionen niemals Grund für Krieg, Hass, Feindseligkeit und Extremismus sein dürfen und auch nicht zu Gewalt oder Blutvergießen führen können.“ Und sie erklären, dass „Freiheit ein Recht jedes Menschen ist: Jeder genießt die Freiheit des Glaubens, Denkens, Ausdrucks und Handelns. Der Pluralismus und die Vielfalt der Religionen, Hautfarben, Geschlechter, Rassen und Sprachen sind von Gott in Seiner Weisheit gewollt.“

Wie geht es weiter?

Papst Franziskus hat in seinem 12jährigen Pontifikat nicht nur in seiner Kirche viel bewegt, er hat darüber hinaus Anerkennung von anderen Religionsgemeinschaften und der säkularen Welt gewonnen, weil er immer das Gemeinsame vor das Trennende gestellt hat. Bei einer Begegnung mit Mitgliedern von Dialop (Transversaler Dialog zwischen Christen und Marxisten) im Vatikan im Jänner 2024 betonte er die wahre Bedeutung von Solidarität: „Solidarität ist nicht nur eine moralische Tugend, sondern auch ein Erfordernis der Gerechtigkeit, die eine Korrektur der Verzerrungen und eine Läuterung der Absichten ungerechter Systeme erfordert, nicht zuletzt einen Perspektivenwechsel bei der Aufteilung der Herausforderungen und Ressourcen unter den Einzelnen und zwischen den Völkern.“

Wer immer Papst Franziskus nachfolgen wird, er wird das Rad der Geschichte wohl nicht zurückdrehen können – und da genau 80 Prozent der wahlberechtigten Kardinäle von ihm ernannt worden sind, wohl auch nicht wollen. Allerdings ist zu befürchten, dass der Druck der Konservativen von innen, aber auch der politische Druck von außen dazu führen wird, dass der neue Papst weniger mutig und visionär auftreten wird, wobei gar nicht entscheidend ist, aus welcher Weltgegend er kommt.

Adalbert Krims lebt seit 1970 als Journalist in Wien. 1991 bis zu seiner Pensionierung 2011 war er Redakteur beim ORF (bis 2003 Radio Österreich International, dann Religion/Hörfunk). Er ist Herausgeber der Zeitschrift „Kritisches Christentum“ und u. a. Autor von „Karol Wojtyla – Papst und Politiker (Köln 1983 und 1986), das in Übersetzungen auch in den Niederlanden, Mexiko und Kolumbien erschienen ist. Diesen Beitrag verfasste er für die österreichische “Volksstimme”; hier erscheint er mit seiner freundlichen Genehmigung.

Über Adalbert Krims, Wien:

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