„Etwas mehr Marxismus als Poststrukturalismus, mehr Rosa Luxemburg als Judith Butler …“
Der Aufstieg von Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus seit den 1970er Jahren verlief quer zu einer (der vielen) Krise(n) des Marxismus, füllt also nicht zuletzt auch einen Leerraum, den die „Erben von Karl“ hinterließen. Aber wie haben sie ihn gefüllt?
Spätestens seit Eribon wissen wir, dass dieser Übergang auch zu einer Kontaktkrise zwischen akademischen Milieus und der mehr oder weniger „normal“ arbeitenden Bevölkerung führte. Wer wie ich teilweise in Italien lebt, empfindet das als schmerzlichen Verlust. Denn seit dem Nachkriegsinteresse von Künstlern und Intellektuellen aus deutschsprachigen Ländern für das Land (z.B. Hans Werner Henze oder Ingeborg Bachmann) fand die Idee von Intellektuellen, die nicht völlig losgelöst von den Nöten und Sorgen der Bevölkerung durchs Leben surfen, hier ein ziemlich attraktives Beispiel. Bis dann Berlusconi kam, und dieser sozial übergreifenden Kultur mit Bunga-Bunga-TV einen wahren Todesstoß versetzte. Berlusconis Sohn steht im deutschsprachigen Raum nun bei Pro Sieben/Sat1 ante portas – oder vielmehr ist schon mitten drin. Not Welcome!
Sahra Wagenknecht hatte das angesprochene Kontaktproblem irgendwie erkannt und versucht, darauf eine Partei aufzubauen – auch unter Einbezug ganz populistischer und reaktionärer Positionen. Zum Glück sind wir von einem solchen links-rechts-Hufeisen-Populismus bisher noch verschont geblieben. Er würde das Niveau der kursierenden Ideen und Debatten noch einmal kräftig nach unten ziehen.
Jens Jessen stellt zu diesen Problemen in der Zeit (Paywall) einige ganz interessant Überlegungen an. Er überlegt, ob „etwas mehr Marxismus als Poststrukturalismus, mehr Rosa Luxemburg als Judith Butler“ nicht ganz gut wäre. Ich weiß nicht, ob es unbedingt um Marx und Luxemburg oder nicht vielmehr um eine Art „Erdung“ in Theorie und Praxis geht, das heißt um Theorien, die die durchaus harten ökonomischen und ökologischen Fakten, die sehr persistent sind und sich nicht einfach wegdekonstruieren lassen, angemessen zum Ausdruck bringen, und um ein Handeln, dass sich bei solchen Theorien informiert. Damit wäre einiges, möglicherweise sogar sehr viel gewonnen.
Ich lese die Zeit nicht (keine Zeit), also auch nicht hinter Paywall (kein Geld). Ich lese aber uebermedien, dessen Redaktion seine Texte nach einer Woche aus seiner Paywall rauslässt. Da fand ich Lisa Kräher: “Das Stammtisch-Feuilleton der ‘Zeit’ – Lastenrad, Veganismus, Gendern: Ein ‘Zeit’-Autor versucht, den Erfolg der Neuen Rechten zu erklären – und schreibt einen populistischen Text voller Klischees über Linke.”
https://uebermedien.de/108839/das-stammtisch-feuilleton-der-zeit-am-intellektuellen-nullpunkt/
Oops, die scheint also gänzlich anderer Meinung zu sein.