Israels Verteidigungsminister Katz möchte “ca. 600.000 Palästinenser aus Gaza” in eine sogenannte  humanitäre Stadt deportieren. Deportieren ja, denn wer dort hineinkommt, soll nicht mehr heraus dürfen. Es geht also um ein riesiges Gefängnis für Unschuldige. Dort hinein sollen ohne Gerichtsurteil Männer, Frauen, Kinder und Alte. Und sie alle sollen dort auf ihre weitere Deportation irgendwohin – beautiful places in Egypt or Jordan oder where ever, so Donald Trump – unfassbar, was mit Sprache inzwischen möglich ist. “Chempark” ist nichts dagegen.

Die bewußte ideologische Umdeutung von Begriffen hat eine lange Tradition. Es begann mit Begriffen wie “Freisetzung” statt Entlassung, ging über “Entsorgungspark” statt Atommülldeponie oder “Chempark” statt Giftmüllverbrennungsanlage. So sollte Umweltverschmutzung und -Zerstörung der Natur verharmlost werden. Die Drohung gegenüber der Politik mit Arbeitsabbau, wenn sie nicht tut, was die Wirtschaft will, heisst seit den 80er Jahren bis heute “Standortpolitik” oder “Standortnachteil”.

Verantwortlichkeiten verschleiern

Moderne Kapitalisten schließen keine Fabrik, sondern “geben den Standort auf”, weil sie die “Rahmenbedingungen” oder der “internationale Wettbewerb” dazu zwingen. Zwar habe ich weder die eine, noch den anderen je persönlich kennengelernt, aber insbesondere der “internationale Wettbewerb” scheint ein besonders brutaler und rücksichtsloser Zeitgenosse zu sein, der im hintersten oberbayrischen Dorf rücksichtslos zuschlägt.

Hinter der Begrifflichkeit steht die offenkundige Absicht, die Verantwortung für das eigene Handeln zu Ungusten von Lohnabhängigen, eigenes unfähiges Management, schlechte Qualität,  ideenlose Produkte oder unternehmerisches Versagen einfach anderen in die Schuhe zu schieben. Diese Sprache ist das Gegenteil der Aufklärung, es entspringt dem, was Theodor W. Adorno 1948 in seiner klugen Schrift “Die Dialektik der Aufklärung” beschrieben hat. Damals hat er nur die Verdummung des Publikums anhand der Kinowerbung beschrieben und wie diese unter vorgeblicher “Wissenschaft” Lügen verbreitet, wahre Sachverhalte verschleiert.

Beispiel Asylpolitik der 90er Jahre: Gegen Menschen hetzen

Die nächste Stufe der Sprache ist die der Gewalt und Brutalität. Die CDU/CSU und ihr Generalsekretär Volker Rühe beschlossen 1990, eine bundesweite Kampagne gegen das Asylrecht durchzuführen. Rühe stattete in Rundschreiben an alle Kreisverbände und Ratsfraktionen der CDU diese mit vorgefassten Meinungen in Form von Musteranfragen, Musteranträgen und Initiativen aus, die nur einem einzigen Ziel dienten: eine Stimmung des “Das Boot ist voll” zu erzeugen, gegen Einwanderung, Asyl und Migration Stimmung zu machen.

Von “überforderten Kommunen” war da die Rede, von “Asylschwindel”, (wer verfolgt wird, lügt) “Asyltourismus” (wer z.B. vom Iran, der Türkei oder dem Irak mit Gefängnis, Folter und Tod bedroht wird, ist eigentlich auf Urlaub) und man kann mit “denen” umgehen, wie mit Verbrechern. “An Kopf und Kragen packen und raus damit” (Friedhelm Farthmann, SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag NRW 1992).  Den Anschlägen in Rostock, Hünxe, Solingen mit Verletzten und Toten durch Rechtsextremisten sind damals verbale Anschläge bürgerlicher Politiker von CDU/CSU und SPD vorausgegangen.

Gewalt durch Sprache

Heute ist diese Gewalt der Sprache zwar im Extremen von der AfD gewohnt, aber CDU/CSU, FDP, und BSW setzen sie gemäßigt fort. Solange die Mitte der Gesellschaft rechtsexteme Ziele und Argumentationen aufnimmt und vollstreckt, wie diese Bundesregierung durch Abweisung an den Grenzen, Aussetzen des Familiennachzugs, rechtswidriger Nichtannahme von Asylanträgen, wird sich an der Gewaltausübung durch rechten Straßenterror von AfD-Umfeld, Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Rechtsterroristen nichts ändern. Auch hier sind wieder den Straf- und Gewalttaten von Extremisten Verrohungen der Sprache vorausgegangen. Markus Söder zeigt mit seiner neuesten Attacke auf Ukrainer und das Bürgergeld, dass er nichts versteht und die AfD immer stärker macht, indem er ihre Forderungen umsetzen will.

Klinisch reine Menschenfeindlichkeit

So ist etwa der rechtsextreme Kampfbegriff “Remigration” gleich in mehrfacher Hinsicht ein Angriff auf die Menschenwürde. Er ist rassistisch, weil er von AfD und anderen Rechtsextremisten gegen alle Menschen gerichtet wird, die keine “Biodeutschen” sind.  Er ist ignorant, weil er Migrationsgründe und -geschichte ignoriert. Er ist gnadenlos, weil er Fluchtgründe und Verfolgung abspricht. Und er ist unmenschlich, weil er in seiner scheinbaren technischen Logik vorgibt, das Gegenstück zum neutralen Begriff “Migration” zu sein und unterstellt, dass es z.B. für ein in Köln geborenes Kind von Eltern aus Afghanistan ein Land gäbe, in das er oder sie zurückkehren könnte.

Gezielte Diskriminierung und Kriminalisierung der Unterschicht

Trump und seine Helfershelfer zielen mit den Verfolgungsjagden auf Migranten in den USA auf die demonstrative Erniedrigung und Diskriminierung der Unterschichten. Das Prinzip hat der Faschismus zum System entwickelt. “Asoziale” und Juden, “Arbeitsscheue” und Kommunisten wurden, schon bevor der Holocaust begann, von den Nazis  zu Sündenböcken gemacht. Nichts anderes geschieht heute mit den illegalen Migranten in den USA. Den Verlierern der Politik, Reiche immer noch reicher zu machen, wird vorgegaukelt, dass es nicht die Reichen und Mächtigen sind, die ihr Elend verschulden, sondern solche, denen es noch schlechter geht, die unter ihnen stehen, kriminalisiert und abgeschoben werden können.  Wie Trump, der es offen praktiziert, folgen dem Prinzip Spaltung – wie die Ideologie von Georgia Meloni, Viktor Orban und der PIS-Partei in Polen, Marine Le Pen in Frankreich und die AfD bei uns.  Noch haben sie nicht die Mehrheit in der EU, aber wie das Beispiel Geert Wilders in den Niederlanden zeigt, ist die Gefahr nicht zu unterschätzen.

 

Über Roland Appel:

Avatar-FotoRoland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net