Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Die Saat des Neoliberalismus trifft NRW

Die Kommunalwahl in NRW ist gelaufen und sie hat weitgehend erwartete Ergebnisse gebracht. Zum einen sind die Rechten nun auch im Westen angekommen und wurden bei der Kommunalwahl gewählt, wenn auch geringer, als im Osten. Die Grünen sind auf ihr Ergebnis vor zehn Jahren zurückgefallen, die FDP bleibt abgeschlagen knapp über 3% und die Linke ist im Aufwind. Aber landauf, landab wurden die falschen Fragen gestellt und die falschen Antworten gegeben. Denn wer nach Berlin blickt oder zu den Landesregierungen, liegt bei der Interpretation der Kommunalwahlergebnisse falsch: Über die Kommunalpolitik bricht das politische Desaster herein, das 40 Jahre Sozialabbau, Ausplünderung der Kommunen und Privatisierung verursacht haben:

Der Verfall des Sozialstaates und aufgrund dessen eine tiefe Verunsicherung vor allem ärmerer Bevölkerungsschichten, aber auch Deklassierungs- und Abstiegsängste beim Bürgertum und der unteren Mittelschicht kommen den Rechtsextremisten zupass. Dieser soziologische Befund von 2025 sollte zu denken geben: Er korelliert in vielen Punkten mit der Motivation vieler bürgerlicher Wähler:innen in den späten 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, die nach rechts abdrifteten und NSDAP wählten-viele aus Protest, wie sie dachten.

  1. Wenn Hendrik Wüst bei rund 35% davon spricht, dass “die CDU die Wahl gewonnen” hat, mag er sich in der Tradition der West-CDU und ihrem Jammertal sehen. Ein großartiges Ergebnis aber ist das nicht. Gerade so nochmal davongekommen, bezeichnete es ein vom WDR beim Abendessen im Lokal interviewter CDU-Wähler richtig.
  2. Die SPD steht derzeit bei  22 % – für eine Partei, die einmal mit über 60% gewählte Bürgermeister im Land stellte, ein Desaster. Auch wenn Bärbel Bas mit Mut zur Beschönigung betonte, dass das erwartete Desaster fürihre Partei ausgeblieben sei. Stimmt nur insoweit, als 22% mehr sind als 15% Umfragen im Bund.
  3. Die meisten Stimmen hat die SPD an die AfD verloren, insbesondere in den ehemaligen roten Hochburgen wie Gelsenkirchen, Recklinghausen, Bottrop und anderen Industriestandorten der Arbeiterkultur. Dazu passt, dass es in Gelsenkirchen und in Duisburg nach einer Stichwahl der OB-Kandidaten zwischen SPD und AfD aussieht.
  4. Die Grünen sind mit etwa 13% dort gelandet, wo sie vor 10 Jahren ebenfalls lagen – wie die Grünen Hochburgen wie Köln, Bonn, Aachen und Münster abschneiden werden. In Köln steht die Bürgermeisterwahl so: Berivan Aimaz (Grüne) 28,1%, Torsten Burmester (SPD) 21,3% , Markus Greitemann (CDU) 19,5%. Im Rat bleiben die Grünen stärkste Kraft. Ähnlich gut schnitten die Grünen im Rat ab 25,1%  SPD 19,9%, CDU 19,1%- und auch in Münster und Bonn liegen die Grünen in den Räten deutlich vorn.
  5. Für eine Partei, die keinerlei Lösungen in der Kommunalpolitik anzubieten hat, hat die AfD mit über 14% phantastisch abgeschnitten. Sie sind, so zeigen Umfragen, für Menschen mit ausländerfeindlicher und verunsicherter Gesinnung schon lange keine Protestpartei, sondern eine bewusste Entscheidung.
  6. Die Linke hat zwar hinzugewonnen und liegt nun über 5,5%, aber ein klarer Erfolg ist ausgeblieben, was sicher mit der Schwäche der Kandidat:innen zu erklären ist. Die waren bei der Wahl der FDP offensichtlich überhaupt keine Rolle mehr gespielt, denn die hat es geschafft, über 2,2% zu verlieren und bei 3,7% landesweit zu landen.
  7. Die “Sonstigen Parteien” landeten landesweit bei 7 % plus, was der Behauptung der Landtagsmehgrheit von SPD,CDU,Grünen und FDP widerlegt, die Parteienlandschaft in den Räten werde das Land unregierbar machen, weshalb sie das Kommunalwahlrecht geändert hatten – wobei ihnen das Landesverfassungsgericht glücklicherweise in den Arm gefallen ist und das alte Kommunalwahlgesetz wieder in Kraft gesetzt hat.

Keinerlei Stimmungsbarometer

Ist die Kommunalwahl NRW wirklich das, was ihr die Berliner Raumschifffahrer gerne zuschreiben würden? Mitnichten. Auch wenn sich die Berliner Journalist:innen seit Tagen bemühen, die NRW-Wahlen als solches zu interpretieren machen gerade die bisherigen Ergebnisse in ihrer regionalen Gebundenheit deutlich, dass Merz und Klingbeil viel zu wenig Auswirkungen auf die NRW-Kommunalpolitik hatten, dass irgendwelche politischen Schlüsse über die Berliner Koalition daraus abzuleiten wären.

Desaster von 40 Jahren neoliberaler Politik

Was die Menschen in NRW – und auch in allen anderen westlichen Bundesländern, außer vielleicht Bayern – besorgt macht, sind die dramatischen Entwicklungen der Lebensverhältnisse zum Schlechten, jedenfalls die von den Bürger:innen subjektiv gefühlt, die letztlich alle auf eine Austerlitäts- und Sparpolitik gegenüber den Kommunen seit etwa 40 Jahren zurückzuführen sind.

Schlechter, unpünktlicher und unkomfortabler öffentlicher Nahverkehr, marode Brücken und öffentliche Plätze, versiffte Schulen und Schultoiletten, geschlossene Turnhallen und verfallende Sportplätze, geschlossene Schwimmbäder, zerstörte Straßen mit Schlaglöchern überall, fehlende Unterkünfte, eine krasse Mitsteigerung und Wohnungsnot bei gleichzeitiger Verknappung sozialen Mietangebots. Dazu in vielen Städten eine offene Drogen- und Obdachlosenszene, deren viele Kommunen mangels Geld und Unterkünften nicht mehr Herr werden. Und dann müssen auch noch Flüchtlinge untergebracht werden! Gefundenes Fressen für die Hetze der Rechtsextremisten, die für alle sozialen Probleme Migrant:innen verantwortlich machten und obendrein in gewohnter Art ihr Kampffeld um die Flüchtlingsunterbringung fanden.

Den Mangel verwalten

Die anhaltende Schließung sozialer Einrichtungen und keine oder nicht genügend Pflegeplätze, fehlendes Personal im Gesundheitssystem und in der Altenhilfe, Lehrer:innen und Erzieher:innenmangel in jeder Kommune. Ganz überwiegend nicht von den kommunalen Räten zu verantworten, sondern von der Bundes- und Landespolitik, die seit Jahren den Städten und Gemeinden neue Aufgaben aufgebrummt haben, ohne ihnen die dafür notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen – aber gerade die Kommunalpolitik wird für diese Mißstände verantwortlich gemacht.

Dies alles führt zusammen mit den rassistischen Kampagnen der rechten und konservativen Parteien zur Verunsicherung, was die öffentliche Sicherheit betrifft und die soziale Verunsicherung vertieft sich angesichts der Drohungen des Kanzlers, das ohnehin knapp bemessene Bürgergeld noch weiter kürzen zu wollen.

Da ist es nicht verwunderlich, wenn die Leidtragenden dieser Entwicklung nicht bereit sind, sich von der CDU und Bundeskanzler Merz noch als diejenigen beschimpfen zu lassen, die zuwenig arbeiten, über ihre Verhältnisse leben und zuviel soziale Leistungen, sprich Bürgergeld bekommen. Im Stament eines AfD-Kandidaten, der sich selbst als einen bezeichnete, der früher SPD und Grüne gewählt und unterstützt habe, wurde dieser Aspekt der Ursachen durchaus glaubhaft deutlich.

AfD von CDU gepäppelt

Auch die Ergebnisse von Grünen und AfD haben weniger bundespolitische Ursachen. Die Grünen sind wie schon bei der Bundestagswahl zum einen das Opfer einer breiten rechten Diffamierungsoffensive, deren Protagonisten vom Bratwurstfressenden Söder über die Verbrenneroffensive der CDU/VDA – Lobbyistin Hildegard Müller beim Automobil über die Rückkehr zur Steinzeit-Energiepolitik mit fossilen Kraftwerken und Atomspinnereien  Wirtschaftsministerin Reiche bis zur EU-Chefin Von der Leyen. Die Verharmlosung der Umweltfolgen und die politisch absurde und wirtschaftspolitisch schädliche Kehrtwende der CDU/CSU hin zu den klimaleugnenden Positionen der AfD ebenso wie die übernehme deren Forderungen in der Migrationspolitik hat bisher nur der AfD genützt und sie immer stärker werden lassen.

Grüne in eigenen Fehlern gefangen

Dass Grüne “nur” auf die Wahlergebnisse von 2015 zurückgefallen sind, ist aber nur insofern positiv, als sie auf eine stabile Stammwähler:innenschaft hindeuten. Sie haben nämlich zwar über 7% Wähler:innenstimmen verloren, können aber von Glück sagen, dass ihre Ergebnisse von vor fünf Jahren so exorbitant gut waren, dass ihr Ergebnis von 2025 noch leicht über dem von 2015 liegt. Beruhigend ist dies vor allem deshalb nicht, weil die Partei zumindest im Bund ihre Rolle offensichtlich nicht wieder gefunden hat. Vielmehr ist sie nach dem Schock der von der FDP gesprengten Ampelkoalition und der Flucht ihrer Spitzenkräfte Baerbock und Habeck voll ins Tief der Ratlosigkeit gefallen. Das Statement ihres – als links gelabelten – Parteivorsitzenden Banaszak zum Wahlergebnis: “Wir spüren, dass der Wind uns ins Gesicht bläst, aber wir wissen, wie man aus Wind Energie macht”  ist angesichts der Situatiuon wohl so oberflächlich und dfiffus, dass selbst für Gutmeinende kaum ein grünes Profil erkennbar würde. Überhaupt wird jetzt deutlich, welch ein Fehler es für die Grünen war, auf Habecks Drängen mit Banaszak und Franziska Brantner zwei stromlinienförmige Funktionäre aus der dritten Reihe der Fraktion nach vorn zu schieben, die nach Habecks Kalkül die Regierungspolitik störungsfrei begleiten sollten, aber nun ohne Regierung aus eigener Kraft keinerlei Profil mehr deutlich machen. Omid Nouripur und Claudia Roth, von Jürgen Trittin gar nicht zu reden, fehlen in der grünen Aussenpolitik, die überhaupt nicht mehr stattfindet So feht es Grüner Politik an Analysefähigkeit, Schärfe der Kritik an Klarheit im Kurs gegen Merz und Klingbeil und vor allem an eigenem inhaltlichem Profil. Dazu mangelt es an inner- und außerparlamentarischer Kampagnefähigkeit.

Was tun? (Lenin)

Nun wird es in NRW erst einmal Wahlkämpfe um die Stichwahlen um Bürgermeisterämter geben, bei denen die Grünen gute Chancen haben und Beriwan Aymaz Köln gewinnen müsste, wenn sie sich nicht in Sachen 1. FC Köln und seinem Trainigsgelände verharkt. Aus den Kommunalwahlen im Einwohner:innenstärksten Bundesland muß aber die Politik insgesamt eine Lehre ziehen: Den Populisten der AfD wird man nicht den Boden entziehen, solange Sozialabbau Verfall der Infrastruktur begleitet von Beschimpfungen der Unterschichten, sie lägen in der sozialen Hängematte, einher geben. Nur dann, wenn SPD, Grüne und auch CDU deutlich machen, dass sie die Probleme vor Ort verstanden haben und danach handeln, wird sich das Klima verändern, könnte die AfD überflüssig werden. Die Stimmenzuwächse der Linken machen Mut und sie sollten manchen Grünen, wie etwa Winfried Kretschmann eine Lehre sein, schnellstens die Beschimpfung der eigenen Jugendorganisation  einzustellen und froh zu sein, dass überhaupt noch links motivierte Jugendliche bereit sind, sich für die Grünen zu engagieren.

 

Über Roland Appel:

Avatar-FotoRoland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    Holger Koslowski

    In Bonn ist die CDU im Rat deutlich stärkste Kraft. Servicetweet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

© 2025 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑