mit Update 6.9., 8.9. und 11.9. = der Schaden ist angerichtet

Regelmässig hätte ich Annika Schneider im Edeka treffen können, weil sie mal hier um die Ecke gewohnt hat. Gelegentlich hörte ich sie im Medienmagazin des DLF @mediasres, dessen Stammhörer ich bin. Ob die dort ihre Hörer*innen alle persönlich kennen? Möglich. Die medienpolitische, und erst recht die medienjournalistische Szene ist so übersichtlich, dass sich eines Tages alle untereinander kennen. Wie in einem übersichtlichen Dorf. Auch die Rollen für Deppen, Rechtsradikale und Nichtsversteher*innen sind irgendwann verteilt und zugeordnet. Aber wer war Bert Donnepp? Und erst recht “sein” Preis?

Das ist dann diese Woche auch mal ein wenig bekannt geworden. Ich hatte immerhin in der Schule in Sozialkunde eine 1 auf dem Abiturzeugnis. Und also von einem Bert Donnepp schon mal gehört. Bzw. seiner Frau. Aber Marler Sozis musste mann in Gladbeck nicht kennen. Mir reichte der Sohn des semikriminellen Oberbürgermeisters in der Reihe hinter mir. Er blieb dann auch direkt hängen.

Annika Schneider hatte also den “Bert-Donnepp-Preis” bekommen, und will ihn nicht mehr. Das hat ihr heutiger Arbeitgeber uebermedien.de immerhin nicht digital eingemauert, sondern nur die berichtende Recherche ihrer Kollegin Lisa Kräher (jetzt – 11.9. – frei zugänglich). Schneider schreibt:

Preis für Medienpublizistik: Warum ich meinen Donnepp Media Award zurückgebe – Im Januar wurde Übermedien-Redakteurin Annika Schneider vom Verein ‘Freunde des Adolf-Grimme-Preises’ mit dem Donnepp Media Award ausgezeichnet. Nun gibt sie den Preis zurück. Hier erklärt sie, warum.”

Früher war das hier zutage getretene Niveau eins, das mann aus der Kommunalpolitik kennt, wo, die wenigsten Bürger*innen wissen das, durchweg Amateur*inn*e*n agieren. Seit etlichen Jahren ist dieses Niveau nach “oben” durchgesickert, und längst auch in Berlin-Mitte angekommen. Warum also nicht in Marl? Traurig aber wahr.

Update 6.9.

Frau Schneider hat auch zum Bonner Kommunalwahlkampf und seiner journalistischen Begleitung eine klare Meinung. Ein Bezieher ihres kostenpflichtigen Newsletters übersandte mir das, und ich zitiere gerne ausführlich:

“In NRW und damit auch hier in Bonn sind nächstes Wochenende Kommunalwahlen. Die Bonner AfD soll laut Prognosen auf sieben Prozent kommen, spielt in der Stadtpolitik aber keine nennenswerte Rolle.

Das zeigte gerade erst wieder eine Podiumsdiskussion mit den Oberbürgermeisterkandidaten. Die substanzlosen Beiträge des AfD-Vertreters waren dabei ziemlich egal und kein größerer Störfaktor. (Auf seiner Webseite fordert er unter anderem Markt- statt Planwirtschaft – wer sagt es ihm?)

Der Redakteur des ‘General-Anzeigers’, der die Debatte moderierte, tappte trotzdem in eine Falle: Er versuchte, den AfDler journalistisch zu stellen und ihn so zu entzaubern – und wurde dafür prompt vom Publikum abgestraft.

Sie können sich die Szene auf YouTube anschauen, spannend wird es ab Timecode 1:24:35. Die Befragung der Kandidaten ist zu dem Zeitpunkt schon durch, jeder der sieben Parteienvertreter hat zu verschiedenen Oberthemen rund eine Minute reden dürfen, so weit, so fair.

Ich kann nur spekulieren, warum der Moderator es danach für eine gute Idee hält, einige Extra-Minuten noch einmal einem einzigen Kandidaten zu widmen – und zwar nicht der amtierenden Bürgermeisterin von den Grünen, auch nicht dem aussichtsreichsten Konkurrenten von der CDU.

Stattdessen wendet er sich an den AfD-Kandidaten, weil es ihn „brennend“ interessiert, wie der eigentlich zum Begriff Remigration steht (dabei hätte er die Antwort in seiner eigenen Zeitung in einem von ihm geschriebenen Artikel nachlesen können). Des Weiteren will er von dem AfD-Politiker wissen, welche Gruppe genau er denn abschieben wolle, und fordert ihn auf, endlich „Farbe zu bekennen“.
Hat der Journalist damit gerechnet, dass der Politiker auf einmal eine verfassungsfeindliche Gesinnung offenbart? Oder zugibt, eigentlich Rassist zu sein, danke der Nachfrage?

Stattdessen passiert, was in solchen Situationen immer passiert. Der AfD-Politiker kann die Bühne nutzen, um

1. Remigration zu verharmlosen – es handele sich schlicht um „das Gegenteil von Migration“,

2. die AfD in der politischen Mitte zu platzieren – CDU-Kanzler Merz und Ex-Kanzler Scholz seien schließlich noch radikaler im Umgang mit Migranten,

3. mit einer einleuchtend klingenden, aber falschen Behauptung die Abschiebungen von Millionen Menschen argumentativ vorzubereiten: „Asyl ist eben nicht dazu da zum Bleiben“.

Gerne hätte der Moderator noch weiter gefragt. Stattdessen buht das Publikum so laut, dass er das Interview unterbrechen muss (vor Ort war das noch imposanter als es nun im Video klingt). Gleichzeitig greift sich die Oberbürgermeisterin ein Mikro, um klarzustellen, dass in Bonn ‘Menschen aus 170 Ländern friedlich und gut zusammenarbeiten’.

Das Beispiel zeigt, wie man mit der AfD als Journalist nicht umgehen sollte; anscheinend wussten die Zuschauer das besser als der Moderator. Die meisten Bonnerinnen und Bonner waren gekommen, um herauszufinden, wie die Kandidaten von Grünen, CDU, SPD, FDP, Linke und Bürgerbund zum defizitären Bonner Haushalt, den Problemen im Bürgeramt und der umstrittenen Radspur auf der Adenauerallee stehen – alles Themen, zu denen der AfD-Kandidat wenig Konstruktives zu sagen hatte.

Es machte journalistisch schlicht keinen Sinn, dem AfD-Kandidaten eine Frage zur Remigration zu stellen: Die Antwort ist bekannt, kommunalpolitisch irrelevant und reproduziert rechtsextreme Gedankenspiele.

Es ist journalistisch auch kaum zu begründen, warum ausgerechnet eine der kleinen Parteien, die keine Chance auf das Oberbürgermeisteramt hat, am Schluss noch einmal einen eigenen Frageblock bekam. Womöglich ging es dem Moderator darum, das Verhältnis des Kandidaten zur Demokratie abzuklopfen – dafür reicht es aber nicht, unbedarfte Fragen zu stellen.

Besser wäre es gewesen, einfach die Regeln der Veranstaltung einzuhalten: pro Frage eine Minute pro Partei. Der Protest zeigte, dass das auch im Sinne des Publikums gewesen wäre – Stichwort Zielgruppenorientierung.”

Update 8.9.

Annika Schneider nannte den Moderator des GA nicht namentlich. René Martens/MDR-Altpapier tut es: Die Hauptquartiere der Provinzialisierung sind Redaktionen – Seit wann ist ‘Sagen, was ist’ out bzw. ‘Aktivismus’? Wie kann es sein, dass es immer noch Journalisten gibt, die glauben, die AfD ‘entzaubern’ zu können? Warum sind Google, Meta und Co. Atomkraft-Fans?”

Das ist imgrunde wie mit den Fischen. Vielleicht gibt Frau Peikert mal eine Schnupper-Beratungsstunde? Oder, wenn es mit einer Frau nicht funktioniert, der Kollege Martens hätte sicher auch Zeit. Jedenfalls dafür.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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