Wer profitiert von den steigenden Mieten und zu welchem Preis?

Lautstarke Parolen, Hunderte Menschen auf den Straßen und teils gewaltsame Angriffe auf internationale Geschäfte: Im Juli 2025 erlebte Mexiko-Stadt eine Welle des Protests. Der Grund war, dass steigende Mieten und die Folgen von Massentourismus es Einheimischen zunehmend schwermachen, in ihren angestammten Wohnvierteln zu leben, und sie in marginalisierte Randbezirke verdrängt werden. Die Wut richtet sich nicht nur gegen die wachsenden finanziellen Belastungen und erzwungenen Umsiedlungen, sondern auch gegen die sozialen und kulturellen Veränderungen, die mit der Gentrifizierung einhergehen.

Am Sonntag, den 27. Juli, versammelten sich zum dritten Mal unterschiedliche soziale Gruppen und Nachbarschaftskollektive, um gegen die wachsende Gentrifizierung in Mexiko-Stadt zu demonstrieren. Die Organisator*innen mahnten zu Gewaltfreiheit, da es in einigen Stadtteilen beim ersten Aufmarsch zu Angriffen auf Geschäfte gekommen war. Neben Musik und Protestrufen hielten die Teilnehmenden Schilder mit Aufschriften hoch wie: „Gentrificación no es progreso, es despojo“, „El barrio existe xq resiste. Mi lugar es con mi gente“ oder „Gringo go home“. Die Botschaften sind eindeutig: Gentrifizierung wird nicht als Fortschritt, sondern als Enteignung empfunden. Der Aufruf zum Widerstand an der Seite der Nachbarschaft wird als Lösung für die Verdrängung aus dem eigenen Stadtviertel proklamiert. Und viele machen die zunehmende Anzahl von „Gringos“, also vor allem US-Amerikaner*innen und weitere Zugezogene aus den reichen Industriestaaten, für die steigenden Mieten verantwortlich. Die Betroffenen fordern sie auf, die Stadt zu verlassen, denn sie wollen endlich eine „Regenerierung statt Gentrifizierung“.

„Zahlt Steuern, sprecht Spanisch, benutzt Pesos oder geht nach Hause“

Die scharfen Parolen richten sich vor allem gegen Tourist*innen und Digitalnomad*innen. Sie werden als „Privilegierte mit Rechten und Geld“ wahrgenommen, während die lokale Bevölkerung selbst aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt wird. Die Zugezogenen bleiben hingegen meist nur wenige Monate, zahlen keine Steuern, verdienen häufig in Dollar und verfügen in der Regel über eine weitaus höhere Kaufkraft als die lokale Bevölkerung. Das verschärft die soziale Ungleichheit und verstärkt das Gefälle zwischen Zugezogenen aus den reichen Industriestaaten und der mexikanischen Bevölkerung. Darüber hinaus beklagen Anwohner*innen enorme kulturelle Anpassungen. Ganze Nachbarschaften richten sich immer mehr an touristischen Geschmäckern und Bedürfnissen aus, traditionell scharfe Saucen werden nur noch mild serviert und in Bars oder Cafés erklingt Banda-Musik aus Sinaloa, die Tourist*innen mit „Mexiko-Feeling“ verbinden. Lokale Alltagskultur wird genau wie die Menschen an den Rand gedrängt.

Tatsächlich sind die Sorgen der Anwohner*innen über steigende Preise und strukturelle Veränderungen nicht unbegründet. In den letzten 25 Jahren haben sich die Wohnkosten in Mexiko-Stadt mehr als verzehnfacht. Seit der Corona-Pandemie stiegen die Immobilienpreise zusätzlich um rund 25 Prozent. Damit einhergehend wurde weltweit ortsunabhängiges Arbeiten zur Normalität und unzählige Digitalnomad*innen ließen sich, angezogen von vergleichsweise günstigen Mieten und der kulturellen Vielfalt, zeitweise in Mexiko nieder. Im Jahr 2022 intensivierte die damalige Bürgermeisterin und heutige Präsidentin Claudia Sheinbaum zudem die Zusammenarbeit mit Airbnb und der UNESCO, um die Stadt für Tourist*innen und Digitalnomad*innen attraktiver zu machen. Dies löste in Mexiko-Stadt einen sagenhaften Boom an Kurzzeitvermietungen aus.

Waren 2009 nur elf Wohnungen registriert, so sind es 2025 über 17400 komplette Häuser und Apartments sowie mehr als 26000 einzelne Zimmer. Besonders betroffen sind die zentralen Stadtbezirke Cuauhtémoc und Benito Juárez. Inzwischen gilt Mexiko als das Land mit den meisten Digitalnomad*innen. Parallel zur Zunahme von Airbnb-Wohnungen wandelte sich auch die Ladenstruktur. Statt Lebensmittelhändlern, Kurzwarengeschäften oder Werkstätten prägen nun hippe Cafés, teure Restaurants und exklusive Boutiquen die Viertel und treiben die Lebenshaltungskosten weiter nach oben. Von den steigenden Preisen und Mieten sowie der Verdrängung kleiner Läden durch große Ketten profitieren vor allem Unternehmer*innen, Investor*innen und einkommensstarke Haushalte. Einkommensschwache Familien sind gezwungen, ihre Viertel zu verlassen. Sie werden an den günstigeren Stadtrand verdrängt und sehen sich mit längeren Arbeitswegen, höheren Transportkosten und häufig schlechterer Infrastruktur konfrontiert. Das verstärkt die soziale Fragmentierung und Marginalisierung enorm.

Wenn Existenzängste in Fremdenfeindlichkeit umschlagen

Trotz der Existenznöte der breiten Bevölkerung warnt der Städteforscher Víctor Delgadillo von der Nationalen Autonomen Universität von Mexico (UNAM) vor einer einseitigen Schuldzuweisung, wonach Massentourismus und ausländische Digitalnomad*innen die treibende Kraft hinter den steigenden Mieten seien. Die pauschale Ablehnung ausländischer Tourist*innen und Migrant*innen enthalte einen xenophoben Kern und reproduziere den Mythos, Gentrifizierung werde in erster Linie durch Ausländer*innen und Weiße vorangetrieben. Dabei ist Gentrifizierung kein neues Phänomen, das erst durch den Massentourismus in Mexiko-Stadt entstanden ist. Der Begriff beschreibt im Allgemeinen eine strukturelle Verschiebung, bei der einkommensstärkere Gruppen ärmere Haushalte verdrängen. Das führt zu ökonomischer Ungleichheit, sozialer Polarisierung und für Betroffene zu erheblichen finanziellen wie emotionalen Belastungen. Die Corona-Pandemie hat in Kombination mit gezielten Stadtpolitiken den Prozess der Gentrifizierung in Mexiko-Stadt massiv beschleunigt. Doch von diesen Entwicklungen profitieren nicht nur internationale Tourist*innen und Zugezogene, sondern ebenso wohlhabende Teile der lokalen Bevölkerung, einheimische Investor*innen sowie Tourist*innen auch aus anderen Teilen Mexikos und Lateinamerikas.

Die Proteste gegen Gentrifizierung und ihre Folgen dürfen daher nicht in Fremdenfeindlichkeit abgleiten oder auf einfache Schuldzuweisungen reduziert werden. Die zugrundeliegenden Prozesse sind deutlich komplexer und beruhen auf historisch gewachsenen Entscheidungen. Städtische Politiken, Immobilienspekulationen und private Investitionen – auch von wohlhabenden Mexikaner*innen – haben die soziale Frage weitgehend verdrängt. Um der wachsenden Polarisierung entgegenzuwirken, braucht es staatliche Regulierungen, insbesondere für Kurzzeitvermietungen, etwa verpflichtende Registrierungen, Mietobergrenzen und eine Begrenzung der Aufenthaltsdauer. Ebenso notwendig sind Programme für bezahlbaren Wohnraum sowie Unterstützung für kleinere lokale Geschäfte. Erste neue Gesetze in Mexiko-Stadt, etwa die Begrenzung von Kurzzeitvermietungen auf maximal sechs Monate oder die verpflichtende Vertragsabwicklung in Pesos, wurden bereits auf den Weg gebracht. Ob diese Maßnahmen jedoch ausreichen, um die Lage der einkommensschwachen Bevölkerung tatsächlich zu verbessern, bleibt offen. Sicher ist nur: Der Konflikt um Wohnraum ist längst mehr als eine ökonomische Frage. Er spaltet die Stadt auch sozial und kulturell.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 488 Sept. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

Über Valerie Systermans - Informationsstelle Lateinamerika:

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