Was wir in der vergangenen Woche in Teilen der Union erleben konnten, ist nichts anderes, als das Überschwappen der unsäglichen Methoden von Donald Trumps menschenverachtender Flüchtlingspolitik, verbunden mit einer Diffamierung und Verachtung von Recht und Gesetz. Was war passiert? Der christdemokratische Außenminister Wadephul bereiste Syrien und sagte sinngemäß: unter dem Eindruck der Verhältnisse und Zerstörungen, angesichts der humanitären und sicherheitspolitischen Lage vor Ort könne er sich nicht vorstellen, dorthin derzeit Menschen abzuschieben.

Das rief die CDU/CSU-Abschiebefraktion und den Vorsitzenden auf den Plan. Deren Ziel, ohne Rücksicht auf die Rechtslage Abschiebungen nach Syrien durchzusetzen, wurde auf der Fraktionssitzung und darumherum deutlich. Innenminister Dobrindt (CSU) betonte, weiterhin Gefährder, Straftäter und Menschen ohne Aufenthaltstitel sofort…unverzüglich!… abschieben zu wollen. Das sind übrigens bundesweit maximal um  900 Personen. Trotzig forderte der rechte Unionsflügel entgegen Wadephuls Feststellung vehement, mehr und schneller Abschiebungen durchzuführen. Schließlich habe man sich das in der Koalition zum Ziel gesetzt, so wurde öffentlich und hinten herum geschwätzt.

Gemeint war wohl eher, die Forderungen der AfD nach Massenabschiebungen selbst vorab zu vollziehen. Denn, das wissen ja inzwischen alle, einer solchen Partei entzieht – man verzeihe mir meinen Zynismus – bereitet man am besten den Boden, indem man ihre Forderungen übernimmt.

Spahns “patriotische Pflicht”

Jens Spahn setzte dem Ganzen die Krone auf, indem er meinte, in diesem Zusammenhang daran erinnern zu müssen, dass die Deutschen nach dem Krieg die “vaterländische Pflicht” erfüllt hätten, das zerstörte Land wieder aufzubauen, das könne man von den Syrern, die in Deutschland leben, auch verlangen. Der diesem Vergleich innenwohnende Zynismus scheint einer breiteren Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr aufzufallen. Setzte doch Spahn damit die in Deutschland verbliebenen NS-Täter und besiegten Soldaten Nazideutschlands mit den geflohenen Verfolgten des Assad-Regimes und Opfern des Krieges mit syrischen Wurzeln gleich. Wollte man der Logik, die diesem unsäglichen Statement Spahns innewohnt, folgen, wäre das ungefähr so, als wenn US-amerikanische Politiker nach Kriegsende 1945 gefordert hätten, dass die Verfolgten des Hitler-Regimes, wie Einstein und Oppenheimer, Adorno und Horkheimer und viele zehntausende andere, gefälligst sofort nach Deutschland zurückkehren und beim Wiederaufbau ihres Landes als “patriotischer Pflicht” hätten helfen müssen.

Die Wirkung von Trumps öffentlichen Demütigungen

Längst zeigt es sich, wie die Bilder von gedemütigten, in gebückter und gefesselter Haltung vorgeführten und zu Schwerverbrechern herabgewürdigten Opfern der US-Flüchtlingspolizei, ihre Wirkung auf das Denken in Deutschland nicht verfehlen. Genau deshalb hat Trump diese Show der Unmenschlichkeit inszeniert, um den inneren moralischen Kompass der Menschen in der demokratischen Hemisphäre so weit wie möglich nach rechts zu verbiegen. Bei der Union scheint das nachhaltig gewirkt zu haben. Denn die öffentlichen und die hinterhältigen Angriffe durch kaum verdeckte Rücktrittsforderungen gegen Außenminister Wadephul, der einer liberalen CDU in Schleswig-Holstein entstammt, folgten auf dem Fuße. Sie entspringen derselben ideologischen Nähe von Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur AfD, wie die – erfolgreichen – Diffamierungen der Richterkandidatin fürs Bundesverfassungsgericht Brosius-Gersdorf.

Rechtsstaatliche Verfahren unbekannt oder nicht gewollt?

Die Kritik an Johann Wadephul aus der eigenen Partei macht einen Abgrund von Ignoranz gegenüber Fluchtgründen, internationalem hunanitärem und Flüchtlingsrecht ebenso deutlich, wie ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit. Für die verwaltungsrechtlichen und gerichtlichen Verfahren im Flüchtlings- und Ausländerrecht gelten immerhin nationale und internationale Standards, die den Schutzanspruch von Flüchtlingen definieren – im Gegensatz zu Trump- und AfD’scher Willkür und Hassmotivation. Sie sind Dreh- und Angelpunkt asylrechtlicher Entscheidungen der Gerichte und der Beurteilung, wer als Flüchtling nach Genfer Konvention Schutz zugesprochen bekommt. Quelle sind in jedem Fall die Lageberichte des Auswärtigen Amts. So wird seine Autorität und die seines Amtes in Frage gestellt, dessen Lagebeurteilung für den Ausgang von Flüchtlingsentscheidungen ausschlaggebend ist. Die AfD will das politische Faustrecht statt objektiver Lagebeurteilung, populistische Willkür anstelle von humanitären, rechtstaatlichen Entscheidungen. Und Teile der Union sind dabei behilflich. Das ist kein Zufall, sondern Folge einer Strategie, die rund um die Uhr auf den (a)sozialen Netzwerken der US-Tech-Oligarchen, allen voran Antidemokrat Elon Musk, von uns allen nachgelesen werden kann.

Von wie vielen Flüchtlingen ist überhaupt die Rede?

In Deutschland leben derzeit 948.000 Syrer, davon die meisten, 667.000, mit Aufenthaltserlaubnis, Rund 10.500 Syrer waren Anfang  November 2025 formal ausreisepflichtig, von denen aber 9.600 über einen Duldungsstatus aus humanitären Gründen verfügen. Laut Mediendienst Migration hatten neben 4.633 anerkannten Asylberechtigten 291.645 Personen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, 298.830 subsidiären Schutz,  18.518 Kontingentflüchtlinge und 6.403 Personen mit  Abschiebungsverbot. Syrien, regiert von ehemaligen IS-Anhängern, die Kreide gefressen haben, kann kein Feld für Massenabschiebungen sein. Es geht um rund 900 Menschen. Und angesichts dieser Fakten stellt sich die Frage, welches Theater der rechte Flügel der CDU/CSU samt ihres Vorsitzenden Jens Spahn hier eigentlich aufführt.

Ist diese Unionsführung überhaupt noch zur Einsicht fähig?

Die Union hat in den letzten drei Jahren, allen voran Friedrich Merz und Jens Spahn, dazu  beigetragen, die Wahlergebnisse der AfD zu verdoppeln. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass sie es immer schlimmer machen. Mit Vernunft und Beachtung des häufig von Politikwissenschaft oder demokratischer Öffentlichkeit geäußerten Rates, dass Rechtsextremisten nicht erfolgreich damit bekämpft werden können, indem man ihre Forderungen übernimmt, könnte die Union endlich davon ablassen, Öl ins rechte Feuer zu gießen, es mal wieder mit Verhältnismäßigkeit und Aufklärung versuchen. Aber das würde Einsicht und Bereitschaft zur kritischen Reflektion voraussetzen. Davon scheinen die beiden Herren und ihre Anhängerschaft jedoch weit entfernt. Aber das betrifft nicht nur die Migrationspolitik. Das gilt auch für die Klimawende und die Verteidigung unserer Demokratie gegen die US-Tech-Oligarchen.

Über Roland Appel:

Avatar-FotoRoland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net