Auf dem Gehsteig in Trechtinghausen, gleich nach Bingen, ging eine Dame mit ihrem weißen und schwarzen Schnauzer gassi. „Weißer und schwarzer Schnauzer, das ist ja auch wie im Souvernirladen. Egal, übrigens, wo der steht,“ dachte Alwys. „Den weißen und schwarzen Schnauzer mit Magnetmaul und Magnethintern gibt es am Kölner Dom genauso wie am Hamburger Hafen oder am Fahrkartenkiosk der Köln-Düsseldorfer entlang des Rheins.“ Alwys hatte nie ganz verstanden, was man mit denen eigentlich machen sollte. Bei einem Ausflug zum Laacher See hatte er vor ewigen Zeiten beobachtet, wie im Ausflugscafé ein Junge die beiden Schnauzer gegeneinander schob und einer davon dann weghupfte oder auf der Tischdecke umkippte.

Claus musste den Hanomag mit Zwischengas beim Schalten fahren. Der Gang rastete danach mit einem brachialen Ratsch ein. Es klang eher so, als würde der Kleintransporter mit Sitzbänken gleich wegen Kolbenfressers stehen bleiben und der Motor verrecken. Das schreckte die Fahrgemeinschaft immer etwas auf. Auch orgelte Claus am liebsten im dritten Gang bis fünfundsiebzig, achtzig Stundenkilometer. Die hohe Drehzahl des Motors wurde von den alten Gummilagern, auf denen der Block auflag, nicht abgefangen, sondern eins zu eins auf das Fahrwerk und von da auf die selbst tragende Karosserie übertragen, dass es nur so vibrierte und eine irrsinnige Lautstärke im Wagen erzeugte, ein Dröhnen, dass das Trommelfell nach innen eindrückte und sich von da seinen Weg zu den für das Schmerzempfinden verantwortlichen Nervenenden bahnte. Ein Gespräch war schlechterdings unmöglich geworden. Aus dem nur mit Mittelwelle ausgestatteten Becker-Radio, weil der UKW-Knopf nicht mehr eingerastet blieb, drangen exotische Stimme aus dem weißen Rauschen aller empfangbarer Frequenzen in das Chassis, wie von Außerirdischen.

„Was für eine Überfahrt,“ dachte Alwys und beobachtete dabei Claus, wie er mittlerweile zum antiken Fährmann mutiert war. Angel hatte ihren Kopf auf Joshs Schulter liegen. Josh schraubte an seinem Echopedal für die Bassgitarre. „Wir sind auch ein Echo,“ schoß es Alwys durch den Kopf, „das Echo der 68er, die in den Geschichtswald hineingerufen haben, und wir sind dabei herausgekommen.“

Die Temperatur stieg im Hanomag an wie in einem Treibhaus. Das Chassis vibrierte jetzt auch im Standgas, wenn sie an den Ampeln vor einigen Baustellen an der Strecke auf Grün warteten oder am Fähranleger eine ausschiffende Wagenkolonne passieren lassen mussten. Alles hatte sich unter dem Wärmeeinfluss ausgedehnt, das Blech, die Fugen zwischen den Wagenteilen, die Gedanken, der Blick. Der Rhein war hinter Bingen episch breit geworden, ein Mississippi für Blasse mit kilometerlanger Sicht Richtung Nordwesten – mehr Norden als Westen. Auf der Höhe von Bingen war der Strom um fast neunzig Grad in seine ursprüngliche Fließrichtung Norden eingebogen.

Jetzt sprach niemand mehr im ältlichen Kleinbus. Auch der große Plan war jedem so weit weg entfernt wie die Wüste Gobi. Was denn für ein Plan? Ach ja, der große Plan. Den Knall klauen. Jedem gingen ganz andere Sachen durch den Kopf. Alwys zählte jetzt wieder Ausflugsdampfer und fühlte sich als ein ganz kleiner Punkt in so einem Souvernir-Kugelschreiber mit Rheinpanorama. Claus hatte mittlerweile seine Sonnenbrille aufgesetzt und bleckte die Zähne beim Fahren wie ein Schimpanse , eine Art Grimasse aus verklemmtem Lächeln und gemäßigter Anstrengung. Jelena hatte ihr Deutschbuch dabei und lernte das Plusquamperfekt und den Konjunktiv. Josh war eingenickt. Angel weckte ihn immer dann wirsch auf, wenn er vornüber zu kippen drohte oder zu schnarchen begann. Harry drehte sich krumme Kippen im Voraus – man konnte ja nie wissen.

Die „Die „Komödie des Geldes” von Arthur Zupf erscheint mit freundlicher Genehmigung vom 16. bis 24. Dezember 2025 als Erstveröffentlichung exklusiv im Extradienst.

Über Arthur Zupf:

Avatar-FotoUnter der Kennung "Gastautor:innen" fassen wir die unterschiedlichsten Beiträge externer Quellen zusammen, die wir dankbar im Beueler-Extradienst (wieder-)veröffentlichen dürfen. Die Autor*innen, Quellen und ggf. Lizenzen sind, soweit bekannt, jeweils im Beitrag vermerkt und/oder verlinkt.