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Digitaler Wochenrückblick 30. November 2025

Ich weiß, wieder zu spät – deshalb bestrafe ich die treuesten Leser mit einem brutalst möglichen Selbstversuch, ganz am Schluss!

Wie ich ihn liebe, diesen morbiden Charme des Untergangs, das fängt schon an der Zapfsäule an. Da ist es hilfreich, vorher zu wissen, was der edle Tropfen kostet. Ah, Dir geht das auch so? Du hast schon eine App, wo Du immer auf dem neusten Stand bist? So kann ich ganz souverän entscheiden, welchen Rüssel ich wo in meine Karosse reinschiebe.

Die App ist super! Du hast nicht nur die kostenlose Version mit Werbung und Spionagefunktion, sondern die teure „pro-Version“ ohne Werbung, aber mit marktgerechter Spionagefunktion? Prima, dazu noch Google-Maps, damit wirklich keine Daten von Dir verloren gehen!

So eine Tank-App gibt es zum Beispiel auch vom ADAC. Um den Spritpreis rauszufinden, möchten die, dass ich einen Account anlege, nichts leichter als das. Damit das sicher funktioniert, arbeitet der ADAC mit Microsoft zusammen, die verwalten die Accounts. So viel Datenabfluss stärkt meine Souveränität an der Zapfsäule.

Das sieht Microsoft ganz genauso. Stolz sind sie drauf, bei Microsoft! Sie würden die umfassendsten Souveränitätslösungen auf dem heutigen Markt anbieten, sie wollen weiterhin sicherstellen, dass das EU-Parlament und andere europäische Kunden die Optionen und die Sicherheiten haben, die sie benötigen, um vertrauensvoll arbeiten zu können, sagt Robin Koch ein Sprecher von Microsoft dazu.

So etwas hören veränderungsunwillige Politiker gerne, die kleben an ihrem Windows, wie die Fliegen an der Windschutzscheibe. Denen geht es nicht besser als Dir, der da vor dem Monitor thront. Windows abzuschaffen ist so schmerzhaft wie eine Amputation. Dennoch ist es möglich, den Dreck von der Windschutzscheibe zu kratzen. Im Fuhrpark vom EU-Parlament kratzen sie diesen Dreck nur von Windschutzscheiben, die aus europäischer Produktion stammen. Warum nur da?

Beseelt von so viel Lust auf Souveränität packen EU-Parlamentarier quer durch die Parteienlandschaften das heiße Eisen an. Den Aufruf zieren u.a. so große Namen, wie Aura Salla (EVP), Birgit Sippel (SPD), selbst Marie-Agnes Strack-Zimmermann der FDP zeichnet, auch unsere Grüne in der EU Alexandra Geese oder Leila Chaibi von der linken Seite wollen der Übermacht nordamerikanischer Tech-Konzerne entfliehen, finden wir bei euractiv

Sie träumen davon, Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Windows den Wind aus den Segeln zu nehmen, so schreiben sie es in einem Brief an Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Die Unterzeichner fordern, sich intern vom cloudbasierten Office 365 aus dem Hause Microsoft zu verabschieden, gehen noch viel weiter: „Unser mittelfristiges Ziel sollte die vollständige Ausmusterung von Microsoft-Produkten, einschließlich des Betriebssystems Windows, sein. Das ist einfacher, als es sich anhört.“ Aber nicht nur das, auch keine Mäuse, Bildschirme, Tastaturen von LG, Dell oder HP, sondern durchweg europäische Produkte, damit wollen sie im EU-Parlament die technologische Souveränität vorantreiben.

Sie möchten nicht Milliarden von Steuergeldern ins Ausland verschleudern und empfinden Unbehagen, weil die Tech-Konzerne zu einem politischen Werkzeug werden können, wie zum Beispiel beim Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), die Microsoft mit einem Klick handlungsunfähig gemacht hat, weil sie Chefankläger Karim Khan abgeschaltet haben, die setzen jetzt zwangsweise auf OpenDesk

Helmut Brandstätter, ein mutiger liberaler Österreicher koordiniert die Gruppe der EU-Tech-Revolutionäre, getrieben von Angst, dass mithilfe der Microsoftprodukte das Parlament über Nacht abgeschaltet werden kann oder – noch produktiver – umfassend überwacht wird. Das sei nichtUSA-feindlich“ sondern eine „pro-europäische Souveränitätsmaßnahme“.

So ein Parlament arbeitet langsam und umständlich. Einen solchen Beschluss aus politischen Gründen zu fassen, mag noch funktionieren, aber spätestens bei der Umsetzung kracht es an die Wand. Denn für die Sekretärin im EU-Parlament sieht alles ganz anders aus, es ist auch nicht mehr so umständlich zu bedienen – aber das will sie gar nicht wissen, dann bringt sie lieber ihren privaten Windows 10 Laptop mit – oder eine Schreibmaschine.

Diese Revolution scheitert an Politikern, wie der Bockwurst.  Die rechnen mithilfe von Microsoft-Produkten vor, dass nur Lösungen mit „markterprobter Software“ zum Einsatz kommen dürfen, bei Palantir hat er es gleich bei der Ausschreibung in Stein gemeißelt.

Wie schwierig und hochproblematisch das alles ist, kann jede und jeder im Selbstversuch herausfinden. Zum Beispiel an der Zapfsäule, die Preise sind öffentlich verfügbar – ohne datenhungrige Zwischenhändler, die erscheinen bei der Suche im App- oder Playstore an erster Stelle. Das ist unübersichtlich und die kostenfreien Open Source-Lösungen ohne Spionagefunktion sind kaum zu finden, deshalb seien die Perlen kurz genannt, der Tankerkönig oder Tankste die tun, was Du wissen willst, ohne Datenaderlass, Accountzwang oder einer kostenpflichtigen „pro-Version“.

Natürlich brauchen sie zwingend die Standortinformation, geht in diesem Fall nicht anders. Da lohnt ein Blick in die Datenschutzerklärung, die ist kurz und verständlich, die haben nichts zu verstecken. Zum Vergleich einfach eine andere App dazu nehmen und diese Datenschutzerklärung lesen, da hast Du nichts mehr zu verstecken.

Wer in der Welt unterwegs ist, eine Karten-App braucht, der hat Google-Maps mit gebucht, bei Android ist das praktischerweise mit allen anderen Google-Accounts (Mail, Adressbuch, Kalender etc.) gleich verknüpft, dann wissen die alles. Wirklich ALLES! Du hast doch nichts zu verstecken? Du kannst es gar nicht, mit diesem Rechenknecht in der Tasche.

Der nächste Selbstversuch droht, Google-Maps löschen und Magicearth installieren. Die Datenschutzerklärung ist so kurz, wie der Weg zum Ziel, geht auch ohne Google. Einen Haken hat diese App, sie kostet Geld und zwar 99 Cent – im JAHR! Auch hier gibt es keine „pro-Version“, trotzdem warnt sie vor Blitzern, lässt sich sogar so ins Fenster legen, dass ein Head-Up-Display möglich ist. Die App erfordert, sich ein wenig damit anzufreunden, nicht weiter schwierig und belohnt mit vielen kleinen sinnvollen Einstellungen.

Muss Google eigentlich wissen, welche Sprachen ich nicht beherrsche? Nöh, statt Google-Translate www.deepl.com aufrufen, kommt aus Köln und ist weltweit verfügbar.

Google als Suchmaschine? Muss auch nicht sein. Selbst der Firefox hat als Standard Google, das braucht kein Mensch, als Standard-Suchmaschine Search Brave nehmen  oder Qwant (kommt aus Frankreich) benutzen.

Ja, das ist alles ein bissel anders und wer etwas ändert, wird nach kurzer Zeit feststellen: Das ist ja super!

Am Window-Rechner lässt sich das ebenso einrichten: den Browser Edge nicht durch Chrome ersetzen, sondern Firefox (aber die Standardsuchmaschine ändern) – oder gleich Brave installieren.

Und dann? Nicht wundern, nach einem der nächsten Updates – aus Versehen oder nicht – sind wieder die Default-Einstellungen mit Edge und Bing zu sehen. Zwei, drei Mal gesucht und nicht geändert, weil gerade keine Zeit war. Dann bleibt es eben wie es ist, ging grad nicht anders.

Die Schreibkraft im EU-Parlament wird es nicht ändern – aber Du, Du kannst das, ganz souverän. Wenn Du willst…

Über Christian Wolf:

Avatar-FotoChristian Wolf (M.A.) ist Autor, Filmschaffender, Medienberater, ext. Datenschutzbeauftragter. Geisteswissenschaftliches Studium (Publizistik, Kulturanthropologie, Geografie), freie Tätigkeiten Fernsehen (RTL, WDR etc.) mit Abstechern in Krisengebiete, Bundestag Bonn und Berlin, Dozent DW Berlin (FS), Industriefilme (Würth, Aral u.v.m), wissenschaftliche und künstlerische Filmprojekte, Projekte zur Netzwerksicherheit, Cloudlösungen. Keine Internetpräsenz, ein Bug? Nein, Feature. (Digitalpurist)

Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    Arthur Zupf

    Das nenne ich einmal: Wirkliche Aufklärung mit Alternativen und dabei auch noch mit Witz geschrieben. Danke dafür!
    Fahre gerade mit einem pünktlichen ICE quer durch Deutschland.

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