Hegemoniale Strategien und Kaninchen aus dem Hut – Über die USA und ihre Kriege, langfristig geplant, propagandistisch aufgezäumt und über Realitätsverluste
„So funktioniert die Welt nicht mehr … Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Realität. Und während Ihr diese Realität studiert – mit Bedacht, wie Ihr wollt – werden wir wieder handeln und andere neue Realitäten schaffen, die Ihr ebenfalls studieren könnt, und so werden sich die Dinge klären. Wir sind die Akteure der Geschichte … und Euch, allen von Euch bleibt nichts anderes mehr übrig als zu studieren, was wir tun.“
Diese Äußerungen eines Beraters des Weißen Hauses dokumentierte der US-Journalist Ron Suskind in seinem Artikel über die Präsidentschaft von G.W. Bush jr. im Jahr 2004. Suskind betrachtete diese Präsidentschaft als „glaubensbasiert“. Sie setze auf Gefolgschaft. Sich selbst rechnete er zu den Erben der Aufklärung. Als ein Hauptmerkmal der „glaubensbasierten“ Präsidentschaft notierte Suskind damals:
„…Ein offener, auf Fakten basierender Dialog wird nicht als etwas angesehen, was von eigenem Wert ist. Dieser Dialog könnte womöglich Zweifel hervorrufen, was den Glauben untergräbt. Er könnte zu einem Verlust des Vertrauens in den Entscheidungsträger und, was ebenso wichtig ist, beim Entscheidungsträger führen.“
(…“open dialogue, based on facts, is not seen as something of inherent value. It may, in fact, create doubt, which undercuts faith. It could result in a loss of confidence in the decision-maker and, just as important, by the decision-maker.“)
Realitätsverlust eines Hegemons
Niemand beschrieb so klar wie Suskind, wie der schleichende Übergang in den politischen Realitätsverlust erfolgt. Die Dimension dessen, was Suskind im Weißen Haus gehört hatte, ging allerdings – anders als Suskind das damals auffasste – weit über einen US-Präsidenten hinaus: Es ging um das Selbstverständnis der USA als globaler Hegemon. Während ein Häuflein unangepasster aufklärerischer Geister in der Realität herumwühlt und Fakten analysiert, ist der Hegemon immer schon einen Schritt weiter.
Daran dachte ich, als Piers Morgan (Uncensored) ein Gespräch zwischen General Wesley Clark, einstiger Nato-Oberkommandeur in Europa, und Scott Horton im Dezember 2024 moderierte. Es ging um Syrien, Putin und die mögliche Strategie von Trump im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. Wesley Clark wurde, und Morgan spielte den passenden Clip dazu ein, wegen seines Gesprächs 2007 mit Democracy Now bekannt. (ab Min 12:00) Damals enthüllte er, dass das Pentagon nur wenige Wochen nach dem Anschlag des 11. September 2001 beschloss, gegen sieben Staaten Krieg zu führen. Innerhalb von fünf Jahren.
Scott Horton wiederum schrieb zuletzt ein atemberaubendes Buch („Provoked“ – Provoziert) zu den Wurzeln des Krieges in der Ukraine, in dem er die US-Politik seit 1990 akribisch und kritisch unter die Lupe nahm. Die Positionen beider Gesprächspartner waren in vielem grundverschieden, aber ihr Gespräch blieb, auch dank der Gesprächsführung von Piers Morgan, respektvoll.
Bei Piers Morgan stellte sich heraus, dass Wesley Clark 2007 nicht alles gesagt hatte, was er über die US-Kriegsplanungen gegen sieben Länder wusste. Nunmehr erklärte Clark, dass er darüber schon im Mai 1991 mit dem damaligen stellvertretenden US-Verteidigungsminister Wolfowitz gesprochen habe. Dieser habe ihm gesagt, den USA blieben 5 bis 10 Jahre, um all die „soviet surrogats“ (Anm.: mit der Sowjetunion befreundete, von ihr unterstützte oder als Stellvertreter benutzte Länder) in der Peripherie Israels auszuschalten, denn irgendwann käme womöglich ein nächster Hegemon daher und könnte die US-Pläne zunichte machen. (Ab Min 13:50 ff.) Welches Land ein neuer drohender Hegemon sein könnte, da habe sich Wolfowitz, so Clark, nicht festlegen wollen. Nach der Wahl von Clinton 1994 habe keiner im Pentagon von der Wolfowitz-Idee gewusst. Diese sei erst durch eine von Israel finanzierten Studie 1996 wiederbelebt worden.
Also ging es schon 1991 darum, ohne internationale Gegenwehr „soviet surrogats“ auszuschalten und gleichzeitig im Umkreis von Israel für eine „Neuordnung“ zu sorgen: Daher standen der Irak, Syrien, Libyen und auch der Iran auf der Liste der sieben militärischen Ziele. Aber man muss Fragezeichen bei der neuen Aussage von Clark setzen. Glaubte Wolfowitz 1991 tatsächlich, innerhalb von 5 bis 10 Jahren würden die USA als einzig verbliebene Supermacht herausgefordert werden? Im Jahr 1992 war Wolfowitz definitiv der Auffassung, dass die USA alles unternehmen müssen, um jeden möglichen Rivalen frühzeitig auszuschalten. Zuerst enthüllte das die New York Times. Damals stieß dessen Idee noch auf Gegenwehr.
“Gutes Militär und die Fähigkeit, Regierungen zu stürzen”
Im National Security Archive ist ein US-Geheimdokument zu finden, das die Planungsschritte für die Strategie des Pentagon 1994-1998 betrifft. Es muss im Jahr 1989 geschrieben worden sein, denn der Herbst 1989 ist als erster Meilenstein festgehalten. Zweitens wurde bereits in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA 1994 verankert, dass die USA „wenn nötig“ militärisch, notfalls auch allein und auch ohne UN-Mandat, handeln werden. Nur ein äußerst selbstbewusster, sich seiner politischen und militärischen Stärke gewisser Hegemon kann so auftreten. Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt kein Staat in Sicht, der die USA in die Schranken weisen wollte bzw. die Fähigkeiten dazu hatte, ihr Grenzen zu setzen.
2001, und das sprach Clark 2007 bei Democracy Now deutlich aus, war im Pentagon die Überzeugung verfestigt, dass man ein „gutes Militär habe und die Fähigkeit, Regierungen zu stürzen“.
Doch wie wurde diese Kriegsführungsstrategie der Öffentlichkeit verkauft? Man könnte das Vorgehen als „Kaninchen aus dem Hut zaubern“ beschreiben. Strategisch ist das Kaninchen längst unter dem Tisch platziert. Im passenden Augenblick wird es dann -Simsalabim- plötzlich aus dem Hut gezogen: Im Irak gab es angeblich Massenvernichtungswaffen. Saddam habe mit Al Qaida paktiert. In Syrien ging es angeblich darum, die Syrer vom brutalen Diktator Assad zu erlösen, obwohl die US-Regierung wusste, dass Al Qaida hinter dem Aufstand gegen Assad stand. In Libyen ging es angeblich um die Rettung des libyschen Volkes vor einem anderen „Schlächter“, in dem Fall Gadaffi. So werden „Realitäten“ konstruiert. So wird dem neokonservativen Hegemonialanspruch zur Geltung verholfen.
Das einzige Land, das auf dem US-Kriegsplan 1991/2001 stand, das nicht „abgearbeitet“ wurde, ist der Iran.
Propagandistisch werden diese geopolitischen Pläne regelmäßig als gut und edel verkauft, als notwendig zur „Demokratisierung“ aller. Immer geht es um „Achsen des Bösen“, die niedergerungen werden müssen, damit die Welt zu einem besseren Ort wird. Tatsächlich wurde die Welt nicht einen Deut besser, sondern sehr viel schlimmer. Jede neue Runde imperialer Politik führt zum bekannten Kreislauf: Immer gibt es einen neuen Feind, dem das Handwerk gelegt werden muss. Propagandistisch sind die USA und ihre Alliierten das einzig verlässlich Gute in der Welt.
Propaganda und Realität fallen immer mehr auseinander.
Aber, und das muss man den imperialen Meinungsmachern neidlos lassen – diese Realitätsflucht funktioniert nach wie vor recht gut: Wenn die Fakten auf den Tisch kommen, hat sich die westliche Strategie, wie man die weltpolitische Nummer Eins bleibt, längst weitergedreht. Die Version 8.0 (Russland) 9.0 (China) oder 10.0 (Iran) des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, den die Demokraten dieser Welt führen müssen, ist mit genügend Halb- und Unwahrheiten in vielen Köpfen nach wie vor hoch präsent.
Der entscheidende Unterschied zwischen 2004 und heute besteht darin, dass die Meinungshoheit des Westens nur noch auf den Westen begrenzt ist. Der „Rest“ der Welt ist längst aufgewacht. Man kann nicht oft genug wiederholen, was Ramesh Thakur (2003 stellvertretender UN-Generalsekretär) bereits 2014 dem Westen ins Stammbuch schrieb:
„Aus der Perspektive der BRICS ist die Hybris und Arroganz der politischen Entscheidungsträger im US-geführten Westen so atemberaubend, dass es kaum zu glauben ist. Es ist so, als hätten sie die Fähigkeit verloren, zu erkennen, wie andere sie sehen. Oder es ist ihnen einfach egal.“ (Münchner Sicherheitskonferenz 2015, Bericht, S. 22)
Aber auch im Westen verfängt nicht mehr alles so gut wie einst. Das wird gemeinhin allein russischer Propaganda bzw. Extremisten oder Demokratiefeinden angelastet. Im besten Fall sind es „hochumstrittene“ Personen, die alles ganz verdreht sehen und dadurch de facto mit dem Gegner paktieren. Die Vorstellung, dass am Ende immer die Realität gewinnt, wie sehr man sie auch verleugnen möchte oder mit Fiktionen zu verkleistern sucht, hat in diesem Konzept keinen Platz.
Selbstverständlich kann man sich gegen den unvermeidlichen Einbruch von Realität wehren, ganz so wie das Suskind 2004 beschrieb: Man vermeide den Dialog, Rede und Gegenrede, verlange blinde Gefolgschaft und ignoriere die Fakten, die einem nicht in dem Kram passen. Hinzuzufügen ist, dass die Verbreitung von Angst und Schrecken probate Manipulationsinstrumente sind. „Denn Menschen, die Angst haben, sind zu fast allem bereit, und sie hören auf den, der verspricht, sie zu retten.“ (Steve Cavanagh, Seven Days, Goldmann, S. 163)
Die wenigsten Imperien der Welt sind friedlich abgetreten
Wenn man dann noch in Rechnung stellt, wie sehr der Verlust der globalen Führungsrolle die USA und die mit ihr verbündeten Staaten schreckt und ängstigt, wird eine Quelle des dramatischen Realitätsverlustes im Westen nur zu deutlich. (Es lohnt sich, unter diesem Aspekt die Diskussion zum Ukraine-Krieg bei Piers Morgan nachzuhören.) Darüber hinaus wird erklärlicher, warum unter solchen Bedingungen auch politische Anführer, die ihren schwindenden Einfluss spüren, zu fast allem bereit sind. So beschleunigt sich der Niedergang des Westens, der einst die Regeln bestimmte, nach denen die ganze Welt zu tanzen hatte. Aber gleichzeitig wächst so auch die Gefahr, dass dieser zwangsläufige Niedergang alles und jeden verschlingt.
Geschichtlich betrachtet sind die wenigsten Imperien der Welt friedlich abgetreten. Im Atomzeitalter wäre ein kriegerischer Abtritt das Ende von allem. Das macht die Aufgabe, eine internationale Ordnung zu schaffen, die der Demilitarisierung Priorität einräumt und Dialog- und Konfliktlösungsstrategien bietet, so dringlich, aber auch so schwer.
Denn das, was der Westen am besten zu können glaubt, reduziert sich aktuell auf die Ankläger-, Richter- und Vollstreckerperson in Personalunion. Der Finger wird auf „die anderen“, sprich die “Bösen” gezeigt, denen militärische Stärke demonstriert werden muss (darunter in Deutschland „kriegstüchtig“ werden). Der neuen „Achse des Bösen“ muss man drohen und noch mehr drohen. Sie muss man strafen und noch mehr strafen. Vom „Rest der Welt“ hofft man, dass der sich gefälligst besser informiert, also die westlichen Narrative schluckt und im Gleichklang mit marschiert.
Dass nichts davon funktioniert, fällt im „Luftreich des Traums“ (Heine) nicht weiter auf.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung.
Wie tröstlich, dass es wache Zeitgenossinnen wie Petra Erler gibt. Wie verdienstvoll, dass aufmerksame Blogs wie der Beueler Extradienst uns solche journalistischen Spitzenprodukte frei Haus liefern. Und was für eine Schande, dass der Großteil der bundesdeutschen Journaille nicht willens und nicht in der Lage ist, uns mit einem Mindestmaß an Information über „unsere amerikanischen Freunde“ zu unterrichten.
nur als Ergänzung für die “Ungläubigen” hier ein paar Zusatzinfos. Ich habe keine Ahnung was diese Leute (CIA el.al.) dazu bringt so aus dem Nähkästchen zu plaudern und schwanke zwischen Fake/Ungläubigkeit/Überheblichkeit oder schlicht weg “Leckt mich doch alle am A….., wir sind Unverwundbar”.
Letztendlich ist es aber egal welche Zuschreibung man nimmt, dort drüben ist ein so verrottetes Personal an den Hebeln und bin immer wieder perplex, wie viele Zeit Genossen das nicht sehen wollen.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=133363
https://www.youtube.com/watch?v=fHJJDOHV9dc