Im Zeitalter Trumps: Lateinamerikas Migrationskorridore im Umbruch

Tagtäglich durchkreuzen Tausende den amerikanischen Kontinent auf der Suche nach Schutz vor Gewalt, Armut und Verfolgung. Auch eine immer repressivere Migrationspolitik im Norden wie im Süden kann dem Migrationsvorhaben jener, die keine andere Wahl haben, als ihr Schicksal Schritt für Schritt neu zu erfinden, keinen Abbruch tun. Ein Blick auf die Entwicklungen entlang der wichtigsten Migrationskorridore des Kontinents.

Im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts haben sich sowohl die Migrationsbewegungen auf dem amerikanischen Kontinent als auch die staatlichen Kontrollen, denen sie unterliegen, stark verändert. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) stieg die Zahl der Schutzsuchenden in Amerika zwischen 2005 und 2020 von sieben auf 15 Millionen Personen. Dieses Wachstum ist nicht nur auf die Auswanderung aus Venezuela zurückzuführen, sondern auf Migrant*innen aus unterschiedlichen Regionen der Welt: aus Südamerika, der Karibik, aus Afrika und Asien, wobei letztere Regionen einen geringeren Anteil ausmachen, aber dennoch bedeutend sind. Aufgrund der damals tendenziell lockereren Migrationsgesetze in Südamerika nutzten viele Menschen aus anderen Weltregionen südamerikanische Länder als erste Station auf dem Weg nach Norden. Einige setzten ihre Reise in die USA fort, während Tausende, die dort keine Zuflucht fanden, ein zweites, drittes oder viertes Ziel in Südamerika ansteuerten, bevor sie sich wieder gen Norden orientierten.

Auf den Anstieg der Zahlen und die zunehmende Kom­plexität dieser Bewegungen reagierten die Staaten der Region mit verstärkten Maßnahmen. Die anfängliche Offenheit – obwohl schon immer selektiv und rassistisch – wurde von restriktiveren Regulierungen und härteren Grenzkontrollen abgelöst. So werden Migrationsbewegungen zunehmend illegalisiert. Auf ihren Routen sind sie unterschiedlichen Formen der Kontrolle ausgesetzt, die von staatlichen, kriminellen, paramilitärischen, humanitären und grenzpolizeilichen Akteuren ausgeübt werden.

Diese vielfältigen und zeitlich unterschiedlichen Migrations­bewegungen – nach Norden, nach Süden oder zwischen Ländern des Südens – haben neue Migrationskorridore hervorgebracht: transnationale Räume, geprägt von der Bewegung von Menschen, Geld, Waren und auch illegalen Geschäften. Sie werden von Kontrollregimen und Grenzökonomien durchzogen, in denen sich Legales und Illegales vermischen, um grenzübergreifende Bewegungen zu ermöglichen.

Bis 2020 waren das vor allem folgende Migrationskorridore: die Route in die USA, die die Andenregion mit Zentralamerika über den Darién-Urwald verbindet; die Route, die die Karibik mit Brasilien und der Andenregion verbindet; und die Route, die Brasilien und die Andenregion mit dem Cono Sur (Argentinien, Uruguay, Chile) verbindet. Die Covid-19-Pandemie hat diese Korridore jedoch neugestaltet und zu einer massiven Umorientierung der Migrant*innen nach Norden geführt. Damit wurde der Korridor Andenregion-Zentralamerika zum bedeutendsten Migrationskorridor der Region, und die globalen Transitströme durch den Darién vervielfachten sich. Diese Tendenz blieb bis ins Jahr 2024 bestehen, als die Antimigrationsstimmung aus Washington stärker wurde, die ihren Widerhall auch unter vielen lateinamerikanischen Regierungen fand. Mit Trumps zweiter Amtszeit 2025 hat sich das Blatt radikal gewendet: Seine brutale Anti-Einwanderungsoffensive bestimmt die Dynamiken auf den Migrationsrouten des Kontinents neu.

Flaschenhals Darién

Die Covid-19-Pandemie hat aufgrund der Mobilitätseinschrän­kungen zeitweise die Zahl der Bewegungen auf diesen Routen stark reduziert. Seit der Lockerung der Maßnahmen ist der Transitverkehr ab 2021 wieder in Schwung gekommen und bis 2024 sprunghaft angestiegen. Die Migrations­ursachen bestehen dabei nicht nur weiterhin, sondern haben sich sogar verschärft. Angesichts des Verlusts ihres Eigentums und der Bedrohung ihres Lebens wurde Migration für Millionen Menschen aus Lateinamerika, der Karibik, Afrika und Asien zur einzigen – und oft letzten – Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern. Viele lebten bereits auf dem Kontinent, andere kamen hinzu, alle angezogen vom „American Dream”, der als Ausweg aus den permanenten multiplen Krisen immer verlockender wurde.

In dieser Situation hat der sogenannte Darién-Gap zwischen Kolumbien und Panama auf der Route Anden-Zentralamerika notorische Berühmtheit erlangt. Laut der panamaischen Migrationsbehörde haben zwischen 2010 und 2019 109 000 Personen den Dschungel durchquert. Im Jahr 2023 stieg die Zahl der jährlichen Durchquerungen des Dariéns auf rund 520 000 Migrant*innen aus 70 verschiedenen Herkunftsstaaten. Dieser sprunghafte Anstieg hat die betroffenen Regionen stark verändert: Grenzökonomien sind entstanden, die Anzahl von Herbergen und Hostels vervielfachte sich, und es etablierte sich eine neue Infrastruktur für den Land- und Wasserweg aus Ecuador, Kolumbien und Panama. Gleichzeitig haben internationale Organisationen und lokale NROs ihre Präsenz an den Grenzen ausgebaut, aber auch kriminelle Akteure verfestigen ihre Kontrolle. Die massenhaften Durchquerungen des Darién wurden durch eine offenere Migrationspolitik der Biden-Regierung begünstigt. Laut einer Studie des US-amerikanischen Think Tanks Pew Research Center stieg von 2020 bis 2023 die Anzahl der undokumentierten Personen in den USA von 10,5 auf 14 Millionen.

Outsourcing von Migrationsbekämpfung

Im Juli 2024, noch unter der Regierung Biden, wurde der starke Anstieg der Migration gebremst. Als Reaktion auf die Wahlkampftaktik Trumps, der die Ankunft von Migrant*innen als „Invasion“ von „Kriminellen“ aus dem Süden darstellte, die von den Demokraten zugelassen wurde, verschärfte Biden die Grenzkontrollen und schränkte den Zugang auf dem Landweg ein.

Für ihre verschärfte Abschottungspolitik fanden die USA in Panama einen wichtigen Verbündeten. Ebenfalls im Juli 2024 übernahm José Raúl Mulino die panamaische Präsidentschaft mit dem Versprechen, „den Darién zu schließen“. In nur acht Monaten hat die Trump-Administration zugleich eine Jagd auf Migrant*innen in die Wege geleitet, die das Herzstück eines weiß-suprematistischen, oligarchischen und techno-faschistischen politischen Projekts ausmacht und direkte Auswirkungen auf alle Migrationskorridore des Kontinents hat. In demonstrativer Weise werden die Leiden der Migrant*innen medial ausgeschlachtet. Es handelt sich um eine Pädagogik der Grausamkeit und der Furcht, die Tausende in Angst leben lässt. Gleichzeitig wurde die US-amerikanische Grenze weiter militarisiert und abgeriegelt, und die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, wurde ausgesetzt. Mit Hilfe von Erpressungen hat Washington seine Migrationspolitik durchgesetzt und läutet somit eine neue Phase des Outsourcings ein: Nun werden Abschiebungen ausgelagert. Die USA deportieren nun nicht mehr nur Migrant*innen in ihre Herkunftsländer, sondern auch in lateinamerikanische Drittländer wie Mexiko, Guatemala, El Salvador, Honduras, Panama und Ecuador. Das hat den Anden-Zentralamerika-Korridor verändert: von einem Durchgangsraum zu einer Zone der Eindämmung und des erzwungenen Stillstands. Panama hat seine Rolle als regionales Haft- und Abschiebezentrum gefestigt, als es im Juni 2025 ein millionenschweres Abkommen mit den USA unterzeichnete.

Rückkehr nach Süden

Das alles hat die Süd-Nord-Migration stark gebremst und zu tiefgreifenden Veränderungen auf den Migrationskorridoren der Region geführt. Die Abschaffung der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID führte zu einem drastischen Rückgang der Aktivitäten internationaler Organisationen und NROs entlang der Route Andenregion-Zentralamerika. Gleichzeitig hat der abrupte Rückgang der Migrant*innen, die eine wichtige Einnahmequelle darstellten, auch die lokale Wirtschaft in den Grenzregionen getroffen: So sahen sich viele gezwungen, auf Tourismus oder traditionelle Aktivitäten wie Landwirtschaft und lokalen Handel umzustellen.

Während die Bewegungen Richtung Norden versiegen, zeichnet sich ein neues Phänomen ab: Transitbewegungen zurück in das Herkunftsland oder zu vergangenen Aufent­halts­ländern in Südamerika. Diejenigen, mit denen ich im Juli 2025 sprach, während sie in Panama und Kolumbien warteten, sagten, dass sie keine klaren Pläne hätten. Sie lebten in großer Unsicherheit. Es waren vor allem venezolanische Familien, die schon seit Jahren auf der Durchreise in die USA waren. Sie waren sich einig, dass der „amerikanische Traum“ vorerst ausgesetzt sei. Pausieren bedeutete jedoch nicht anzuhalten; stattdessen entschieden sie sich dafür, ihre Route nach Süden umzuleiten. Einige wollten nach Venezuela zurückkehren, ohne zu wissen, ob sie von dort aus wieder aufbrechen müssten. Andere wollten dorthin zurückkehren, wo sie bereits gelebt hatten: Medellín, Bogotá, Quito, Lima oder Santiago. Andere wollten nach Argentinien oder Brasilien oder sich in Chile niederlassen, weil sie dort Verwandte haben. Einige sagten sogar, sie würden nach Venezuela zurückkehren und von dort aus versuchen, nach Spanien auszuwandern.

Verschärfte Migrationspolitik im Süden

Die südamerikanischen Länder, die die verschiedenen Migrationskorridore bilden, sind von krimineller Gewalt, politischer Instabilität und wirtschaftlicher Fragilität gekennzeichnet. In einigen Fällen haben sie sich sogar ausdrücklich der Politik Washingtons angenähert, was sich auf ihre Migrationspolitik und die Zukunft der Rückkehrer*innen auswirken wird. Kolumbien, Ecuador und Peru haben mit den USA Kooperationsabkommen zur „Migrationssicherheit” unterzeichnet, die bald in Kraft treten werden. Ecuador hat seinerseits die Visumspflicht für „Durchreisende“ eingeführt und seine Migrationskontrollpolitik verschärft, indem es die Möglichkeit der Legalisierung, insbesondere für Venezolaner*innen, ausgeschlossen sowie Inhaftierungen und Abschiebungen Tür und Tor geöffnet hat. Darüber hinaus erwägt die derzeitige Regierung die Rückkehr von US-Militärstützpunkten als Teil der militarisierten Auslagerung von Grenzen in die Regionen.

Brasilien hat Transitvisa eingeführt, um die Ankunft von Migrant*innen, insbesondere von transkontinentalen, die in die USA weiterreisen wollen, einzudämmen. Auch Chile, das früher einer der Hauptmigrationspole war, hat seine Politik mit Festnahmen und Abschiebungen bis 2025 verschärft. Obwohl dieses Szenario in Argentinien noch nicht eingetreten ist, hat das Land ebenfalls einen restriktiven Kurs in seiner Migrationspolitik eingeschlagen und die Legalisierungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Die große Frage stellt sich also für die Transit- und Aufnahmegesellschaften: Sind wir der Aufgabe gewachsen, den Kampf der Migrant*innen zu begleiten und zu unterstützen? Dieser Kampf verkörpert das Menschenrecht auf ein menschenwürdiges und sicheres Dasein. Und so sind die Migrationskorridore weit mehr als bloße Durchgangswege. Sie sind Räume, in denen Geschichten des Widerstands, der Hoffnung und der Kontrolle eng miteinander verwoben sind. In ihnen erstreiten die Migrant*innen immer neue Wege, um ihr Leben in Bewegung neu zu erfinden und weiterführen zu können.

Soledad Álvarez Velasco ist Sozialanthropologin und Humangeografin. Seit über einem Jahrzehnt begleitet sie den Kampf von Migrant*innen auf der Durchreise. Sie ist Professorin an der University of Illinois Chicago. Übersetzung: Charlotte Fischer. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 489 Okt. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

Über Soledad Álvarez Velasco - Informationsstelle Lateinamerika:

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