Wer heute die Wahlprognosen von Infratest Dimap liest, reibt sich die Augen: CDU 26%, SPD 15%, Grüne 17%, FDP 10%, Linke 10% AfD 16%. Verwunderlich ist das nicht, denn es gibt drei Schlüsselthemen, in denen die Politik der GroKo offensichtlich versagt.

Erstens: Die Wohnungspolitik, in der sich offensichtlich nichts bewegt. Weder wird massiv in den sozialen Wohnungsbau investiert, noch werden endlich wirksame Maßnahmen gegen Spekulation, Mitpreisexplosion und Luxussanierung unternommen. Die Bürger spüren, dass hier der Markt nichts mehr richten wird, es massiver Eingriffe zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums bedarf, um internationale Immobilienheuschrecken zu bändigen, Maßnahmen, die diese Koalition aus ideologischen Gründen scheut.

Zweitens: Die Dieselkrise. Fahrverbote drohen, kommen immer näher und flächendeckender, aber außer Absatzförderprogrammen für die Autokonzerne (die die sowieso aushandelbaren Rabatte nicht übersteigen)  passiert rein gar nichts. Warum die Entwicklung und Nachrüstung wirklich wirksamer, nachhaltiger Techniken, die mehr Arbeitsplätze erfordert, nun laut VW-Chef Diess plötzlich 100.000 Arbeitsplätze gefährden soll, glaubt diesem Lügner, dessen Komplize Stadler weiter einsitzt, sowieso niemand mehr. Man stelle sich vor, die NASA hätte, als der Unfall von Apollo 13 auf dem Weg zum Mond passierte, die Hände in den Schoß gelegt und den Astronauten gesagt, sie könnten ja nach einer eventuellen Rückkehr zur Erde das defekte Modul für eine Umtauschprämie gegen ein funktionierendes tauschen – eine Reparatur während des Raumfluges käme auf keinen Fall in Frage.

Drittens: Die Umweltpolitik – die Klimakrisen spitzen sich zu, der Handlungsdruck steigt und die Bundesregierung macht nichts. In Hambach und an den anderen Braunkohletagebauen tun Regierungen und Konzerne so, als interessiere sie das nicht und die GroKo stimmt erstmals und wieder gegen jede Vernunft in der EU für niedrigere CO² Ziele für Kraftfahrzeuge. Die “Klimakanzlerin” will 30%, wo andere 40 – 50% Senkung der Immissionen fordern. Deutschland als umweltpolitisches Schlusslicht – hallo?

Das Ergebnis sind die oben dargestellten Umfragewerte. Was sagen sie uns? Leider nur, dass die GroKo die völlig falsche Politik macht. Und dass die WählerInnen sich das nicht mehr gefallen lassen.

Aber – und das ist ganz wichtig –  es zeichnet sich noch keine funktionierende Politikalternative ab – und das haben die Parteien zu verantworten. Die Stärke der Grünen weist auf die Versäumnisse der Regierung hin – sie ist noch keine Empfehlung für Grüne Konzepte. Die FDP nimmt wieder zu, weil viele Unionsanhänger sich von Seehofers Eskapaden angewidert abwenden. Das sagt noch nicht, ob sie gegenüber den “Jamaica”  Verhandlungen an Politikfähigkeit gewonnen hat. Und die Linke schafft es, stabil zu bleiben, weil sie in Sachfragen wie der Sozial- und Wohnungspolitik an Glaubwürdigkeit gewinnt. Die AfD stagniert derzeit, weil zwar Chemnitz schon eine Zäsur war, aber es noch keinen Gegenentwurf zu Merkel gibt.

Eine Alternative und damit eine stimmige Perspektive all dieser Kräfte jenseits der GroKo und jenseits von Merkel ist nicht in Sicht. Sie ist aber notwendig und von den Menschen gewünscht. So ähnlich war die Stimmung 1997 nach 16 Jahren Helmut Kohl! Ich habe an dieser Stelle schon einmal die Variante benannt, wenn Lindner auf die Linke zugehen könnte und die SPD überzeugen könnte, Malu Dreyer in einem konstruktiven Mißtrauensvotum zur Bundeskanzlerin zu wählen – er wäre der Held der Republik – weil er damit eine handlungsfähige Alternative jenseits der Union geschaffen hätte, die die derzeitige Blockade aufbrechen könnte. Aber leider wird sich die FDP, die weiterhin in neoliberalen Spasmen verhaftet ist, einer solchen Utopie vermutlich weiter verschließen.

Bleibt also offensichtlich nur das, was Ludger Volmer hier als den politischen Mainstream der gegenwärtigen Dekade genannt hat: CDU, Grüne, SPD und FDP mit relativ geringen Abweichungen in den Konstellationen haben die besten Chancen, handlungsfähige Regierungskonstellationen zu bilden. Mit zwei Nachteilen: Zum einen bilden sie keine spürbare Alternative zur bisherigen neoliberalen Politik, die von Rot-Grün 1998 ausgelöste wurde. Zum anderen wird damit auf lange Sicht keine gemäßigte Opposition erwachsen, weil es keine regierungsfähige linksliberale Alternative mehr geben wird. Das aber bedeutet, dass die Mainstream-Parteien weiter in der Mitte an Einfluss verlieren und die politischen Ränder stärken werden. Wie das in Deutschland traditionell ausgeht, muss man sich nicht lange fragen: Diese Konstellation wird eher eine langfristige Wachstumsgarantie für die AfD darstellen als für die “Linke” und dies ist für die Demokratie nicht nachhaltig, sondern gefährdet langfristig ihre Existenz. Insofern steckt in der heutigen Unfähigkeit der FDP, andere Koalitionen als solche rechts von der Mitte zu bilden, eine Gefahr für die liberale Demokratie.

P.S.: Eine falsche Bindung an rechte Kräfte hat schon einmal zur Vernichtung einer Liberalen Partei geführt: Die Fusion der linksliberalen DDP mit dem autoritären “Jungdeutschen Orden” zur “Staatspartei” 1930 führte sie in die Bedeutungslosigkeit von 1%. Und lieferte letztlich die Weimarer Republik der NSDAP aus.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net