…heißt nicht, abwarten bis es zu spät ist
Was würden Sie von einem Arzt halten, der nach gründlicher Untersuchung sagt: „Ja, Sie haben Krebs, aber er ist noch nicht schlimm genug, er ist noch nicht im Endstadium. Mit der Behandlung, mit Medizin, mit Chemo und Bestrahlung warten wir daher noch.“ Was würden wir von so einem Arzt halten?
Wir würden uns sehr wundern, wir wären ungläubig, überrascht, wir wären empört – und das sehr zu Recht. Das wäre Körperverletzung durch Unterlassung, das wäre womöglich Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassung.
Genauso ist das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Compact zu bewerten; genauso nämlich wurde die Ablehnung des Verbots der rechtsextremistischen Zeitschrift Compact durch das höchste Verwaltungsgericht begründet.
Gründe für ein Verbot gegeben
Der Senatsvorsitzende Ingo Kraft trug in seinem Urteil viele Gründe für ein Verbot dieses Hetzorgans vor. Er zählt die bösen Befunde auf, der böseste Befund war das ständige Werben des Blattes für das sogenannte Remigrationskonzept des Extremisten Martin Sellner, der auch ein ständiger Autor des Blattes ist. Das Remigrationskonzept ist ein Deportationskonzept. Er ist verfassungsfeindlich, es verstößt massiv gegen die Menschenwürde, weil es Hunderttausende Menschen aufgrund ethnischer Merkmale abwertet und wegschaffen will. Das Gericht bescheinigt Compact, dass es diese Vorstellungen in kämpferisch-aggressiver Weise umsetzen will. Zu einem Verbot hat es sich unverständlicherweise trotzdem nicht entschlossen.
Es geht um den Schutz von Menschen
Das Gericht hat nicht verstanden, was wehrhafte Demokratie ist. Wehrhaft Demokratie heißt nicht: abwarten, bis es zu spät ist. Wehrhafte Demokratie heißt nicht: warten wir noch auf ein paar neue Metastasen. An der Spitze der Werte der Verfassung steht die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Wenn eine Zeitschrift, wenn eine politische Partei diese Werte verachtet und verhöhnt, wenn sie die Menschenwürde ethnisch definiert, wenn sie Feindschaft sät, Hass und Rassismus predigt – dann ist sie verfassungsfeindlich. Es geht nicht um einen abstrakten Schutz der Demokratie, es geht um den konkreten Schutz von Menschen.
Heribert Prantl, Prof. Dr. jur., war lange Jahre Chef der Redaktionen Innenpolitik und Meinung der Süddeutschen Zeitung sowie Mitglied der Chefredaktion. Heute ist er ständiger Kolumnist und Autor der SZ. Übernahme und Zusammenfassung seines heutigen Interviews im Mitteldeutschen Rundfunk mit freundlicher Gesehmigung des Autors.
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