Sommerinterview-Protest: Die ARD sendet ein Sommerinterview mit Alice Weidel, das durch lautstarke Proteste torpediert wird. Die Aktion richtet sich auch gegen die ARD und durchbricht die freundliche Normalität.

Es war ein hörbarer und starker Protest: Demonstrierende haben gemeinsam mit dem Zentrum für politische Schönheit das ARD-Sommerinterview mit der Rechtsextremistin Alice Weidel (AfD) gekapert. Und zwar nicht nur mit ein paar Parolen, Buh-Rufen und Tröten, sondern auch über Minuten mit dem unüberhörbaren Chorgesang „Scheiß AfD, scheiß AfD“. Selten war eine Störaktion im deutschen Fernsehen effektiver.

Natürlich sind die Gegner dieser Protestaktion nicht weit. Erwartbar lügen die Rechtsextremistenfreunde sich nun in die Tasche, dass die ARD die Proteste bestellt oder extra laut aufgedreht hätte, um das Interview zu torpedieren. So weit, so durchsichtig. Nazis lügen halt, ob auf der Braunplattform X, in der Jungen Freiheit oder im ARD-Sommerinterview.

Naives Verständnis eines neutralen Journalismus

Umso mehr überrascht das anhaltend naive wie selbstverliebte Verständnis eines neutralen Journalismus, der angeblich in der Lage ist, Faschistinnen wie Weidel in Interviews und Talkshows „zu stellen“. Seit vielen Jahren versuchen sich gestandene Medienleute daran, die AfD zu dechiffrieren und ihre Ziele offenzulegen. Das ist in vielen Fällen auch gelungen, wohl aber noch nie in seichten Gesprächsformaten.

Bei der ARD hat man bis heute nicht verstanden – oder will man nicht wahrhaben -, dass die Talkshow- und Interviewbühne zum Aufstieg und vor allem zur Normalisierung der rechtsextremen Partei beigetragen hat. Die Anstalt hofiert die AfD weiter und tut so, als sei ein lauschiges Interview vor Regierungskulisse ein gleichwertiges Format gegenüber Recherche, Meldung oder Dokumentation. Und sie rechtfertigt die Einladung Weidels damit, dass die AfD als große Partei gleichberechtigt behandelt werden müsse – was jedoch nicht stimmt.

Alle wissen doch, dass in rechtsextremen Kreisen längst eine andere Realität herrscht. Dass jeder unkritische Schnipsel aus den Sendungen der Öffentlich-Rechtlichen auf TikTok an die willigen Follower verfüttert wird. Dass kritische Fragen herausgeschnitten und dass Faktenchecks ignoriert werden.

In der anhaltenden Diskussion um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin haben wir gerade erst die durchgreifende Macht dieser rechtsextremen Netzwerke zu spüren bekommen. Ungeachtet solcher Erfahrungen schiebt die ARD nach dem Sommerinterview nurmehr einen Faktencheck nach, der auf die öffentliche Debatte aber schon längst keinen Einfluss mehr hat.

Permanente Opferfalle

Seit Jahren gehen viele Journalist:innen der Öffentlich-Rechtlichen so normalfreundlich mit der AfD um – und sie lernen offenbar nicht dazu. Und wenn jemand lautstark dagegen protestiert, dann heißt es: „Das hilft der AfD.“ So jedenfalls sieht es ARD-Hauptstadtkorrespondent Gabor Halasz, der damit in die permanente Opferfalle der AfD tritt.

„Was ist damit gewonnen, ein Interview so zu stören, dass kaum ein Gespräch möglich ist?“, kritisiert Halasz die Protestierenden. „Die #AfD und ihre Chefin #Weidel werden so ganz sicher nicht verschwinden.“ Niemand würde mehr über die Inhalte der AfD reden, mahnt der Journalist. Dabei ist eben das doch das große Verdienst dieses demokratischen Protests zur besten Sendezeit.

Die AfD ist keine normale Partei, sondern derzeit die größte Gefahr für die Demokratie. Der gestrige Protest ist deswegen ein wichtiges Zeichen gegen die Normalisierung einer menschenfeindlichen Politik, die auf „die Ausländer“ einprügelt und völkisch-rassistische Ziele durchsetzen will. Und er ist ein Zeichen gegen das ständige Nachplappern und willfährige Abspielen der Themen, die Rechtsradikale in der öffentlichen Debatte platzieren wollen.

Protest auch gegen die ARD

In den letzten beiden Jahren gingen Millionen Menschen auf die Straße, weil sie Angst vor einer rechtsradikalen Machtübernahme haben, vor einem Ende der Demokratie. Die gestrigen Proteste beim ARD-Sommerinterview richten sich nicht nur gegen die Rechtsradikalen und ihre politischen Arme im Parlament, sondern auch gegen den Umgang mit ihnen in den öffentlich finanzierten Medien. Die Menschen erwarten zu Recht, dass die ARD entlang der festgeschriebenen Grundrechte agiert, ihren Bildungsauftrag stets mitbedenkt und die Demokratie stärkt.

Rechtsextreme zu normalisieren, mit ihnen freundlich ins Gespräch zu kommen und sie so zu legitimieren, gehört nicht dazu.

Constanze Kurz ist promovierte Informatikerin, Autorin und Herausgeberin von Büchern, zuletzt Cyberwar. Ihre Kolumne „Aus dem Maschinenraum“ erschien von 2010 bis 2019 im Feuilleton der FAZ. Sie lebt in Berlin und ist ehrenamtlich Sprecherin des Chaos Computer Clubs. Sie war Sachverständige der Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags. Sie erhielt den Toleranz-Preis für Zivilcourage und die Theodor-Heuss-Medaille. Kontakt: E-Mail (OpenPGP). Markus Reuter recherchiert und schreibt zu Digitalpolitik, Desinformation, Zensur und Moderation sowie Überwachungstechnologien. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Polizei, Grund- und Bürgerrechten sowie Protesten und sozialen Bewegungen. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes, für eine TikTok-Recherche 2020 den Journalismuspreis Informatik. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org, sowie auf Mastodon und Bluesky. Kontakt: E-Mail (OpenPGP). Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

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