Die Haushaltsdebatte des Bundestages brachte kaum neue Erkenntnisse. Die Regierungskoalition hat den Rückzug von einem ökologischen und ökonomischen Erneuerungsprozess eingeleitet und steuert das Land konsequent in die 50er Jahre. Die Auswirkungen des Klimawandels werden mit neuen Gaskraftwerken bekämpft und die Einsparungsziele für CO² sollen “überprüft” werden. Früher nannten wir das bei den Jungdemokraten “Beerdigung 3. Klasse”.

Die Grünen waren redlich bemüht, als Opposition diese und andere Versäumnisse der Bundesregierung offen- und den Finger in die Wunden zu legen. Aber wie Katharina Dröge und Felix Banaszak im Interview des “Kölner Stadtanzeiger” zugegeben haben “an Street-Credebility hapere es” ihnen noch. Der Linken ging es prinzipiell nicht besser. Beide Oppositionsparteien leiden unter der miesen Situation, dass eine quantitativ fette, intellektuell unterbelichtete AfD zuviele Stimmen hat, als dass die demokratische Opposition einen Untersuchungsausschuß gegen Jens Spahn in der Maskenaffaire beschließen kann, in der sich immer tiefere Abgründe auftun. Ob es eine “Brandmauer” geben kann, wenn es um die Erforschung der Wahrheit geht, wird noch eine spannende Frage.

Medien fallen auf AfD rein

Die Neofaschisten der AfD stehen nicht nur einer demokratischen Oppositionsarbeit entgegen, sie haben mit bescheidenen Miutteln dafür gesorgt, dass ein Teil der Berliner Presse sich wieder mit ihnen beschäftigt. Anstatt sie an der nicht vorhandenen Substanz zu messen und du vermelden, dass es sich nichts zu vermelden gibt, haben sich die einschlägigen Politiksimulationen prompt damit beschäftigt, dass entgegen der Anscheinerweckung vom Wochenende  deren Vorsitzende Weidel alles anderes als Kreide gefressen und eine ihrer menschenfeindlichen, vor Verachtung der Humanität triefenden Hassreden gehalten hat.

SPD steht permanent vor Zerreissprobe

Sozial sein und mit der CDU/CSU regieren und deren AfD-Light-Politik der Grenzkontollen mittragen kann die SPD auf Dauer nur auseinandertreiben. Anders übrigens, als die eher bürgerlichen, gutsituierten Grünen. Das Sinken der Umfragewerte ist deshalb konsequent und wird sich nicht ändern, bis sie wieder eine andere Politik macht. Bürgergeld “ohne Fremdenfeindlichkeit” zu “reformieren”, ist eben trotzdem Bürgergeld kürzen. DAS Bürgergeld, das die Ampelkoalition – mit den Stimmen der UNION (!!!) – eingeführt hat, soll gekürzt werden – und das ist eben der wiederholte Griff in die Herzkammer der SPD, deren Niedergang und Schwäche mit der Einführung von Hartz 4 unter rot-grün  begonnen hat und die sich durch das Bürgergeld einen Hauch von Heilung versprach.

Grüne ohne außerparlamentarische Basis

Die “Street-Credebility” der Grünen wiederum geht derzeit eher gegen null. “Fridays for Future” haben sich über Gaza selbst zerlegt, sind aber auch von Robert Habeck ohne Not beschimpft worden. “Omas gegen Rechts” sind gut und schön, aber eine zarte und realistische Diskussion über eine Friedensordnung in Europa ist – außer in bescheidenen Ansätzen, initiiert vom Baden-Württembergischen Verkehrsminister und Pazifisten Winne Herrmann und seinen Mitstreiter:innen wie Friedensforscher Thomas Nielebock, kaum erkennbar. Und auch bei Flüchtlingsinitiativen hat Annalena Baerbocks Europa-Flüchtlingspolitk viel Porzellan zerschlagen. Die Grünen müssten sich schon auf eine alte Tugend der Arbeitsteilung zwischen Partei ( im guten Kontakt mit den außerparlamentarischen Kräften)  und Fraktion (strikte Opposition und gleichzeitig bereit für eine Regierungsbeteiligung) und einer verständlichen Erklärung dieser 2-Wege-Strategie besinnen.

Kein neues Problem für Grüne

Dieses Problem ist für die Grünen nicht neu: Beim Digitalisieren alter Videokassetten fiel mir am letzten Wochenende ein Filmbericht über die Vereinigungsverhandlungen zwischen Bündnis 90 und Die Grünen – West – in die Hände, bei dem der WDR – in meiner damaligen griechischen Stammkneipe in der Bonner Nordstadt – unter anderem den Herausgeber dieses Blogs, Martin Böttger befragte, was er denn von den monatelangen Verhandlungen hielte. Seine Antwort trifft bemerkenswert auf die aktuelle Situation zu: “Unsere Bundes-Parteispitze hat monatelang auf Funktionärsebene mit den Vertretern von Bündnis 90 verhandelt, und wir haben uns mit uns selbst beschäftigt, während draußen in der Gesellschaft Asylheime brennen – es wird Zeit, dass wir uns schnell wieder der Realität zuwenden, wie sie uns alle und die gesellschaftlichen Gruppen und Bündnispartner sowie die Menschen vor Ort dringend betrifft.”

Von NRW der 90er Jahre lernen, heisst gewinnen lernen

Die Partei in NRW startete damals die Kampagne “Farbe bekennen – Rassismus ächten!” und war damit politisch wie innerparteilich ebenso erfolgreich, wie mit der Besetzung des Themas Armut und Sozialpolitik gegen die regierende SPD. Grüne Wahlergebnisse in NRW stiegen 1995 von 5% auf 10,6% und führten in die erste “richtige” Rot-Grüne Koalition. Die Bundespartei könnte davon lernen. Personell nicht ganz einfach, ist doch die Parteispitze auf Initiative von Robert Habeck insbesondere in der Person Franziska Brantner auf  Regierungsarbeit gepolt. Etwas mehr Basisverbundenheit und – Kontakte könnten da sicher nicht schaden.

 

Über Roland Appel:

Avatar-FotoRoland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net