An dieser Stelle und anderswo habe ich mich immer wieder kritisch mit den (a)sozialen Internetmedien auseinandergesetzt. Sie sind meines Erachtens asozial, weil sie genau das Gegenteil dessen sind, was der Bundesrepublik Deutschland 1949 von den Alliierten geschenkt, zum Teil auch verordnet worden ist: guter, informativer, kritischer Journalismus. Rechtsgrundlagen sind seither der Medienstaatsvertrag zwischen Bund und Ländern und das Presserecht. Die “vierte Gewalt” als konstitutiver Teil der Demokratie leitet sich nur indirekt aus dem Grundgesetz ab, aber sie hat gleichwohl Verfassungrang.
Dieses Prinzip, das in “X”, TikTok, Facebook, Instagram, Youtube überhaupt nicht gilt: hier kann jede/r den größten Unsinn oder schlimmeres posten. Und diese Plattformen machen etwas ganz entscheidendes. Weil der Kapitalismus personalisierte Werbung geil findet und diese Plattformen die Gewohnheiten ihrer User so genau kennen, dass sie vom Alter über Geschlecht, sexuelle Orientierung, Interessen, Konsumverhalten bis zu politischen Einstellung und Ängsten nahezu alles wissen, nehmen sie den wirtschaftlich orientierten Printmedien die Werbegelder weg und entziehen ihnen die Existenzgrundlage. So bleibt für qualifizierten und fachkundigen Journalismus keine Zeit und kein Geld mehr.
Konventionelle Medien immer schlechter?
Im Rahmen meiner Hospitanz beim “Schwäbischen Tagblatt” in Tübingen habe ich 1983 gelernt: dokumentiere Deine Quellen und Zitate, schreibe nicht über Dir nicht bekannte, neue Sachverhalte, für die Du keine zweite Quelle hast. Mein Lehrer war damals der Stv. Vorsitzende der Deutschen Journalisten Union Baden-Württemberg. Diese Zeit des Journalismus ist wohl vorbei. Ein schlagendes Beispiel hierfür ist der Artikel der “Westdeutschen Allgemeinen” (WAZ) – einst Flagschiff der Ruhrgebietspresse, heute nur noch trauriger Abklatsch einer einst stolzen Informations- und Meinungsmacherzunft. Unter der Aufmerksamkeit heischenden Überschrift “Eine Million Reservisten ‘verloren’: Panne bei der Bundeswehr” schreibt Jonas Stein, immerhin Berlin-Korrespondent der WAZ, irgendetwas von Millionen Daten über Reservisten, die angeblich verloren gegangen sind.
Stein zitiert hierzu den Vorsitzenden des “Revervistenverbands” ehemaliger Bundeswehrsoldaten, einem privaten e.V. und Lobbyverband in Bonn, nicht zu verwechseln mit dem Bundeswehrverband in Berlin, auch ein e.V., die aber immerhin auch in Tariffragen von der Regierung angehörter Interessenvertretung aktiver und ehemaliger Bundeswehrangehöriger sind.
Der Vorsitzende der ersteren Lobbygruppe, ein CDU-Bundestagsabgeordneter namens Patrick Sensburg, den kaum jemand kennt, der aber offensichtlich mit der “Financial Times” telefoniert hat, bei der man diesen feinen Unterschied garantiert nicht kennt, fabuliert, der Bundeswehr fehlten die Daten von “Einer Million Reservisten”, die man nun im Verteidigungsfall nicht mehr finde und schuld sei: der Datenschutz – wer hätte das gedacht! Denn, so Sensburg, die Daten seien nach Aussetzung der Wehrpflicht 2011 einfach nicht mehr erhoben worden. “Wir haben ihre Kontaktdaten verloren” und der verblüffend einfache Grund “zu strenger Datenschutz”.
Der Mann tut so, als kenne er sich aus, und der Journalist auch. Wer “wir” ist – die Bundeswehr selbst, oder der Verband wird bei alldem nicht klar. Und interssant, wie einfach man heute einem Berliner Journalisten ein X für ein U vormachen kann, offensichtliche Schlamperei als “zu strengen Datenschutz” zu verkaufen. Warum ich darüber überhaupt schreibe? Weil Datenschutz nicht die Daten, sondern die Bürgerrechte von uns allen schützt. Und weil dieselbe Ignoranz und Inkompetenz dazu geführt hat, dass die CDU/CSU/SPD-Koalition die DSGVO laut Koalitionsvertrag “überprüfen” oder “weiterentwickeln” will und der Datenschutz unter dem Deckmäntelchen angeblichen “Bürokratieabbaus” in dieser Koalition ganz oben steht. Und das im Zeitalter der Gefährdung der Demokratie durch Internet-Oligarchen und Rechtsextremisten nebst russischer und chinesischer Trolle, Hacker und Propaganda!
Ich habe Herrn Stein deshalb geschrieben – vielleicht…
Sehr geehrter Herr Stein,
in ihrem Artikel geht einiges durcheinander, anderes ist schlichtweg falsch. Zum einen wird aus Ihrem Artikel nicht klar, wem denn nun die Reservistendaten fehlen: Der Bundeswehr oder dem Reservistenverband der Bundeswehr, einem e.V. Darüber hinaus ist die Aussage, das sei einem “strengen Datenschutz” geschuldet, blanker Unsinn. Egal wem die Daten fehlen, die offensichtlich einmal eine Stelle – Bundeswehrverwaltung oder Reservistenverband – hatte, ist das Schlamperei, aber hat überhaupt nichts mit “strengem Datenschutz” zu tun. Im Gegenteil: Die Datenschutzgrundverordnung DSGVO sieht in Artikel 32 die “Datenintegrität” vor, für die jede speichernde Stelle verantwortlich ist. Wären die Reservistendaten dem Reservistenverband verloren gegangen, läge ein Verstoß gegen Art. 32 DSGVO vor, der der Aufsichtsbehörde, in diesem Fall der Datenschutzbeauftragten NRW, innerhalb von 72 Stunden nach der Entdeckung hätte gemeldet werden müssen. Bei einem Ausmaß von 1 Mio. Datensätzen würde ein saftiges, sechsstelliges Bußgeld fällig. Den Verband gehen im übrigen Daten über die Fitness oder Gesundheit von Reservisten überhaupt nichts an, das sind Medizindaten, die besonders geschützt sind.
Sollte jedoch die Bundeswehr selbst, für die die DSGVO gar nicht gilt, sondern die einschlägigen Vorschriften der Wehrgesetzgebung, die Daten verloren haben, ist das auch keine Frage des Datenschutzes, sondern reine Schlamperei, die politische Konsequenzen haben muss. Ein Grund, Pistorius und/oder zu Guttenberg zu befragen – und schon ein neuer Artikel für Sie!
Ich empfehle, künftig Sachverstand zu befragen, bevor Sie ungeprüft falsche Behauptungen eines Verbandsvorsitzenden übernehmen. Leider erlebe ich als betrieblicher DS-Beauftragter für den Mittelstand täglich, dass angeblich “der Datenschutz” an allem und jedem schuld sei, was bei genauem Hinsehen fast nie zutrifft. Außerdem schützt Datenschutz weder Daten, noch die Bürokratie, sondern die Grundrechte der Betroffenen und damit von uns allen.
Mit freundlichen Grüßen
@rolandappel
So ganz unbekannt ist mir der Patrick Sensburg nicht. Und wenn man seine Biographie durchschaut, dürfte manche Leute sich erinnnern.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Patrick_Sensburg
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@rolandappel
Aber Datenschutz ist doch eine so schöne Entschuldigung für meine Schlamperei !1!!
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#Reichweite wem #Reichweite gebührt
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@rolandappel
👏 mehr davon.
#TeamDatenschutz
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