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Komödie des Geldes, 16. Dezember 2025: Drehmoment

Um halb acht wurde Alwys auf seinem Palettenbett von einem harten Klopfen an der Mansardenzimmertür geweckt. Für einen Moment lang fühlte er sich noch einmal in die nicht von heimischem Glück gesegnete Hochhaus-Wohngemeinschaft zurückversetzt, wo Claudius’ Brummen und Gulpen in der Morgendämmerung ihn oft zur Weißglut gebracht hatte. Es war aber nicht das Brummen von Claudius. Es war die sonore Stimme von Legu, die zum Aufstehen ermahnte – schließlich hatte man doch etwas Großes vor!

Alwys stieß sich beim Aufrichten jäh den Kopf an der Dachschräge, im gleichen Moment sprang die Zeitschaltuhr an: Jessica. Geht doch! Sofort richteten sich alle Zellen von Alwys wie Elementarmagnete nach Plus aus und streckten sich energiegeladen dem Tag entgegen.

„Weitermachen, trotz allem, das ist die Message des Blues,“ fabulierte Alwys in Gedanken, „das ist die Dialektik des Blues.“

Er öffnete das Dachfenster und duschte erst einmal frische Landluft. Die Kühle des Morgens kam über ihn wie ein Heiliger Geist.

„Wieviel Prozent hat so ein Heiliger Geist eigentlich?“ schürzte Alwys die Lippen, als hätte er einen guten Schnaps gekippt.

Er sang den Break zwischen erstem und zweitem Teil von Jessica mit, wenn die Tonart in die Unterdominante wechselt, fast wie bei Lousiana Red – nur schneller -, und der Song ohne Worte wirklich ins tiefe Register absteigt, dort noch einige deklamatorische Wendungen auf der Gitarre erfährt und schließlich ausgeblendet wird.

„Das ist doch kein Schluss, so ein Fadeout,“ ärgerte sich Alwys über die sogenannte Industrieausblende. „Wofür hatte das Abendland eigentlich die Kadenz erfunden,“ grübelte er weiter, „wenn sie im Pop nicht mehr gilt? Weil da das meiste sowieso nur drei Akkorde brauchte? War da nicht was mit Genesis? Die kannten aber schon einen 7/8tel Takt, immerhin!“ Der ganze Pop, dachte Alwys, sei schon eine einzige Kadenz, ein einziger Schluss, ein Schlussverkauf. Eine Musik ohne Anfang, weil sie nur damit beschäftigt sei, irgendwie Schluss zu machen, damit der Käufer schnell das Portemonnaie zücke, um die Scheibe zu kaufen. Dropping hatte das Adorno in seiner Musiksoziologie genannt, scheinbarer Massengeschmack durch Wiederholung. “Scheiß Kulturindustrie!“ schoss es Alwys durch den Kopf.

„Bei uns steht jetzt alles auf Anfang, Schluss zu machen erlaubt sich kein ernsthafter Musiker – seine Musik mitten im Gedanken einfach immer leiser werden zu lassen, wo gibt es denn so etwas? Oder doch? Manche Stücke kommen ja klanglich aus dem Nichts, der erste Satz von Beethovens neunter Sinfonie etwa. Eine banale Quarte, unmerklich steigt sie ab. Mehr ein Schluss als ein Anfang. Oder Gustav Mahler erste Sinfonie Der Titan,“ sinnierte Alwys weiter während er immer mehr in den Tag hineinkam. (Diese Sinfonie wurde keine Torwarthymne, d.A.) „Genau das gleiche. Eine Quarte aus dem Nichts als Fake eines Kuckucksrufs,“ dachte Alwys mit einigem Stolz über seine scheinbar kühnen Gedanken – und noch mehr über seine, wie er meinte, immens reflektierte Repertoirekenntnisse.

Um Repertoirekenntnisse zu erwerben hatte er schon während des Zivildienstes 35 Mark beim Versandhändler 2001 investiert: Ein Klassikpaket, über zwanzig leicht gewölbten Langspielplatten mit Dvoraks Cellokonzert, Svatoslav Richter spielt Beethoven und Stokowski dirigiert Heitor Villa-Lobos Urwald-Sinfonie Uirapuru. „Stark. Kennt kein Schwein!“ freute er sich damals über den Schnapper. Bei Beethovens 5. Sinfonie kam es allerdings zu störenden Tonhöhenschwankungen, wenn das da, da, da, daaaa am Ende mehr wie ein Aha klang. „Versendet sich,“ imitierte er dann einen Rundfunkspruch.

Die „Die „Komödie des Geldes” von Arthur Zupf erscheint mit freundlicher Genehmigung vom 16. bis 24. Dezember 2025 als Erstveröffentlichung exklusiv im Extradienst.

Über Arthur Zupf:

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Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    Christian Wolf

    Hmm, aber es gibt doch heute noch die Freaks, die den Langspielplatten (LP – für die Kleinen unter den Lesern) mehr abgewinnen können, als den CD‘s (die Abkürzung hier selbsttätig einfügen).

    Persönlich konnte ich den Platten nie viel abgewinnen, dieses analoge Rauschen mit viel Aufwand zu unterdrücken – das war eine Herausforderung für die Technik.

    Digital lässt sich das völlig ausblenden – nur diese Stille wird als unnatürlich empfunden, also was machen? Genau das, wir rauschen da rein…

    Alan Parsons wa r Tontechniker, auch bei Pink Floyd und hat den analogen Platten in den Rillen mehr abgefordert, als Pink Floyd sich getraut hat.

    Die digitale CD war dem haushoch überlegen, vor allem der Dynamikumfang unglaublich zur LP.

    Naja, aber weil das alles letztendlich auf zigarettengroßen Lautsprechern abgespielt werden muss, die davon nichts zeigen können, wird die CD kastriert, damit es auch rüberkommt.

    Der Dynamikumfang – also der Teil von leise zu laut – wird eingeschränkt, zudem addiert sich ein geringer Dynamikumfang zur Sendeleistung, was Privatradios gerne aufnehmen.

    Das ist auch der Grund, warum die Werbung immer so laut ist, obwohl ich die Lautstärke gar nicht verändert habe. Und deshalb nervt das Privatradioprogramm von einem kleinen Radio auf der Baustelle mehr, als WDR 5.

    Bleibt der Plattenspieler mit einem Verstärker und Boxen, da kann ich mit den Mängeln leben, obwohl die CD besser ist.

    Von MP3 und Streaming für die Masse rede ich nicht.

    Jedenfalls lebe gerne mit Mängeln, wenn ich mehr davon habe – nur die Platten sollten plan sein, dann gibt es auch keine Tonhöhenschwankungen.

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