Die sinkende Qualität der Medienöffentlichkeit wird – leider – wie immer im Fussball besonders deutlich

Parallel zur Ausbreitung eines faschismuskompatiblen Oligarchentums in Politik und Ökonomie (“KI/AI”) ist der heisse Scheiss im Fussball der Herren und der Damen die “Datenrevolution”. Hier ein Eindruck in einer Buchrezension von Fabian Kunow/Jungle World: Leistung vom Rauschen trennen – Die Entwicklung mathematischer Modelle für Spielerbewertung oder Vorhersagen ist Teil des Fußballgeschäfts geworden. Der Brite Ian Graham war hierin ein Pionier. Nun ist sein autobiographisch geprägtes Buch zum Thema auf Deutsch erschienen.”

Nun will ich nicht bestreiten, dass Datensammlung und -analyse zum Handwerkszeug professioneller Fussballlehrer*innen gehört. Damit habe ich schon 1965 als achtjähriger Fan begonnen. Als vom Internet noch niemand eine Ahnung hatte, verblüffte ich zusammen mit einem weiteren Gladbach-Fan den Nachbartisch einer Düsseldorfer Altstadtkneipe mit einem improvisierten Fussballquiz, bei dem wir auch alles Wesentliche über Fortuna wussten. Ob Smartphone-Nutzer*innen das heute noch hinbekommen würden, zweifle ich an; sie gucken alles nach. Okay, halb so schlimm.

Wenn sich die Handelnden jedoch von der Marketingpropaganda der Daten-Dienstleister*innen hinter die Fichte führen lassen, werden Grenzen überschritten. Entscheidend im Fussball sind nicht die Daten, sondern das Team. Das Team kreiert und verhindert Torerfolge. Entscheidend is aufm Platz! Diese Erkenntnis breitete sich bereits in den 50er Jahren vom Ruhrpott ausgehend in der West-BRD wissenschaftlich aus.

Was ist ein Team? Ein sehr komplizierter psychologischer Mechanismus von weit mehr als 11 Individuen (+ Ersatzbank, plus Nichteingesetzte, plus zahlreiche Betreuer*innen, plus Familienangehörige/Lebenspartner*innen), die den inneren Antrieb, das Selbstvertrauen, den Mut einer*s Spieler*in hoch- oder runterbeeinflussen – wie es übrigens auch die Stadionzuschauer*innen können und tun. Was als Leistung einzelner Spieler*innen und ihres Zusammenwirkens aufm Platz sichtbar wird – dahinter steckt sehr viel Arbeit von sehr, sehr vielen Unsichtbaren. Und das Schönste daran: das ist nicht berechenbar! Darum weiss mann – meistens – im Fussball nicht, wie es ausgeht. Und darum versucht das Oligarchenkapital ihn zu fressen und das zu ändern.

Derzeit überschlagen sich die Sommerlochmedien im Hochjubeln eines 17-jährigen Angestellten des Fussballkonzerns aus dem süddeutschen Raum. Der Auftrag ist mutmasslich, seinen Transferwert, z.Zt. mickrige 1,5 Mio., hochzupuschen. Ich habe den Jungen gesehen. Zweifellos kann der was. Vielleicht sind sogar seine Datenberge beeindruckend für Leute, die sich das Zugucken sparen wollen. Aber es war so sinnlos. Jedenfalls im Halbfinale der deutschen U17-Meisterschaft (der Jungs) gegen Borussia Mönchengladbach -1:3. Dä.

Ich habe das Spiel in meiner Herzinfarkt-Reha komplett gesehen. Und das Beste an Lennart Karl war, wie die Gladbacher Defensivarbeit ihn komplett vergeblich die rechte Seitenlinie auf- und abrennen liess. An dieser disziplinierten Defensivarbeit könnte sich das Profiteam in der Bundesliga mal ein Beispiel nehmen. Und sich nicht immer nur auf den regelmässigen Geschenken von Manuel Neuer ausruhen.

Hausaufgabe: was bedeuten diese Erkenntnisse für die Organisation demokratischer Politik und Medien?

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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