Geheimdienst-Coups der Ukraine beschädigen die internationale Sicherheit
Der fehlgeleitete Jubel des Westens zur Operation “Spinnennetz”

Wie geschwächt sind Putins Atombomber durch die „Operation Spinnennetz“, fragte BILD im podcast. Der Kommentar eines Zuhörers gab die Stimmungslage wieder, die durch die westlichen Medien wabert: Ein Coup mit riesigem Potential! Die Ukraine habe Geschichte geschrieben, erklärte Oberst Reisner gegenüber NTV. Alles daran war „genial“, befand der Militärexperte Carlo Masala im FAZ-Podcast.

Einig waren sich anscheinend alle, dass den Russen ein „empfindlicher Schlag“ versetzt wurde, der Coup eine riesige Blamage für die russische Seite sei. Der ukrainische Präsident präsentierte sich hochzufrieden mit der Arbeit seines Geheimdienstes SBU. „Brillant“ nannte er sie. Carl Bildt, einst Außenminister und Ministerpräsident von Schweden, bezeichnete die Aktion auf X als „spektakulär“. Das sei eine „völlig neue Art der Kriegsführung“. Er vermutete, dass Putin wütend sei und Vergeltung üben werde. Aber der Schaden für Russland sei entstanden. Das war ein erneutes Beispiel dafür, dass es tatsächlich nicht interessiert, wie die Vergeltung für diesen „Coup“ gegenüber der Ukraine aussehen wird. Hauptsache es trifft die Russen.

Auf X erklärte Selenskyj aber noch mehr (eigene Übersetzung): „Europa verfügt gemeinsam mit Amerika über bessere Waffen als Russland. Wir verfügen auch über stärkere taktische Lösungen: unsere Operation Spinnennetz gestern hat das bewiesen. Russland muss spüren, was seine Verluste bedeuten. Das wird es zur Diplomatie drängen.“ Da sich Selenskyj unentwegt in die transatlantische Gemeinschaft hineinschreibt bzw. als deren Mitglied präsentiert, muss man sehr vorsichtig damit sein, eine solche Äußerung als Beleg dafür zu nehmen, dass die Ukraine diesen „Coup“ nicht allein plante. Aber es ist auch nicht auszuschließen.

Nachdem Theresa May im März 2018 im Zusammenhang mit dem „Skripal-Fall“ die „Plausibilität“ aufs hohe Ross gesetzt hatte, bestritten Präsident Trump und Premier Starmer vorsichtshalber umgehend, vorher von diesem Anschlag gewusst zu haben. Denn die Verdächtigung, dass die Ukraine nur die ausführende Hand war, ist plausibel.

Sowohl in der New York Times als auch in der Times war über das Ausmaß der US- bzw. der britischen Kontrolle über die ukrainische Kriegsführung geschrieben worden. Die USA haben danach praktisch das Oberkommando in der Ukraine, Großbritannien sei das „Gehirn“. Nachdem die New York Times bereits ausführlich über die enge Kooperation zwischen der CIA und dem ukrainischen Geheimdienst SBU berichtet hatte, fand sich im März 2025 dort (Paywall) auch die Aussage: “Finally, the military and then the C.I.A. received the green light to enable pinpoint strikes deep inside Russia itself.” Übersetzung: “Schließlich erhielten das Militär und dann die CIA grünes Licht für gezielte Angriffe tief im Inneren Russlands.”

Gut, dass gesprochen wurde

Daher ist es gut, dass Lawrow umgehend mit seinem US-Amtskollegen telefonierte. Was im einzelnen gesprochen wurde, ist unklar. Die Gesprächszusammenfassung beider Seiten blieb allgemein, die amerikanische war noch kürzer als die russische. Die zeitliche Nähe des „Coups“ zu den Verhandlungen liegt auf der Hand. Entscheidender sind die Ziele des Angriffs: die Atombomber Russlands.

Carl Bildt, der eine „neue Art der Kriegsführung“ ausmachte, kam dem schon sehr nahe. Tatsächlich griff dieser „Coup“ in die nukleare Positionierung Russlands bzw. in die nukleare Balance zwischen Russland und den USA ein. Man muss wissen, dass die attackierten russischen Bomber Gegenstand des START-Vertrags zwischen Russland und den USA sind. Dieser liegt aktuell auf Eis, aber beide Seiten halten sich erklärtermaßen an die Vereinbarungen, die Anfang 2026 auslaufen. Teil des Verifikationsmechanismus bei START ist, dass beide Seiten eine genaue Übersicht über die Stationierungsorte der Bomber der jeweils anderen Seite haben (und auch über deren nukleare Trägerlasten). Die Bomber sind individuell gekennzeichnet. Sie dürfen auch nicht versteckt werden.

Ist uns eigentlich klar, was das bedeutet?

Schon einmal wurden durch die Ukraine russische Radaranlagen, die der strategischen Frühwarnung dienen, angegriffen. Nun folgten Angriffe auf Atom-Bomber. Im Grundsatz ist es daher auch völlig unerheblich, wieviele beschädigt wurden. Die Ukraine überschritt ganz klar eine Grenze, weil sie sich nicht um die ohnehin schon brüchige Sicherheitsarchitektur zwischen den USA und Russland schert. Das ist nicht „genial“.

Das ist ein völlig verantwortungsloses Spiel mit nuklearem Feuer.

Es kann den letzten Rest an Vertrauen, das noch da ist, zerstören. Das hat nicht nur Einfluss auf die Verhandlungen um ein Kriegsende in der Ukraine. Wenn der START-Vertrag 2026 nicht erneuert wird, wird die nukleare Aufrüstung unbegrenzt erfolgen können. Das kann niemand wollen, der das Leben liebt und auf Zukunft baut.

Merkwürdigerweise, und darauf macht der Australier John Helmer, der aus Moskau kommentiert, aufmerksam, gab es bereits im April 2024 eine Diskussion auf X darüber, dass die ungetarnten strategischen Bomber Russlands ein gutes Ziel für ukrainische Drohnen darstellen würden. Es folgten enthusiastische Vorschläge, wie das bewerkstelligt werden könnte. Die offene Platzierung der russischen Bomber wurde als unverschämt empfunden. Glauben die Russen, das ginge so ungestraft?

Ich frage: In welche Lage kommen wir, wenn Moskau zum Schluss käme, dass es westliche Kräfte gibt, die den ukrainischen Stellvertreterkrieger nutzen, um die atomaren Luftstreitkräfte der russischen Seite substantiell zu schwächen? Nach der überarbeiteten Nukleardoktrin wäre das ein Einsatzfall.

Auch in Russland gibt es Falken. Dass Moskau von Anfang an den entstandenen Schaden klein redete, ist unter diesem Aspekt sogar zu begrüßen. Dass nun auch die Ukraine das Ausmaß des angerichteten Schadens drastisch nach unten korrigierte, zeigt, dass sie „gebeten“ wurde, diesen Vorfall nicht zu hoch zu hängen.

Die USA und Russland wissen, was passierte.

Man muss nur darüber nachdenken, dass inzwischen jeder explodierende Toaster in der EU als verdeckte geheimdienstliche Kriegsführung Russland wahrgenommen wird, um zu verstehen, was passieren würde, wenn in Moskau ähnliche Reflexe vorherrschen würden. Und was machen wir, wenn es so weiter geht, mit dieser „neuen Art“ Kriegsführung?

Was, wenn demnächst in den USA oder auf einem ihrer Luftstützpunkte Drohnen gegen deren Bomber fliegen? Die müssten garnicht durch russische Saboteure gelenkt worden sein, aber im Westen würden sehr viele umgehend glauben, dass es NUR „die Russen“ gewesen sein könnten. Und dann? Wollen wir uns auf eine US-Politik der „ruhigen Hand“ verlassen?

Was machen wir, wenn sich die deutsche Führung nun selbst suggeriert, dass man jetzt auch den Taurus fliegen lassen kann, schon, um auch ein bisschen „mitzuspielen“? Die Russen bluffen ja nur. Schließlich versagte der ukrainische Geheimdienst auch beim dritten Angriff auf die Krim-Brücke.

Auch ich denke nicht, dass der Kreml nuklear vergelten wird. Das braucht er garnicht. Russland verfügt über Oreschniks. Es hat die Übermacht an der Front, so wie das von Anfang an klar vorherzusehen war. Die Frage ist nur noch, ob es ein verhandeltes Kriegsende geben wird, in dem es zum Interessenausgleich kommt, oder ob der Krieg bis zur Kapitulation der Ukraine andauert, und wieviele Opfer er in dem Fall noch kosten wird.

Das sehen westliche Falken, die glauben, bei der 18. Umdrehung der Sanktionsschraube werde Russland endgültig splittern wie ein morscher Balken, natürlich ganz anders. Die glauben auch unbeirrt weiter, dass die Ukraine Russland auf dem Schlachtfeld schlagen könnte. Die jüngsten ukrainische Geheimdienstaktionen, also Spinnennetz & Co. verstärken die Frage: Welches Sicherheitsrisiko werden wir alle gemeinsam mit uns herumschleppen, wenn die Monster geheimdienstlicher Attentate und Sabotageakte nicht gebändigt werden?

Die unverhohlene Schadenfreude, dass die ukrainischen Geheimdienstler (mit oder ohne westliche Anleitung) es „den Russen“ mal richtig gegeben haben, ist auch hierzulande unübersehbar. Beim angenommenen Mit-Siegen macht ein Stellvertreter-Krieg richtig gute Laune. Die gute Laune des Nato-Generalsekretär war jedenfalls unübersehbar (siehe den feed von Selenskyj auf X), als der auf Selenskyj traf.

Kann man glücklicher strahlen? Die Nato, “weder im Frieden noch im Krieg“ mit Russland, wird sich eines ausufernden Haushalt erfreuen. Könnte es noch besser laufen?

Unübersehbar ist allerdings auch, dass sich Dummheit, Bosheit und Hass in der westlichen Hemisphäre wie Unkraut vermehren, während die Vernunft ins Koma fiel.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung.

Über Petra Erler / Gastautorin:

Avatar-FotoPetra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.