Als Bonn noch Hauptstadt war, bewegte sich “die Politik” auch schon in einer Blase. Ganz ohne Smartphone und Internet. It’s the economy, stupid! Es war die Klassengesellschaft. Mann bevorzugte seinesgleichen. Die Politiker und Journalisten – Frauen kaum mitgemeint – bevorzugten ihre eigenen Kantinen und Kneipen. Als Student sah ich einmal Rut Brandt, die Gattin von Willy, am Nebentisch mit einer Freundin. Eine Mätresse des SPD-Dissidenten Karl-Heinz Hansen, ein ausnehmend netter Kerl, war mal mit mir in einer Arbeitsgruppe im Hauptseminar. Helmut Kohl hätte ich einmal überfahren können, als ich noch ein Auto hatte (Ende der 70er), und er am Langen Eugen vor mir über den Zebrastreifen ging.
Ein heutiger Extradienst-Abonnent nahm mich seinerzeit öfter in seinem – damals schon – uralten Volvo-Kombi mit in die “Fahrerkantine”, untergebracht am Fusse des Langen Eugen in einer Holzbaracke. Das Essen war gut und sehr preisgünstig. Politiker trafen wir dort aber nur, wenn wir uns ausdrücklich mit einem verabredet hatten.
Dass ich mich an solche Momente erinnere, liegt daran, dass sie so selten waren. Vor 50 Jahren brachte die CDU/CSU ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt ein. Otto Langels erinnerte heute im DLF daran. Zu seinen Ausführungen nur zwei Ergänzungen.
Das besondere historische an diesen Tagen war, dass die ganze Gesellschaft mehr “brannte”, als während einer Fussall-WM. Die Debattentage im Bundestag wurden live im TV übertragen. Es gab kein Phönix, nur ARD und ZDF. Es lief im Hauptprogramm und sonst nichts. Vor den Schaufenstern der Kaufhäuser und Elektrogeschäfte bildeten sich Menschentrauben. Fast jeder Abgeordnete, der zu Wort kam, kaum Frauen dabei, hielt die grösste Rede seines Lebens.
Langels Schlussbemerkung zum späteren Rücktritt Brandts ist zu knapp geraten. Der DDR-Spion in seiner Nähe war den “Diensten” längst bekannt, irgendwann auch ihm selbst. Er wurde von Wehner, Schmidt und Genscher (Bundesinnenminister) als Anlass für Brandts Sturz gewählt, war aber nicht der Grund. Der Grund war die Entsolidarisierung der Genossen mit “ihrem” Kanzler, der mit ihnen, und sie mit ihm, 1972 den grössten Wahlsieg der SPD-Geschichte errangen.
Das Ergebnis des Misstrauensvotums stand erst am 27.4. fest. Dann wird meine politische Würdigung des Ereignisses erscheinen.
Frankreichs Stichwahl heute
Wenn Sie die französische Wahl heute verstehen wollen, hören Sie, was die in Bonn lehrende Ulrike Guérot, wie immer ein rhetorisches Feuerwerk, dazu zu sagen hat (Audio 11 min).
Die sonntäglichen “Informationen und Musik” des DLF sind den mehr als doppelt so langen Werktagsausgaben vorzuziehen: analytischer, reflektierter und damit von höherer Qualität, bei weit geringerem Zeitaufwand. Nur leider für einen Sonntag sehr, sehr früh. Aber dagegen gibt es ja Internet.
Das Smartphone und die Stadt
Die schlechten Seiten der neuen Technik arbeitet Roberto Simanowski in “Essay & Diskurs” heraus: “Wie das Smartphone die Umwelt verstellt – Passanten, die ständig auf ihr Handy starren, sogenannte Smombies. Ärgerlich, aber warum eigentlich? Hofften wir auf ein Gespräch? Verstimmt uns, dass wir aus dem Weg gehen sollen? Das Problem für Autor Simanowski ist nicht, dass diese Menschen ihr Umfeld ignorieren, sondern dass sie es dadurch zugleich verändern – und zwar für uns alle.” Meine Bobachtungen stimmen mit seinen überein. Mein Smartphone funktioniert nur als Telefon (keine “Datenoption” = kostet im Betrieb fast nichts). Google glaubt, ich sei tot.
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