Das A und O politischer Diskurskämpfe ist das Agendasetting. Das ist das Ressort, in dem die demokratischen Kräfte im Kampf gegen die AfD am schlimmsten versagen. Ob es nun mehr “die Politik” ist, oder mehr “die Medien”, ist einerseits die Frage nach der Henne und dem Ei. Da ich in meinem Berufsleben mehr “der Politik” angehört habe, über ihr Handwerk also mehr weiss, bin ich darüber am meisten entsetzt. Nach den Regeln repräsentativer – also faktisch: bürgerlicher – Demokratie, müsste sie die Öffentlichkeit führen. Faktisch aber lässt sie sich treiben von den gegenwärtigen konzerneigenen Triebkräften der Aufmerksamkeitsökonomie. Die müssen von Politiker*inne*n selbstverständlich aufmerksam zur Kenntnis genommen – und im optimalen Falle: bespielt – werden. Was aber heute – nicht nur hier, sondern weitgehend global – zu sehen ist, ist vor allem ideen- und wehrlos, arm und billig. Finde ich.

Gerade weil das so ist, will ich nicht aufhören mit Hinweisen auf Alternativen. Heute mit einem sichtlichen Übergewicht des insgesamt politisch furchtbar irrlichternden overton-magazins.

Darum fange ich lieber mit dem besten Text des Wochenendes an. Der war nämlich in der FAZ, und ist dort digital eingemauert. Der ist vom Medienredakteur der Sonntagsausgabe, der sich seit Jahren intellektuell positiv vom missionarischen Kreuzzügler der Milliardärsverlegerinteressen Hanfeld abhebt, Harald Staun: “Was den Fortschrittsvisionen von Musk, Thiel und Altman fehlt – Marskolonien, fliegende Autos, ewiges Leben: Die futuristisch klingenden Projekte von Musk, Thiel oder Altman sind nur aufgewärmte Fortschrittsentwürfe von gestern. Was ihnen fehlt: die Fähigkeit, die Gegenwart als veränderbar zu begreifen.” Meine Freund*inn*e*n wissen, dass ich über diverse Paywallbohrer verfüge. Ich konnte den Text lesen, und stelle ihn gerne ganz individuell, unkommerziell und nur “zum privaten Gebrauch” zur Verfügung. Es lohnt sich.

Und nun schalte ich um zu den bösen “Alternativmedien”. In diesem Fall steckt meines Wissens kein Russe dahinter, sondern ein paar Frankfurter Irrlichter aus dem Westend-Verlag. Die waren so schlau, dem verrenteten Ex-Telepolis-Chef Florian Rötzer ein publizistisches Exil anzubieten. Und Rötzer brachte ein paar Autor*inn*en mit, die das Lesen verdienen. Stephan Schleim z.B.: “Ist der Cannabis-Konsum nach der Entkriminalisierung angestiegen? – Nach einer Zwischenevaluation änderte sich der Konsum kaum, aber die Kriminalität ist stark gesunken. Drogenpolitische Schlussfolgerungen.”

Ich persönlich bin 100% Nichtraucher. Diese Debatte ist für mich relevant, weil es um Genuss- versus Verbotskultur und Kriminalisierung versus Entkriminalisierung geht. Schauen Sie mal auf Schleims Schaubild und beachten Sie die Kurve der 12-17-jährigen. Insbesondere, wenn Sie am Verbieten von Smartphones und asozialen Medien irgendwas richtig finden. Beachten Sie die Legalisierung 2012. Was ändert sich bei dieser Altersgruppe? Nichts. Weil es sie nicht interessiert. Ist für ihre Lebenspraxis komplett egal. Platter Symbolismus für die, die es für ihr eigenes Wohlbefinden nötig haben.

Die damit einhergehenden Gefahren sind selbstverständlich dennoch nicht zu leugnen, aber nicht kinder- oder jugendspezifisch. Florian Rötzer: Studie: Kognitive Beeinträchtigungen nehmen zu, vor allem bei den jüngeren Menschen – In den USA breitet sich vor allem bei den Unter-40-Jährigen eine kognitive Beeinträchtigung oder Störung (cognitive disability) aus. Darunter werden ernsthafte Konzentrations-, Gedächtnis- und Entscheidungsprobleme verstanden.” “Jüngere” sind in diesem Zusammenhang unter 40, also eindeutig Erwachsene, und sehr, sehr häufig Eltern.

Zum Trump-Netanjahu -Deal schreibt Moshe Zuckermann, für Netanyahu und seine Freunde wahrscheinlich ein lupenreiner “Antisemit”: Der Trump-Netanjahu-Deal – Donald Trump und Benjamin Netanjahu haben einen Plan zur Beendigung des Gazakrieges erstellt. Obwohl er von vielen in der Welt bejubelt wird, birgt er große Schwierigkeiten in sich.” Auch diesen Autor hatte Rötzer zu overton mitgebracht.

Wie auch den Ex-Bundeswehroffizier Jürgen Hübschen: Vorsicht vor den Heißspornen ohne sicherheitspolitischen Sachverstand! – Ein paar kurze persönliche Anmerkungen zur Kriegsrhetorik – und ein dringender Rat.”

Nicht vollständig zu folgen bereit bin ich Kurt Hackbarth/Jacobin mit seiner nahezu widerspruchsfreien Eloge auf Claudia Sheinbaum. Da über sie als politisch erfolgreiche Linke aber hierzulande absichtsvoll null berichtet wird, bleibt die Lektüre ihrer starken Seiten umso aufschlussreicher. Immerhin blamierte sich diese Dame gegenüber dem “mächtigsten Mann der Welt” weit weniger, als die speichelleckenden und auf Schleimspuren rodelnden sieben EU-Zwerge. Kurt Hackbarth: Sheinbaums erstes Amtsjahr war ein Triumph – Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum zeigt: Der Ausbau von Infrastruktur und Sozialstaat ist ein Erfolgsmodell. 3.000 Kilometer neue Eisenbahnschienen, 1,8 Millionen neue Wohnungen und Zustimmungswerte um 80 Prozent sprechen für sich.”

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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