Anfang Februar haben die Regierungschefs der EU eine Verschärfung ihres Kurses in der Migrationspolitik vereinbart. Abschiebungen sollen schneller erfolgen und Menschen­schmuggler stärker bekämpft werden. Vor allem aber soll die Infrastruktur an den Grenzen ausgebaut werden, wie es so schön heißt. Mit Mauern und Zäunen, Stacheldraht, Wach­türmen und Kameras. Erstmals werden diese Maßnahmen (in Bulgarien und Rumänien) auch mit EU-Geldern finanziert.

So hofft man, das Problem an den Grenzen besser in den Griff zu bekommen. Was pas­siert jedoch, wenn Migrant/innen all diese Hemmnisse überwinden, plötzlich im Lande sind und Asyl beantragen? Für den Umgang mit ihnen hat die Bundesregierung Schulungsma­terial erstellen lassen. Hier der Mustertext für die Information der Asylsuchenden durch die zuständigen Beamten:

Guten Tag zusammen. Wir freuen uns – nein, natürlich freuen wir uns nicht – dass Sie alle gekommen sind. Angesichts der riesigen Zahl von Asylsuchenden blieb uns nichts anderes übrig, als hier im Fußballstadiom zu tagen.

Zunächst zu den Formalitäten: Im Antragsformular, das an allen Eingängen ausliegt, sind die benötigten personellen Daten und der Grund des Asylantrags einzutragen. Natürlich werden wir das anschließend prüfen. Welche Länder und welche Gründe wir anerkennen, liegt allein bei uns. Eins muss ich gleich klarstellen. Wirtschaftsflüchtlinge wollen wir nicht. Das ging vielleicht 1948 so, als wir das Asylrecht schufen. Doch wir haben es inzwischen geändert und wen­den es recht flexibel an.

Unser Asylrecht bezieht sich nur auf politisch Verfolgte. Erstens verfolgt, zweitens poli­tisch. Die Beweispflicht liegt in beiden Punkten bei Ihnen. Erster Punkt: Was bedeutet ‘ver­folgt’? Sie wissen es nicht? Und dann wollen Sie einen Asylantrag stellen? Ich erkläre es aber gern.

Wir orientieren uns an den Rechtsnormen des Heimatlandes. Vielleicht wissen Sie, dass in Saudi-Arabien auf Ehebruch bei Frauen die Todesstrafe durch Steinigung steht und dass Ladendieben eine Hand abgehackt wird. Wie ein deutsches Oberlandesgericht festgestellt hat, sind das nationale Erscheinungsformen der Strafrechtspflege. Dafür müsse man Verständnis aufbringen. Verfolgung sei das nicht. Also kann keiner kommen und Asyl beantra­gen, weil er wegen Majestätsbeleidigung ausgepeitscht wurde.

Wir erfüllen dabei sogar internationale Standards. Tatsächlich besagt die Antifolterkonven­tion der Vereinten Nationen, dass Auspeitschen, Steinigen und Bestrafungen nach der Scharia keine Folter sind, wenn dies in den Gesetzen des Landes verankert ist.

Kommen wir zum zweiten Punkt, ‘politisch’. Wir wissen, dass das eine heikle Sache ist. Wie sollen Sie alle hier im Stadion nachweisen, dass Ihre Verfolgung politisch veranlasst war? Es gibt ja in manchen Ländern Leute, die foltern nur aus Spaß oder aus Sadismus. Oder um Geständnisse zu erzwingen oder um potentielle Täter abzuschrecken. Oder auf­grund von Verwechslungen oder um jemanden erst gar nicht auf dumme Gedanken kom­men zu lassen. Das ist natürlich keine politische Folter. So hat das deutsche Gericht argu­mentiert und ein Asylrecht verneint.

Leider denken die Folterer beim Foltern in den wenigsten Fällen daran, welche Ansprüche das deutsche Asylrecht an Folterungen erstellt. Der Folterer muss nämlich beachten und belegen, dass er Sie aus einer Gesinnung und mit einer Begründung foltert, die Ihnen nach Ihrer Flucht den Genuss des deutschen Asylrechts ermöglicht.

Um dieser Schwierigkeit abzuhelfen, haben wir das Formblatt FO11 entwickelt. Sie erhal­ten es in allen deutschen Botschaften und Konsulaten. Damit können Sie schon vor Ort, also in Ihrer Heimat, die politische Natur ihrer Verfolgung festhalten und beurkunden las­sen. Sie müssen nur dieses Formular der folternden Behörde vorlegen. Dort kann der Fol­terer selbst die Art und den Zweck der Folterung bescheinigen, natürlich mit Stempel und Unterschrift.

Wenn auf dem Formblatt „P“ wie politisch angekreuzt ist, können Sie bei uns einen Asylan­trag stellen. Falls Sie noch nicht über eine entsprechende Bescheinigung verfügen, muss ich Sie jetzt bitten, in Ihr Heimatland zurückzukehren und sich diese zu beschaffen. Flug­zeuge und Begleitpersonal stehen bereit. Notfalls bieten wir auch Übergangsunterkünfte an.

Allerdings muss ich Ihre Vorfreude trüben. Wenn Sie mit der genannten Bescheinigung über politische Folterung zu uns kommen, müssen wir diese noch auf Plausibilität und Echtheit prüfen. Aus Staaten, die die UN-Antifolterkonvention unterzeichnet haben, kön­nen solche Testate logischerweise nicht stammen. 173 Staaten haben dieses Abkommen anerkannt, darunter Syrien, Libyen, China, Saudi-Arabien, Russland, Afghanistan und die Türkei. Dort kann es also gar keine Folter geben. Nur der Iran und Nordkorea sind keine Vertragsstaaten. Mein persönlicher Tipp: Fahren Sie dorthin.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.