Meine Rezeptvorschläge (“Best of” – der Allerbeste weiter unten) vom 26.1.2023: Krieg, US–Hegemonie, Grüne Woche, Recherchejournalismus, netzpolitische Bürgerrechte, Humor
Beim Freitag ist heute wieder das meiste digital eingemauert. Ein schönen Treffer habe ich dort gelandet, das könnte ziemlich genau von mir sein, ist aber von Michael Angele: “Der Ukraine-Krieg im Radio: Hilfe, ich halte meinen Lieblingssender nicht mehr aus – Bei mir war es schon vor der Panzer-Debatte so weit. Diese gibt jetzt auch einem Kollegen den Rest: Von welchem Radiosender kann man sich eigentlich noch wecken lassen, ohne ständig und einseitig über Angriffswaffen informiert zu werden?” Einziger Unterschied: letzte Rückfallposition sind bei mir nicht zeitraubende Podcasts sondern Vinyl-LPs, und davon viele, und ausschliesslich gute. Ich brauche gewöhnlich im Alltag zwei Jahre um alle durchzuhören. Und dabei fällt mir ein, dass ich noch ein paar Dutzend DVDs mit Aufzeichnungen von 3sat-Konzerten besitze, die ich lange nicht mehr angefasst habe. Heute Abend kommen übrigens 3 Stunden Eagles auf ARTE (verfügbar bis Ende März).
Mein Mitautor und Freund Roland Appel meint, dass Olaf Scholz im Rahmen seiner Möglichkeiten einen guten Job mache. Seine Erinnerungen über Olafs Saunabesuch mit der FDJ wurden von Springers “Politico” begeistert aufgegriffen; verstanden haben sie dort nur leider nicht viel. Ich bin geneigt, Roland zuzustimmen, sehe aber im erwähnten Rahmen das eigentliche Problem. Ich kann es im Folgenden mit einigen Autor*inn*en, die das ähnlich sehen, belegen.
Friedrich Küppersbusch sieht Olaf Scholz’ Trick darin, von der SPD nie gekannte “89%” hinter sich gebracht zu haben: Das doppelte Panzerchen. (Video 5 min).
Reinhard Lauterbach/Junge Welt: “Fischers Fru – Hochrüstung der Ukraine”
Branco Marcetic/Responsible Statecraft/telepolis (Übersetzung: David Goeßmann): “Das gefährliche Spiel mit roten Linien in der Ukraine – Die US-Regierung beteiligt sich zunehmend am Ukraine-Krieg. Kiew könnte sogar bald grünes Licht für einen Krim-Angriff erhalten. Die Frage ist, wie weit man zu gehen bereit ist.”
Eva C. Schweitzer/overton: “Brutkästen – Deutschland schickt wieder Panzer gegen Russland. Geschuldet ist die Panzerlieferung der Arbeit amerikanischer PR-Firmen.” Rufen die Herrschenden den Beherrschten zu: “So wird das gemacht!”
Der beste Text des Tages
Und nun stellen Sie sich akustisch eine Fanfare vor. Mein bester Text des Tages ist schon wieder bei Jacobin erschienen. Autor Sam Gindin, hat einen aufregenden Lebenslauf vorzuweisen, beginnend mit der Geburt im Ural der Sowjetunion, mit dem heutigen Lebensmittelpunkt in Kanada. “Die Hegemonie der USA ist nicht vorüber – Experten sprechen oft und gerne vom Ende der »unipolaren Welt«. Doch das US-amerikanische Wirtschaftsimperium wird bleiben.” Das ist eine wohltuend realistische, materialistische Analyse der Rolle der USA, wie auch ihrer geopolitischen Konkurrenz im globalisierten Kapitalismus. Ich nehme diesen klugen Text nicht als linksradikal-sektierische Absage an Reformismus wahr, sondern als Mahnung zum Realismus. Den noch zu finden, ist, s.o. Mediendiät, so schwierig geworden, dass es mich körperlich zu schmerzen beginnt. Darum hat mir dieser Text intellektuell gutgetan.
Grüne Woche
Susanne Aigner/telepolis berichtet – weniger geschwätzig als der DLF gestern morgen (nichts für ungut: ich weiss, dass Moderator und Redakteur Georg Ehring ein guter Mann ist) – von der Grünen Woche: “Show must go on: Heile Agrar-Welt auf der Grünen Woche – Während Tausende für eine Agrarwende demonstrierten, wird in den Messehallen der Status quo kaum infrage gestellt. Der Bauernverband hält nichts von einer Mehrwertsteuersenkung auf Obst und Gemüse.” Ich bin mit der Autorin und Greenpeace der Meinung, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Fleisch, und die Senkung bzw. Streichung für Obst und Gemüse, eine gute Idee ist. Dass die Tiere davon Vorteile haben werden, bezweifle ich dagegen. Denn das Zentrum derer Probleme ist die Ökonomie: Deutschlands landwirtschaftliche Exporte konkurrieren ausländische Landwirtschaften mittels industrieller Billigexporte zu Tode, auch und gerade ökologisch orientierte, von Rumänien bis China und Afrika. Da können wir Konsument*inn*en auf Fleisch verzichten, bis wir tot sind und uns die Öko-Göttin in den Himmel einlässt. Die Welt bleibt kapitalistisch und globalisiert.
Der Medientext des Tages
Im Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), der Konkurrenz zu “meiner” Deutschen Journalisten-Union in ver.di, schreibt der von mir sehr geachtete Daniel Drepper, das ist der, der bei Ippen wegging, als dieser Verleger die Recherchen seines Teams gegen den widerlichen Reichelt bei Springer unterdrückte. Wie talentierte Fussballer hat Drepper mittlerweile eine recht umfangreiche von Vereinswechseln geprägte Berufsbiografie, was manche nicht mögen, andere wiederum als Ausweis nehmen. Drepper will, meine ich, grundsätzlich Richtiges. Aber ob es hilft? “Mehr Recherche im Rundfunk – jetzt! – Statt in die Offensive zu gehen, verzwergt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerade, kritisiert Daniel Drepper in unserer Serie ‘Mein Blick auf den Journalismus’. Dabei brauchen wir nicht weniger Geld, sondern mehr Geld und echtes Vertrauen in die Reporterinnen.” It’s the economy, stupid. Oder ganz pragmatisch: die Mehrheit der Intendant*inn*en öffentlicher Medien – ähnlich Chefredakteur*inne*n von Stilllegung bedrohter privater Medien – bringt die von Drepper geforderten Qualifikationen für grades Rückgrat nicht mit.
Die Kolleg*inn*en von netzpolitik.org haben in 24 Stunden 7 Texte abgeschossen. Das war mir zu viel. Ist aber alles wichtig. Überzeugen Sie sich selbst, was Ihnen wichtig ist..
Unter all diesen wenig amüsanten Vorzeichen lehrt uns der grosse Seher Martin Sonneborn, wie es unter widrigsten Umständen möglich ist, den Humor zu behalten (Interview für telepolis: Markus Kompa): “‘Ich persönlich werde diesmal CDU wählen’ – Winterview mit Partei-Chef Martin Sonneborn über Berlinwahl und Ostfront.” Mein persönlicher Wahl-O-Mat-Berlin ergab für “Die Partei” übrigens dieses Mal nur eine enttäuschende Vizemeisterschaft, was mich unselig an Bayer Vizekusen erinnert; Linke und Grüne nur im Mittelfeld fernab der Champions-League-Plätze, SPD knapp über den Abstiegsplätzen und am Tabellenende CDU-Rep-Afd.
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