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Mit Naivität gegen Faschismus?

Zur schwarz-roten Außenpolitik – Es ist naiv dem Systembruch in den USA mit Appeasement zu begegnen. Europa braucht mehr Handlungsfähigkeit. Es muss lernen Hardball zu spielen.

Friedrich Merz wird in den eigenen Reihen vorgeworfen, er kümmere sich nur um Außenpolitik und vernachlässige innenpolitische Reformen. Lassen wir einmal beseite, dass mit innenpolitischen „Reformen“ vor allem der Abbau des Sozialstaats gemeint ist. Aber welche Erfolge hat Merz‘ Konzentration auf die Außenpolitik zu verzeichnen?

Merz hat das von Olaf Scholz ruinierte Verhältnis zu Frankreich wieder repariert. Das ist eine Grundvoraussetzung für ein handlungsfähiges Europa. Deutschland gilt wieder als starkes Land in Europa, obwohl Alexander Dobrindt und Katherine Reiche Europarecht jeden Tag vorsätzlich missachten.

Doch wofür nutzt Merz die selbst proklamierte Führungsrolle in Europa? Stärkt er die Handlungsfähigkeit Europas gegenüber China, dem imperialistischen Russland und dem neuen Oligarchismus in den USA? Nein – im Gegenteil. Deutschland unterminiert sie.

Deutschland blockiert europäische Maßnahmen gegen die Fortführung von Netanjahus Krieg gegen die Bevölkerung im Gaza und der Westbank. Vor allem aber hat Merz keinen realistischen Blick auf einen ehemaligen Verbündeten und Partner, auf die USA unter Donald Trump.

Appeasement

Ob bei G7, ob bilateral, oder in den Zoll-Verhandlungen, Merz setzt auf Appeasement gegenüber Donald Trump – zuletzt zu besichtigen beim gemeinsamen Besuch einer Reihe von Regierungschefs in Washington. Selenski und die Sieben Zwerge bettelten vor dem goldenen Thron von Donald dem Ersten um die Unterstützung der Ukraine. Vergeblich. Würde Putin saufen, hätte er die Krimsektkorken knallen lassen. Der Besuch war das klare Signal, dass Russland nur mit dem USA nicht aber mit der EU über eine Beendigung seines Krieges reden muss.

In der öffentlichen Wahrnehmung galt der Besuch dennoch als Erfolg, weil Trump nicht verärgert war. Das ist etwa so politisch, wie die Reportagen über Form und Farbe des Hutes von Melania Trump auf Schloss Windsor. Dass Merz dafür gelobt wird, Trump nicht verärgert zu haben, ist realpolitisch bitter.

Der Wunsch nach Appeasement gegenüber der Trump-Administration durchzieht als roter Faden die schwarz-rote Außenpolitik. Am verheerendsten war der Druck zum Appeasement bei den Verhandlungen der EU-Kommission für ein Zollabkommen. Als einseitige Vorleistung hatte sie auf deutschen Druck die schon verhängten Gegenzölle auf Stahl und Aluminium ausgesetzt gelassen. Am Ende stand es bei allgemeinen Zöllen 0:15 für die USA und bei Stahl und Aluminium weiter 0:50. Als Zückerli versprach die Kommission zusätzlich für 750 Mrd. $ ebenso klimaschädliches wie überflüssiges Frackinggas in den USA einzukaufen. Vorher war Europa von Putin erpressbar. Nun lädt die EU Trump ein, Europa zu erpressen.

Geholfen hat die Liebedienerei nichts. Sie war eine Einladung für Nachforderungen. Der Zolldeal ist nicht in Kraft. Nun verlangen die USA, dass die EU die digitalen Plattformmonopole der USA nicht länger reguliert. Der US-Energieminister verlangt zudem, dass die EU den Kohlenstoff-Grenzausgleich CBAM für US-Frackinggas abschafft. Anders gesagt: Die USA fordern, dass die EU das Ziel der Klimaneutralität in die grüne Tonne tritt.

Offensichtlich ist Merz‘ Idee gescheitert, einen irrlichternden Trump zu besänftigen um das Schlimmste zu verhindern.

Mit Naivität gegen Faschismus

Die schwarz-roten Annahmen über den Charakter von Trumps Herrschaft sind falsch und naiv. Das mag beim ehemaligen Vorsitzenden der Atlantik-Brücke Friedrich Merz biografische Ursachen haben. Es bleibt aber falsch. Das heutige Trump-Regime ist keine Verirrung eines langjährigen Partners und manchmal unangenehm robusten Rivalen.

In den USA vollzieht sich ein Systemwechsel. Ein Systemwechsel von einer Gesellschaft des demokratischen Kapitalismus hin zu einer autoritären Oligarchie.

Ein solcher Systemwechsel hat massive Auswirkungen auf die Außenpolitik. Die USA unter Trump wollen nicht länger globale Ordnungsmacht sein. Sie setzten nur noch auf die robuste Durchsetzung ihrer unmittelbaren Interessen in einer multipolaren Welt. Dabei gilt ihnen das Recht des Stärkeren.

Die USA haben die regelbasierte Weltordnung offen aufgekündigt. Es wäre naiv zu glauben, dass wegen der Schleimerei von NATO-Generalsekretär Mark Rutte die Beistandsgarantie der USA noch einen Wert hat. Europa und das von Trump bedrohte Kanada sind auf sich gestellt. Die Disruption der US-Außenpolitik zeigt sich an den Austritten aus dem Pariser Klimaabkommen und der WHO. Sie reicht von den Annexionsdrohungen gegen Grönland bis hin zu Strafzöllen gegen Brasilien, weil sich dort der Putschist Bolsonaro vor dem Obersten Gericht verantworten muss.

Es ist fahrlässig, diesen Kurs als „irrlichternd“ zu beschreiben. Trump mag irre sein. Die Trump-Administration irrlichtert nicht. Sie folgt einem Plan, den sie Schritt für Schritt umsetzt. Den Fortschritt von Make America Great Again kann man nachlesen. Die Webseite des rechten Project 2025 verzeichnet am 16. September, dem 239. Tag vom Trumps Amtszeit die Umsetzung von 47 Prozent der geplanten Maßnahmen. Für die verbleibenden Hälfte hat Trump noch 1222 Tage Zeit. Wenn er so weitermacht, braucht er nicht so lange.

In den USA vollzieht sich ein Systemwechsel wie aus dem Lehrbuch des Faschismus. Offener Rassismus leitet die Jagd der Einwanderungspolizei ICE gegen Menschen lateinamerikanischen, schwarzen oder asiatischen Aussehens. Menschen werden auch gegen Gerichtsurteile in Lager ausländischer Autokraten abgeschoben.

Das Militär wird im Innern gegen demokratisch regierte Städte eingesetzt, zunächst in Los Angeles und Washington, demnächst vielleicht in Chikago. Der Öffentliche Dienst wurde – Stichwort Bürokratieabbau – massiv gesäubert. Universitäten werden erpresst und die Wissenschaftsfreiheit – insbesondere der Naturwissenschaften und der Medizin – massiv beschnitten.

Im Herzland der Demokratie wird die Press- und Meinungsfreiheit zertrümmert. Trump-kritische Sendungen werden abgesetzt, Fernsehsender mit Lizenzentzug bedroht oder von befreundeten Oligarchen aufgekauft. Im Verein mit Xi Jinping versucht Trump TikTok unter seine Kontrolle zu bringen. Zeitungen wie die New York Times oder das Wall Street Journal werden mit Milliardenklagen erpresst. Kritische Korrespondenten mit Ausweisung bedroht. Der Angriff auf die Pressefreiheit folgt dem Vorbild Putins und Orbans.

Zuletzt stellte Trumps stellvertretender Stabschef Steve Miller die oppositionellen Demokraten in eine Reihe mit Terroristen. Die „Antifa“ wurde schon zu einer terroristischen Organisation erklärt.

Über all das wird ausführlich in der deutschen Presse berichtet. In der schwarz-roten Außenpolitik aber spielt es keine Rolle. Hier gilt immer noch business as usual. Das ist naiv. Die Faschisierung der amerikanischen Demokratie wird massive Konsequenzen für Europas und Deutschlands Außen- wie Innenpolitik haben.

Viele haben den Kopf geschüttelt, als Gerhard Schröder der Bezeichnung Wladimir Putins als „lupenreinen Demokraten“ zustimmte. Haben wir daraus nichts gelernt? Aus der Umwandlung der korrupten russischen Demokratie in eine Autokratie erwuchs die größte Bedrohung für Europas Sicherheit.

Die Konsequenzen aus der Disruption der US-Demokratie können sehr viel einschneidender werden. Deshalb muss sich die deutsche Außenpolitik ändern.

Europas Handlungsfähigkeit

Autokraten begegnet man nicht mit Appeasement. Ihnen tritt man mit Stärke gegenüber. Politisch, wie wirtschaftlich. Ja, der deutsche Außenhandel geht zu 20% in die USA – aber die USA sind nach Erhebungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft von Importen aus Deutschland mehr abhängig als von Importen aus China. Es wird Zeit im Wirtschaftskrieg Hardball zu spielen – nur dann gibt es die Chance auf eine Deal ohne Unterwerfung. Wenn man schon nicht von China lernen will, kann Europa sich ein Beispiel an Indien oder Brasilien nehmen, die Trump kühl widerstehen.

Autokraten begegnet man nicht allein. Sondern mit einem starken Europa im Bündnis mit anderen. Deshalb ist die Handlungsfähigkeit Europas entscheidend, man darf sie nicht blockieren, nicht in der Nahostpolitik, nicht beim Verbrenner-Aus. Umgekehrt gilt das auch für Frankreich bei der Ratifizierung von Mercosur. Wenn Indien, Brasilien, China und Europa geschlossen Trumps Zollkrieg widerstehen, kann er gewonnen werden.

Autokraten bekämpft man nicht, in dem man ihre Geschäfte finanziert. Deshalb muss die strategische Unabhängigkeit von fossilen Importe beschleunigt und nicht gebremst werden. Wir brauchen mehr erneuerbare Energien und weniger Frackinggas, das stärkt Europas Resilienz.

Europa hat einen massiven Nachholbedarf um seine militärische Sicherheit zu gewährleisten. Der (Drohnen-) Krieg in der Ukraine unterstreicht es jeden Tag. Es ist bitter, aber notwendig die Rüstungsausgaben zu steigern. Doch gerade eshalb dürfen die gesteigerten Militärausgaben Europas nicht länger für Einkäufe in den USA genutzt werden.

Beenden wir die schwarz-rote Naivität gegenüber Trumps Systembruch. Das würde die Konzentration auf Außenpolitik lohnen.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von der Homepage des Autors, mit seiner freundlichen Genehmigung.

Über Jürgen Trittin:

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5 Kommentare

  1. Avatar-Foto
    Michael B

    @gastautor.in Mastodon ist nicht für lange Essays gedacht. Wer den Beitrag nicht lesen will, muss endlos scrollen.

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      Martin Böttger

      Tut mir leid. Wenn das so ist, ist es keine Absicht. Den “Weiterlesen”-Tag habe ich jedenfalls dieses Mal nicht vergessen.

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      Michael B

      @martin.boettger Danke, aber verstehe nicht. Bei mir, Mastodon auf Android, kommt kein Weiterlesen–Tag, sondern ein kontinuierlicher Textstrom.

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      Martin Böttger

      Ich verstehe ebenfalls nicht und konsultiere meinen – ehrenamtlichen! – Webmaster.

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      Michael B

      @martin.boettger 🤝

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