Ich habe schon immer auf der Seite der linken politischen Hälfte dieses Landes gelebt. Als Liberaler, als die FDP in den 70er Jahren noch sozialliberal war, als Liberaler bei den Grünen, als Bürgerrechtler. Ich habe Freunde, die wählen die Linken, die Grünen, die FDP, und sogar die SPD – einige sehr wenige die CDU. CDU zu wählen, war ich nie gefährdet. Gut, den Adenauer fand ich als Kind gut, weil er Kölsch gesprochen hat und Humor hatte – zum Glück war ich da aber noch nicht wahlberechtigt. Bei Angela Merkel habe aber nicht nur ich manchmal das Gefühl, sondern auch viele meiner Freunde, vor allem die weiblichen Geschlechts, dass sie eigentlich als Kanzlerin manchmal gar nicht so schlecht ist. Sie hat letztlich im Atomausstieg die Kurve bekommen und ihn durchgesetzt und sie hat in der Flüchtlingspolitik zeitweise als einzige das Grundgesetz und das Asylrecht bzw. die Genfer Flüchtlingskonvention leidlich eingehalten – das will bei der heutigen Politikergeneration schon etwas heissen. Sie hat ein Wahlkampfthema der Grünen, FDP und SPD, die Homo-Ehe taktisch geschickt abgeräumt, aber eben auch im Sinne der Betroffenen hat sie es zu verwirklichen geholfen.
Trotzdem haben wir Armut, soziale Ungerechtigkeit, arrogante Konzernbosse, werden wir die CO² Ziele dank schwarz-gelber Braunkohle- und Windkraftpolitik in Nordrhein-Westfalen und rot-roter Braunkohlepolitik in Brandenburg nicht mehr einhalten können und um die Bürgerrechte ist es immer schlechter bestellt. Die rigorose Austerlitätspolitik der Bundesrepublik in der EU hat uns nicht viele Freunde geschaffen, die Renten sind unsicherer denn je, es gibt keine Bürgerversicherung und im reichsten Land Europas gibt es immer mehr ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse. Unsere Schulen und ihre Klo’s ersticken im Dreck, während Millionenerben keine Steuern zu bezahlen brauchen. Diese Woche habe ich die Kanzlerin endlich mal dabei erwischt, wie sie es hinbekommt, dass Menschen wie ich immer wieder glauben, dass sie doch auch unsere Politik macht.
Kanzlerinnenpressekonferenz am 29.8.2017 – sie eröffnet den Wahlkampf. Sie äußert sich zur Türkei, zu Nordkorea und auch zum Dieselskandal. Letzterer hatte mit dem “Dieselgipfel” ihres Ministers Dobrindt und der skandalösen Haltung der Automobilkonzerne, lediglich Softwareupdates für die Nachbesserung auzubieten, einen vorläufigen Höhepunkt gefunden. So führte denn auch die “Tagesschau” um 20.00 ihren Bericht damit ein, die Kanzlerin habe ihre Enttäuschung über den Dieselgipfel zum Ausdruck gebracht. “…Es ist schon eine Wut da…” und ” dass wir mit der Autoindustrie nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen…” waren ihre O-Ton-Wortfetzen, die mich als Tageschau-Seher wieder einmal in der Meinung bestärkt hätten, dass die Kanzlerin es schon richten und es den bösen Konzernen noch zeigen werden. Schließlich denke ich wie die Deutsche Umwelthilfe und meine wie viele andere, eine Hardware-Nachrüstung der betroffenen 13 Mio. Fahrzeuge sei nötig und halte sie auch in den überwiegenden Fällen für technisch machbar, wenn auch nicht billig.
Aber ich habe “Phoenix” gesehen und die ganze Pressekonferenz verfolgt. Ich wusste deshalb, wie sich die Kanzlerin auf Nachfrage von Journalistinnen und Journalisten zum Dieselgipfel im Detail geäußert hat. Und da hatte sie nichts anderes vertreten, als die Autobosse selbst. Die Software-Updates müsse man jetzt mal abwarten, die würden den Schwefeldioxidausstoß um bis zu 25% reduzieren, die Umtauschprämien wären ja da und gäben gute Anreize und – nun fast wörtlich Originalton BMW-Vorstand auf dem Dieselgipfel – man wolle ja die Ingenieure der Automobilwirtschaft lieber für die Antriebe der Zukunft einsetzen und nicht zur Bewältigung der Vergangenheit. Kein Blatt zwischen ihr, Wissmann und Dobrindt. Früher nannte man das “Links blinken und rechts abbiegen”. So also macht sie das, dass wir glauben, sie sei auch unsere Kanzlerin.
Warum merkt das fast keiner? Als ich einen Bericht über die Medienberaterinnen der Kanzlerin las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie weiss im Detail genau bescheid, wie moderne Medien heute arbeiten. Immer unter Zeitdruck, immer reduziert, immer oberflächlicher – “den Rest entnehmen Sie unserer Tageschau- oder Heute- APP”. Hätte der Tagesschau-Beitrag statt 50 Sekunden drei oder gar vier Minuten betragen, und würde nicht stündlich gesendet, hätten die Redakteure Zeit gehabt, das ganze Material von Merkels Pressekonferenz zu sichten. Die Zeit haben sie aber nicht, hat mir eine befreundete politische Journalistin des WDR in Berlin einmal vor Ort am Mischpult so erklärt: “Wenn jemand eine wichtige Pressekonferenz gibt, sagen wir mal um halb elf oder halb drei, kann ich entweder zur Bundespressekonferenz hingehen und kritische Fragen stellen und anschließend einen Bericht schreiben, aber das dauert mit Hin-und Rückweg bis zu einer halben Stunde, bevor etwas über den Sender geht. Wenn ich aber die Standleitung zur Bundespressekonferenz nutze und gleich schneide, ist mein Beitrag in wenigen Minuten fertig und als schnellster auf dem Sender. Das wollen meine Chefs, sonst fragen sie nach, wieso wir erst viel später als die Konkurrenz gesendet haben.” So geht das also.
Das weiß auch Merkel, denn sie hat wirklich gute Beraterinnen. Also lässt sie zu Beginn der Pressekonferenz ein paar zugespitzte, aber folgenlose Bemerkungen fallen, die auch ihre Gegner einbinden – in diesem Fall Verwünschungen über ihre angebliche Wut über die Automobilindustrie. Die Sender schneiden mit, fertig ist der Bericht. Das bittere Ende kommt hinterher, aber da war die “Tagesschau-Redaktion” wahrscheinlich nicht mehr auf dem Sender, weil der Beitrag schon fertig sein musste. Mehr Zeit wird es auch in Zukunft nicht geben, auch keinen zweiten Redakteur, der zur Bundespressekonferenz ‘rübergeht. Denn die öffentlich-rechtichen Sender müssen sparen, sie brauchen die Gebührengelder, um Fußball-Fernsehrechte zu kaufen. Ist ja auch wichtiger. Aber die Kanzlerin kommt ja auch zu vielen Länderspielen ins Stadion. So kommt sie damit durch, denn sie kennt die Mechanismen, sie ist hoch professionell. Bei mir reicht das nicht mehr, um zu überzeugen.
Letzte Kommentare