Die Lösung aller Krisen?

Der Ukraine-Krieg dauert fast vier Jahre. Dessen Ende ist nicht in Sicht. Viele weitere Kriege gefährden Frieden und persönliche Sicherheit überall auf der Welt. Diese Kriege konterkarieren zudem die Bemühungen, die Klimakrise zu bremsen und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen umzusetzen.

Es erstaunt daher wenig, wenn sich zwei renommierte und kritische Klimapolitik-Journalistinnen mit einer Streitschrift „Die Sicherheitslüge“ zu Wort melden. Wohin führen Analyse und Empfehlungen von Susanne Götze und Annika Joeres?

Die beiden Autorinnen kritisieren die Regierungen in Berlin und Brüssel, die „unaufhörlich von Sicherheit“ (22) redeten, jedoch nichts unternähmen gegen die wachsende Abhängigkeit von Energieimporten. Die Entwicklungen seit 2020 (Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Handelskonflikt mit den USA, Hitzewellen und Unwetterkatastrophen) seien Ausdruck einer bedrohlichen Polykrise. Die Unabhängigkeit von Rohstoffimporten sei zur Frage des Überlebens (26) geworden. Sicherheit und Unabhängigkeit dürften allerdings nicht wie bisher „vorwiegend diplomatisch und militärisch“ (32) angestrebt werden. Vorrangig sei es vielmehr, die Energiewende unbedingt fortzuführen. Mit der Abkehr von Öl und Gas wäre auch für eine „nachhaltige Verteidigung“ (40) gesorgt.

Was sich zunächst eingängig liest sowie einleuchtend und überzeugend klingt, erweist sich als eindimensionaler Lösungsansatz. Das Büchlein basiert auf einer durchgängigen Sichtweise im Sinne eines „the evil is always and everywhere“. Zu den „Bösen“ zählen die Autorinnen neben Putin und Russland alle anderen üblichen Verdächtigten: Orban, Saudi-Arabien, Katar, Aserbaidschan, in Europa schon seit langem die fossilen Energiekonzerne sowie die rechten Parteien wie die AfD; hinzu gekommen seien aus dem Westen Trump, Vance, die US-Tech-Milliardäre. Sie alle eint das Feindbild der Erneuerbaren Energien. Öl und Gas seien ohnehin „untrennbar mit autoritären Regimen“ (62) verbunden, die „unsere“ (westlichen) Demokratien bedrohten. Weil bundesdeutsche Politikerinnen wie etwa Ex-Kanzlerin Merkel, die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Kanzler Merz den Nutzen der Erneuerbaren Energien nicht angemessen zu würdigen wüssten, gehörten auch sie als Nicht-Belehrbare (ebenso die noch aktuellen Entspannungspolitik-Anhängerinnen und -Anhänger in der SPD) in diese Gruppe.

Wer sind nun die „Guten“? Hier bleiben die Aussagen der Autorinnen eher vage. Die „Guten“ zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich gegen alles „Böse“ wenden. Vor allem das Erringen der Energie-Unabhängigkeit sei für sie ein unabdingbares Ziel; zudem eine selbstständige EU als „souveräner Akteur“, die sich „als demokratische Bastion zwischen den Muskelprotzen China, Russland und den USA“ behaupte (32). Bleiben damit nur Politikerinnen und Politiker aus den Reihen der Grünen (Baerbock, Hofreiter, Nanni, Nouripour) verstärkt durch Strack-Zimmermann, Roth und Kiesewetter sowie durch PR-Leute wie Gaub, Major, Masala und Neitzel? Oder sind „die Guten“ vor allem „Wir“ – die Leserinnen und Leser –, die den Autorinnen in ihrem Streit (gegen wen?) folgen (sollen)?

Es führt in die friedens- und klimapolitische Irre, den gebotenen Ausbau der Erneuerbaren Energien dem vorrangigen Ziel der eigenen sicherheitspolitischen Selbstbehauptung unterzuordnen, um mit diesem Allheilmittel aus der konfliktgeladenen Weltlage herauszukommen. Einen Militärapparat auf Basis Erneuerbarer Energien anzustreben und diesen als „nachhaltig“ anzupreisen – welch ein Hohn für die zahlreichen Menschen, die seit 1990 in lokalen Initiativen oder Energiegenossenschaften unverzagt gegen den massiven Einfluss der Lobbyisten in den Energiekonzernen, in der Politik und in den Medien für den bisher erreichten Stand beim Umstieg auf Erneuerbare Energien gesorgt haben.
100% Erneuerbare Energien demokratisieren die Energiepolitik, befrieden die Interessenkonflikte um Rohstoffe auf unserem Planeten und sind „ein netter Nebeneffekt“ (81) für den Klimaschutz, wie es der Bürgermeister von Großbardorf, einer 100%-Erneuerbare-Energie-Gemeinde in der Nähe von Schweinfurt, der Autorin Susanne Götze im Gespräch verriet. Die grundlegenden Vorteile des zügigen Energietransfers von den fossilen zu 100% Erneuerbare Energien lassen sich in den zahlreichen Büchern von Hermann Scheer (1944 – 2010) nachlesen. Seine Texte geben weiterhin hilfreiche Orientierungen für politisch Handelnde: kommunal, regional, bundes- und weltweit.

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