Digitaler Omnibus: Wie Medien aus Angst vor Komplexität eine Debatte verzerren

Bei sperrigen Themen gerät die Komplexität unter die Räder. Das neue große Gesetzespaket der EU reduzierten einige Medien auf das Thema Cookie-Banner – und gaben dabei die Kritik von Datenschützer:innen teilweise falsch wieder. Sowas muss echt nicht sein. Ein Kommentar.

Das Digitalpaket der EU, auch digitaler Omnibus genannt, verschlechtert die Rechte von Bürger:innenauf verschiedenen Ebenen. Es beschneidet Auskunftsansprüche, schiebt dringend erforderliche KI-Regulierung auf, schränkt den Anwendungsbereich der Datenschutzgrundverordnung ein und baut gleichzeitig aus, was Unternehmen als „berechtigtes Interesse“ bei der Datennutzung erklären können. Zum Beispiel die Nutzung unserer persönlichen Daten für KI-Systeme ohne Einwilligung.

Und ja, die Kommission will auch die nervigen Cookie-Banner weniger nervig machen. Wer sich gestern in deutschen Medien zu dem Thema informieren wollte, konnte oftmals den Eindruck bekommen, dass es bei diesem großen Paket nur um diese eine Sache geht. Die Tagesschau etwa titelte: „EU will Cookie-Klicks im Internet reduzieren“.

Das ist ja toll, die EU hilft uns, wie beim Mobilfunk-Roaming. Super! Toller, schöner Omnibus!

Grob verzerrt dank dpa

Ursprung dieses positiven Framings des Gesetzespaketes scheint eine Agenturmeldung der dpa zu sein, denn Aufmachung, Aufbau und Einordnung ähneln sich in vielen Artikeln zum Thema, unter anderem beim Spiegel, MDR, der Zeit, Bild.de, Web.de oder 20min.ch.

In einem dpa-Video zum Thema wird gar suggeriert, dass sich die Kritik der Datenschützer gegen die neuen Cookie-Regeln richte. Diese seien ein Einknicken vor der Tech-Lobby, heißt es dort. Hier wird die Gesamtkritik an zahlreichen Maßnahmen des Digitalpaketes als ausgerechnet gegen den von Bürgern positiv wahrgenommenen Teil des Pakets gerichtet dargestellt. Eine grobe Verzerrung der Kritik, ausgelöst durch Verkürzung und Komplexitätsreduktion.

Die dpa und mit ihr alle Medien, die die Meldung wenig bearbeitet übernommen haben, sind damit auch einem Spin der EU-Kommission auf den Leim gegangen: Die hatte in den vergangenen Tagen stets behauptet, ihre Pläne würden die eigene KI- und Datenschutzregulierung gar nicht schwächen. Gleichzeitig stellt sie in ihrer Kommunikation ziemlich klug die Vorschläge zu Cookie-Bannern nach vorne.

Traut den Menschen doch mal etwas zu!

Nun sind die Cookie-Banner tatsächlich Teil des Gesetzespaketes, und sicherlich könnte man die neuen Cookie-Regeln als nicht weit genug gehend kritisieren. Oder nachfragen, warum ausgerechnet Medien als große Treiber der Cookie-Flut von der neuen Regel ausgenommen werden sollen.

Der Fokus der Kritik von Daten- und Verbraucherschützern am Digitalen Omnibus war aber ein komplett anderer. Sie sehen Grundprinzipien des Datenschutzes in Gefahr. Cookies fanden dort nur am Rande statt. Doch das ist bei dieser Art der Berichterstattung egal, denn die Cookie-Banner sind eben der Inhalt des Omnibusses, der den Leser:innen am bekanntesten ist. Und dann bekommt der Bauer eben genau das, was er immer schon frisst.

So eine Herangehensweise täuscht über das gesamte Paket und dessen Gefahren hinweg. An diesem Beispiel zeigt sich auch, dass viele Medien den Leser:innen einfach zu wenig Komplexität, Details und Erklärungen zutrauen. Alles muss easy peasy widerstandslos reinballern statt konkret und komplex im Kopf anzukommen. Der Leser darf nicht ins Nachdenken kommen oder herausgefordert werden, sondern wird seicht bespielt. Schade!

Den Leser:innen hilft das natürlich nicht, dass ihnen kaum mehr als der Cookie-Banner zugetraut wird – mal ganz abgesehen davon, dass bei dieser Darstellung fälschlicherweise in den Köpfen hängen bleibt, dass das EU-Paket eigentlich doch ganz gut sei und die nervigen Datenschützer das irgendwie bremsen wollen. Und das ist dann eben grob daneben.

Markus Reuter recherchiert und schreibt zu Digitalpolitik, Desinformation, Zensur und Moderation sowie Überwachungstechnologien. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Polizei, Grund- und Bürgerrechten sowie Protesten und sozialen Bewegungen. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes, für eine TikTok-Recherche 2020 den Journalismuspreis Informatik. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org, sowie auf Mastodon und Bluesky. Kontakt: E-Mail (OpenPGP). Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Lesen Sie ergänzend auch diese lehrbuchhafte Abhandlung von Ralf Heimann/MDR-Altpapier zu einem anderen skandalösen Fall von Komplexitätsreduktion: “Stichwort Messer – Bei Straftaten verbreiten Medien oft ungeprüft PR-Meldungen. Das ist anerkannt, aber gefährlich – wie ein Fall in Bochum wieder zeigt.”

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