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Etwas ratlos

angesichts Habermas’ „Plädoyer für Verhandlungen“

Auch Habermas neuerliche Einlassung zum Ukrainekrieg lässt mich etwas ratlos zurück. Natürlich ist es wichtig und mehr als verständlich, sich über einen Ausweg aus der Gewalt Gedanken zu machen. Und Verhandlungen werden der Weg sein, über den der Krieg einmal enden wird. So weit einverstanden. Nur das Problem besteht doch darin, dass Putin gar nicht verhandeln will und durch seine völkerrechtswidrige Annexion von ukrainischem Territorium den Weg zu Verhandlungen noch zusätzlich erschwert hat. Hier liegt der blinde Fleck in Habermas Argumentation.

Ich sehe in Habermas Text tatsächlich keine einzige praktikable Idee, wie ein Weg zu sinnvollen und die Gültigkeit des Völkerrechts – von dem ja unser aller Frieden abhängt – wieder einsetzenden Verhandlungen aussehen könnte. Angesichts einer solchen Schwammigkeit würde Putin jedes Verhandlungsangebot als Zeichen von Schwäche interpretieren und seinen Erfolg in einer noch viel härteren Kriegsführung suchen. Der unbestimmte Ruf nach „Verhandlungen“ klingt deshalb vielleicht erst einmal gut, aber nach Lage der Dinge trägt er gegenwärtig möglicherweise eher zur Verlängerung als zur Verkürzung des Krieges bei.

Habermas hat mir in vielen Jahrzehnten gerade auch mit seinen politischen Einlassungen neue Perspektiven geöffnet. Bei seinen Ukraine-Texten ist das leider nicht der Fall.

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Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

2 Kommentare

  1. A.Holberg

    woher weiß Herr Olschanski, dass Putin gar nicht verhandeln will? Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn er das wirklich nicht will – angesichts seiner Erfahrungen mit der Gegenseite, d.h. angesichts dessen, dass deren Sprecher von Merkel über Johnson bis hin zu Selensky zugegeben haben, dass ihre Verhandlungen, die zum Minsk 2-Abkommen geführt haben, nie etwas anderes gewesen seien als ein Mittel, Zeit zu gewinnen, um das Regime in Kiew als Hiwi der US-Weltherrschaftsstrategie in die Lage zu versetzen, einen Zermürbungskrieg gegen “Putin” zu führen.

  2. Peter Lessmann-Kieseyer

    Es ist die große Leistung von Habermas, mit seinem Plädoyer für Verhandlungen der Debattenhoheit des Militärischen eine Alternative entgegen zu stellen. Er räumt dabei ein, dass der Weg hin zu Verhandlungen keineswegs einfach sei. Aber: Gibt es wirklich angesichts eines bevorstehenden mörderischen Abnutzungskrieg mit Tausenden von Toten wirklich keine Alternative zum Krieg? Er erwähnt an dieser Stelle nicht zu Unrecht Verdun im ersten Weltkrieg.

    Wer Waffen liefert, auch das sagt Habermas ganz klar, ist in der moralischen Mitverantwortung. Die Dinge sind nicht so einfach, die Antworten der Bellizisten sind mir zu einfach. Die Historikerin und Konfliktforscherin Corinna Hauswedell, die mit Habermas unter anderem über die Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik verbunden ist, geht einen Schritt weiter. Im DLF sprach sie von einer politischen Mitverantwortung. Zwar sei der Verursacher dieses Krieges völlig eindeutig – nämlich der russische Aggressor und der völkerrechtswidrige Überfall auf die Ukraine – doch ein Krieg sei viel komplexer und lasse sich nicht auf ein Schwarz-Weiß oder Gut und Böse reduzieren wie es im deutschen Diskurs über diesen Krieg oft geschieht.

    Sicherlich, Habermas bietet keine konkreten Lösungsschritte an, das bemängelt auch Hauswedell an seinem Essay. Vielleicht wollte sich der Philosoph auch nicht auf die Niederungen der Politik begeben. Doch jetzt kommt es darauf an, Schritte zu benennen: Wer könnte die Initiative übernehmen? Wo, wie, wann? Der brasilianische Präsident Lula da Silva hatte die Dinge anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Scholz vor wenigen Wochen angedeutet. Es werde so wenig über Frieden gesprochen und viel zu viel über Waffen.

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