… nach einem progressiven Kulturbegriff – Doch lieber woke: Auf der Konferenz „Under Pressure“ der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung überlegte man, wie ein rechter Kulturkampf zu kontern sei.
Es ist noch nicht lange her, dass in Deutschland der linke Kulturkampf abgeblasen wurde. „Wir machen Schluss mit dem woken Kram“ drohte die CDU-Bildungspolitikerin Karin Prien dieses Frühjahr im besten Trump-Ton auf der Plattform X der auf Identitätspolitik fixierten Linken. Der Kulturjournalist Jens Balzer hatte diese schon ein Jahr zuvor mit seinem Buch „After Woke“ verabschiedet, denn linker Identitätspolitik liege ihm zufolge ein Antisemitismus inne.
Der Glaube mit einer Rückkehr zu den Bread-and-Butter-Themen diejenigen zurückgewinnen zu können, die mit dem Konzept kultureller Befindlichkeiten fremdeln, könnte sich freilich als gefährlicher Irrtum erweisen. Denn die Kultur, das machte zu Wochenbeginn in Berlin ein Kongress der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung deutlich, ist kein Nebenkriegsschauplatz der Gegenrevolution von rechts, die derzeit die Welt erschüttert, sondern ihr Schlüsselelement.
Im Kern der unter dem Titel „Under Pressure!“ diskutierten Fallbeispiele der von den europäischen Rechtspopulisten bedrohten Kultur rangieren nämlich die nationale Identität oder das nationale Erbe – weit vor der Eindämmung der Inflation.
Heimatmuseum und Heldengral
Wenn Freie Wähler in Ostdeutschland lokale Museen in Heimatmuseen umbenennen wollen, wenn das Museum des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk zum polnischen Heldengral umfunktioniert werden soll oder Donald Trump per Exekutivorder den „classical“ Architekturstil für US-Bundesbauten obligatorisch macht, versprühen die europäische und die imperiale Provinz dasselbe Gift, dessen Verwendung sie der Linken vorwerfen: das des „exklusiven Identitarismus“. So formulierte es die Sozialanthropologin Sharon Macdonald von der Berliner Humboldt-Universität.
egen derlei Politiken kann sich der Kulturbetrieb mit moralischer Standfestigkeit wehren, mit Solidar-Netzwerken und ausgeklügelten Dialogstrategien vor Ort. Beizukommen ist der rechten Offensive aber nur mit einem progressiven Begriff von Kultur. Und da ist, das sah der SPD-Kulturpolitiker Helge Lindh realistisch, der „demokratische Bogen“ schlecht gerüstet.
Es dürfte auch nicht reichen, sich darauf zu verlassen, dass es in Deutschland nach einer Machtübernahme der AfD so kommt wie in Viktor Orbáns Labor der „illiberalen Demokratie“. Nach Ansicht des Autoritarismus-Forschers Bálint Mikola von der Central European University, die inzwischen von Protofaschist Orbán aus Budapest vertrieben wurde, ist Orbáns Projekt einer konservativen Nationalkultur gescheitert. Trotz massiven Mitteleinsatzes habe sie nie die Qualität der von ihr angefeindeten „Eliten“-Kultur erreicht.
Doch wenn „Symbole und kollektive Rituale zur Bildung neuer Gemeinschaften“, auf die Mikola seine Hoffnung setzt, wenn Kamala Harris’ und Zohran Mamdanis „politics of joy“ oder die derzeit beschworenen „alternativen Narrative“ einen Weg aus der Autoritarismus-Falle weisen könnten, bedürfte es dafür nicht auch einer linken Identitätspolitik und damit der eines voreilig für obsolet erklärten Kampfes?
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

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