Der Sachverhalt, um den es hier geht, ist einfach. Wenn du einen Hurensohn “Hurensohn” nennst, geht er auf dich los. Oder? Wer es nicht glaubt, kann es mal ausprobieren. Nehmen wir zum Beispiel einen Kerl, der dich mit seinem Kleinpanzer, SUV genannt, beinahe überfahren hätte, weil er hartnäckig Zebrastreifen ignoriert. Oder einen, der nach drei Jagertees die Skipiste herunterwalzt und beinahe dein Kind gerammt hätte. Einen, der frech deinen Platz einnimmt, weil er behauptet, schon immer da gewesen zu sein. Undsoweiter.
Du wählst ein offenes Wort und rufst ihm nach: Hurensohn! Dann riskierst du genau den Aufenthalt im Krankenhaus, den der Angesprochene verdient hätte. Die Welt ist ungerecht. Das müssen gerade diejenigen begreifen, die sie gern verbessern möchten.
Primitiven männlichen Instinkten begegnen wir auch in der sogenannten großen Politik, zuletzt anlässlich der Ermordung des US-amerikanischen Influencers Charles Kirk im September 2025. Irgendein psychisch labiler Typ, aber Scharfschütze (passt das? Oh ja), hat den 31-jährigen Kirk während einer Veranstaltung an der Utah Valley University erschossen. Weil Kirk ein weit rechts stehender Agitator war, wird der Täter quasi zwangsläufig den Linken zugerechnet. Dieses Framing setzte der Gouverneur von Utah, Spencer Cox, sofort nachdem er von dem Mord unterrichtet worden war, in die Welt. Beweise dafür gibt es nicht, aber die braucht man ja nicht in einem Land, wo der Populismus pandemisch grassiert. Spencer gehört der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage an. In Vorbereitung auf das Jüngste Gericht trainiert er seinen kriminalistischen Scharfsinn.
Der vermeintliche und nach Lage der Dinge wahrscheinliche Täter kommt aus einer Mormonenfamilie, in der man traditionell die Republikaner wählt. Die Tatwaffe, die er benutzte, war eine deutsche Mauser aus dem Besitz des Großvaters. Das gilt als linke Traditionslinie. Weitere wichtige Tätermerkmale kennen wir schon von dem Schützen, der Donald Trump während des Wahlkampfs in Butler am Ohrläppchen traf: kontaktarm, talentierter Mathematikschüler, Studium nach dem ersten Semester abgebrochen, danach Wahl eines technischen Berufs, Schießausbildung (nicht abgebrochen). Sagt das etwas aus über den mathematischen Nachwuchs in den Vereinigten Staaten von Amerika? Oder über ein in der Gesellschaft verbreitetes Mathematiker-Klischee?
Eine Analyse der Gewaltexzesse einer pathologischen Waffengesellschaft kann von Europa aus schwerlich vorgenommen werden. Zu einer Entgegnung sind wir allerdings aufgerufen, wenn die derzeitige staatliche Autorität der USA in Gestalt ihres Präsidenten ein europäisches Subjekt für das Attentat verantwortlich macht: the antifa. Donald Trump variierte die Schuldzuweisung, die der Gouverneur von Utah vorgenommen hatte, in einer für ihn typischen Weise. Ihn interessiert nicht, wer der Täter war und welche Motive ihn leiteten. Das stört ihn nur bei seinem Frontalangriff, den er mit beachtlicher innenpolitischer Wucht startete. Weil die Antifa Charles Kirk als Faschisten bezeichnet hätte, habe sie ihn zum Abschuss freigegeben. Deshalb sei die Antifa eine terroristische Organisation und müsse als solche bekämpft werden.
Der arme Charles Kirk – dies ist nicht ironisch gemeint: seine Ansichten waren verachtenswert, seine Methoden hinterhältig, aber als Person ist er dennoch zu bedauern – dient Trump und seinen Anhängern nur als Vehikel. Die Leute, die Amerika mit Hitlergruß und Sturmabteilungen für Remigration (abgekürzt: SA) groß machen wollen, möchten nicht als Faschisten bezeichnet werden. Sonst greifen sie zu roher Gewalt.
Wie bei den Hurensöhnen. Wohlwissend, dass mit diesen Worten die Aussicht auf ein Einreisevisum in die USA für immer verwirkt ist, weitere Erklärungen also überflüssig sind, dürfen keine Missverständnisse aufkommen: Weder die MAGA-Bewegung noch deren Führer sollen als Hurensöhne bezeichnet werden. Dazu ist es noch zu früh. Nur der Mechanismus ist der gleiche. Du nennst eine Sache bei einem Namen, der trifft, und dann bekommst du sehr schnell zu spüren, wie recht du hattest.
Recherchen haben ergeben, dass es in den USA nur eine einzige, lokale und leider nicht sehr bedeutende Initiative gibt, die sich tatsächlich als Antifa-Gruppe versteht und auch so nennt. Die hat Donald Trump mit seinen Tiraden nicht gemeint. Als Antifa bezeichnet er vielmehr alles, was ihm nicht in den Kram passt: unliebsame Journalisten, Politiker der Demokraten, Fernsehmoderatoren, Künstler, linke Aktivisten. Juristisch gesehen ist es selbst einem Autokraten nicht möglich, dieses Sammelsurium als Organisation zu definieren und auf eine Verbotsliste zu setzen. Das war auch nicht der Zweck der Übung.
Trump verfolgt eine planmäßige Faschisierung. Der Plan ist im project 2025 der konservativen Heritage Foundation beschrieben: Umbau des Staatsapparats zu einer willfährigen Herrschaftsmaschine der Exekutive; Jagd auf vermeintlich illegale Ausländer und Abschiebungen in großem Stil; Kulturkampf gegen die sogenannte woke Zivilgesellschaft, also gegen Frauenrechte, gegen sexuelle Autonomie, gegen den Schutz von Minderheiten; Gleichschaltung der Justiz – die Politik bestimmt das Recht; Kontrolle von Medien, Schulen und Universitäten; Einschränkung von gewerkschaftlichen Rechten; Zerschlagung sozialer Einrichtungen; Alleinherrschaft des Führers statt Gewaltenteilung.
Hinter vorgehaltener Hand verheimlichen die Protagonisten des project und insbesondere größenwahnsinnige IT-Milliardäre ihre Anleihen bei Hitler und Mussolini nicht. Zum Teil finden sie es sogar schick, sich damit zu brüsten. Doch wehe, man deutet mit dem Finger darauf. Mit seiner Kampagne gegen die Antifa will Trump vor allem einschüchtern. Die demokratische Opposition (womit nicht nur die gleichnamige Partei gemeint ist) soll sich hüten, die Dinge beim Namen zu nennen: dass es die deutsche Sektion der US-Gesellschaft ist, die mit dem angelsächsischen Liberalismus abrechnet und dass eben dieser Flügel schon im zweiten Weltkrieg mit NS-Deutschland sympathisierte. Der Hass, den Trump gegen die Antifa schürt, ist die Kehrseite der Verdrängung eigener faschistischer Anteile.
Gewiss, der Faschismus-Vergleich scheint oberflächlich zu sein, und er ist durch politische Agitation abgedroschen. Andererseits ist eine Erinnerungskultur, die sich nicht in Sonntagsreden erschöpft, absolut notwendig. Und von Tag zu Tag dringlicher. Das ist der Job der Antifa. Sie erinnert daran, wie das Projekt 1933 ausgegangen ist. Solche Kronzeugen, zumal aus Europa und erst recht aus Deutschland, muss der Angeklagte fürchten.
Wie der Hurensohn, der fürchtet, als Kunde identifiziert zu werden.
PS: “Hurensohn” gehört zu einem Vokabular, das weit über der Toleranzschwelle liegt. Mit starken moralischen Skrupeln und stechenden stilistischen Schmerzen hat der Autor eine Ausnahme gemacht, um sich dem behandelten Milieu auf Anhieb verständlich zu machen.

Hallo, lieber Detlef,
ein treffender Text! Nur mit dem “Hurensohn” hadere ich ein wenig (auch wenn du das schon selbst monierst), aber wie du weißt, kommt dieses Schimpfwort aus genau der Macho-Ecke, die du eigentlich kritisierst. Fällt uns kein anderes Schimpfwort ein? Mir auf die Schnelle nicht. Die aus dem Tierreich zu bemühen, finde ich auch unpassend, ungerecht und nicht stimmig. Es mangelt uns tatsächlich an Schimpfwörtern, die politisch korrekt wären.
Ich habe unwillkürlich gedacht. Wie würde ich reagieren? Oder wie habe ich es früher getan? Kurz: mich nicht angesprochen gefühlt. Meine Mutter kann nicht gemeint sein, ich also auch nicht. Warum in den Infight gehen? Sinnlos. So habe ich mit 18 schon meine Kriegsdienstverweigerung begründet (mit 2:1 Gewissensprüferstimmen erfolgreich) – und würde es heute und jederzeit wieder tun.
Habe ich nun krankhaften Testosteronmangel? Oder warum bin ich derart untauglich?