Entscheidet sich das Kapital für die Faschismusoption? Und sind die Demokrat*inn*en noch satisfaktionsfähig?

Unsere Gastautoren Wilhelm Neurohr und Henning Venske werfen solche gedanklichen Fragen mit einigem Recht auf. Da trifft es sich, dass von überraschender Stelle und mit wohltuender Deutlichkeit ein Gruss in die Feiertage gesandt wird: vom NRW-Landesinnenminister Herbert Reul. Der Mann will nichts mehr werden. Und Leute, die ihn besser kennen als ich, beschreiben ihn als beratbar und diskursfähig. Einen CDU-Innenminister!

Was zu anderen Zeiten normal war, ragt nun aus dem Trash heraus. Verheerendstes Beispiel, weil es die Menschen direkt berührt, ist zu diesen Feiertagen meine alte Heimatstadt Essen, in der u.a. mein 93-jähriger Vater lebt. Er ist Knappschaftsrentner und könnte Nötärzt*inn*en, die ihm u.U. das Leben retten müssen, noch ein stattliches Trinkgeld geben. Doch die meisten alten Menschen im Ruhrpott müssen sich nun unmittelbar in Lebensgefahr sehen. Dank der begnadeten Intelligenz der Essener Kommunalpolitik, die sich bundesweite Beachtung erarbeitete, weil sie für “Fehlfahrten” kassieren will. Die Kommunen und die Krankenkassen – allesamt in ihren Aufsichtsgremien mit deutschen Politiker*inne*n versorgt und besetzt – wollen sich nicht einigen, wer die Kosten trägt.

Mein Vater wohnt ohnehin näher an den noch pleiteren Städten Gelsenkirchen und Gladbeck, deren Krankenhäuser eh näherliegen. Und die nicht so irre im Hirn sind, wie ihre Kolleg*inn*en in der “Metropole” Essen. Aber selbstverständlich aufgeschreckt.

Noch illustrativer als diese Schmerzfreiheit im Ruhrgebiet ist die folgende Preziose aus dem Sauerland. Aus einem Kaff, mit dem ich eine Kindheitserinnerung verbinde. Als ich 7 war, fuhren wir in Urlaub, mit dem Opel Kadett – oder war es noch der Lloyd Alexander TS? – an der Baustelle des Bigge-Stausees vorbei. So, dachte ich damals, muss es auf dem Mond aussehen. Wir wanderten im Umfeld der Hohen Bracht, in dem ich meine Eltern in Panik versetzte, weil ich ihnen selbstständig aus den Augen wanderte. Sonntags in die Kirche gingen wir dort, wo diese Geschichte spielt, in Altenhundem/Lennestadt, das sogar einen Bahnhof hat:

Ansgar Schneider/overton: Wie im Großen, so im Kleinen – Eine Stadt im Sauerland vernichtet die von den eigenen Bürgern errichtete Infrastruktur und gibt irritierende Antworten zu den Hintergründen.”

Die inhaltliche Substanz dieser Story ist vernachlässigbar. Der Ablauf aber ist “paradigmatisch”. Wikipedia erklärt es so: “Ein Paradigma (Plural Paradigmen oder Paradigmata) ist eine grundsätzliche Denkweise.” Wo mögen die Demokrat*inn*en der Gegenwart nur diese Denkweise herhaben? Welches Sein bestimmt dieses vakuumartige Bewusstsein? So kommt es dann so.

Bevor nun das allgemeine Ramentern losgeht – auch er hat Recht:

Matthias Warkus/uebermedien: “Aufregerthemen im ZDF: Beim ‘Hammer der Woche’ ist vor allem einer behämmert: der Rechtsstaat“. Die herrschenden Billigmedien sind Teil des Problems. In den öffentlichen Medien geht es nicht hochwertiger zu, als in den Krankenkassen oder Kommunen (s.o.). Und wo sie Teil der Lösung sind, weisen wir gerne darauf hin.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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