Die größte Razzia seit Jahrzehnten in der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene hat gute Gründe, ernst genommen zu werden. Denn die Szene der politisch enttäuschten Sympathisanten reicht weit über diese Splittergruppe hinaus. Sie sind vielfach nicht selbst rechtsextremistisch aktiv, konsumieren aber rechtsextremen Müll in den (a)sozialen Medien und sind vor allem bewaffnet. In Brandenburg haben Justiz und Polizei offensichtlich andere Sorgen. Sie zettelten eine bundesweite Razzia bei jungen Umweltaktivisten an und stuften sie als Schwerverbrecher ein.

Paragraph 129 StGB “Bildung einer kriminellen Vereinigung” wurde eingerichtet, um gegen organisierte Berufsverbrecher vorgehen zu können. Organisierte Geldschrankknacker, Drogenringe, Menschenhandel und Zuhälterei, Panzerknacker und andere Banden – das sind die Straftatbestände, bei denen § 129 dann eine Rolle spielt, wenn hinter den jeweiligen illegalen Geschäften und Verbrechen Organisationsstrukturen vermutet oder entdeckt werden. Schon das verständige Lesen des Wortlauts von § 129 Absatz 1 hätte der brandenburgischen Staatsanwaltschaft – und ihren polizeilichen Helfern in den beteiligten ostdeutschen Bundesländern und Bayern deutlich machen können, dass an den Vorwürfen etwas nicht stimmen kann:  “Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.”

Politische Aktivisten Berufsverbrecher?

Bei der “letzten Generation” handelt es sich um eine politische Gruppe, deren Zweck und Tätigkeit auf umweltpolitische Ziele gerichtet ist – und dies in vielfältigen Aktionsformen, darunter auch solchen, die unter Umständen strafbare Rechtsverstöße beinhalten können. Und schon gar nicht solche, bei denen mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe drohen. Sie sind bei intellektuell redlicher Betrachtung etwas völlig anderes, als Geldschrankknacker. Aber um diese intellektuelle Redlichkeit in der brandenburgischen Staatsanwaltschaft scheint es wirklich schlecht bestellt zu sein.

Razzia am Rande der Legalität

Ihr Zweck und Tätigkeit ist nicht auf die Begehung von Straftaten gerichtet, sondern nimmt diese bestenfalls im Einzelfall in Kauf. Es ist das Wesen von zivilem Ungehorsam, dann auch gegen Gesetze zu verstoßen, wenn auf andere Weise keine hinreichende Aufmerksamkeit erregt werden kann. der ggf. durch Rechtsverstöße angerichtete Schaden überschaubar und möglichst gering gehalten wird, und die politischen Aktivisten berechenbar handeln. Das trifft auch auf die Vorwürfe aus Brandenburg zu. Hier wurden vielleicht Schieber einer Ölpipeline zugedreht,  die Ermittlungsbehörden tun aber so, als hätten die Aktivisten den Pipeline-Knotenpunkt in die Luft gesprengt.

Unsägliche Kriminalisierung

Es war von vornherein völlig klar, dass hier eine Fahndungsaktion eingeleitet wurde, deren juristische Substanz mehr als fraglich ist. Damit setzt sich das Vorgehen der brandenburgischen Staatsanwaltschaft dem Geruch politischer Repression gegen einen unangenehmen, lästigen, teilweise mit unappetitlichen Aktionen hervorstechenden, aber im besten Sinne im Geist und der Tradition zivilen Ungehorsams der Umwelt- und Friedensbewegung handelnden Teil der jungen Generation aus.
Wenn die Jugendlichen, die sich als “letzte Generation” engagieren, keine andere Möglichkeit sehen und nicht davor zurückschrecken, symbolische, gewaltfreie Aktionen durchzuführen, bei denen auch schon mal eine  Sachbeschädigung oder ein Hausfriedensbruch oder gar eine Nötigung begangen werden, deren Strafen ja auf sich genommen werden, um politische Zeichen zu setzen – spätestens dann sollte die demokratische Gesellschaft und auch die Justiz nachdenklich werden und prüfen, ob ihre Aktionen die Grundrechte der Verfassung verteidigen oder einschränken.

Immer noch andere Republik

Die Aktionen der “letzten Generation” – auch wenn sie uns vielleicht nicht gefallen – haben mit Berufsverbrechen oder organisierter Kriminalität so wenig zu tun, wie die Solarzelle mit einem Braunkohlebagger. Aber die Demokratie scheint im Osten Deutschlands selbst unter Führung der SPD-Landesregierung nicht genügend gefestigt, um diesen Unterschied auf Anhieb zu erkennen. Dabei erleichtert oft ein Blick ins Gesetz – und das verständige Lesen – die Rechtsfindung.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net