Lautloser Abschied – Er hat mein Leben besser gemacht: Hans Meyer
Seit 1965 bin ich mit meiner Borussia zusammen. Im Alter von 8 Jahren habe ich mich mit ihr als Spitzenreiterin der Regionalliga West verlobt. Wir sind nun länger zusammen, als ich es mit irgendeinem Menschen war – mit grossen Erfolgen und schweren Krisen, ganz wie im richtigen Leben. Das ist das Schicksal jedes Fussballfans. Die, bei denen es anders ist, wissen eben nicht, was Fansein bedeutet. Einer wusste es immer. Er wurde mein Lieblings-Ossi, und hat meine Beziehung zur Borussia in den schwersten Krisen gerettet: Hans Meyer. Nun hat er ohne jedes Getöse im Präsidium der Borussia aufgehört. Im Alter von 81 Jahren.
Manche Fans stören sich an der mangelnden “Transparenz” des aktuellen Führungswechsels im Verein. Einerseits mag das stimmen. Andererseits liebe ich gerade das an dieser Borussia: den Verzicht auf PR-Lärm. Das Überzeugen der Fans durch nichts Anderes als Fussball. Weltberühmt wurde sie trotzdem. In Madrid, Liverpool und Milano, auch in Guimarães (Portugal), unserem ersten Europapokalgegner. Bis heute sensationell, wenn Brit*inn*en oder US-Amerikaner*innen Mönkenklatbak auszusprechen versuchen. Aber immerhin wissen sie von seiner Existenz. Wer sich nicht für Fussball interessiert, weiss womöglich auch als Deutsche*r gar nicht, wo das liegt. Immerhin: von Beuel aus gibt es alle halbe Stunde eine umsteigefreie Bahnverbindung.
Warum war und ist Hans Meyer in dieser langen Beziehungsgeschichte ein Besonderer? Abstiege, Wiederaufstiege, aus einer Fahrstuhlmannschaft wieder einen etablierten Erstligisten gemacht. Sehr wichtig und verdienstvoll. Aber andere qualifizierte Fussballlehrer – nicht viele! – hätten das vielleicht auch geschafft. In Meyers aktiver Zeit veränderte sich der Fussball vom Volkssport zum Medienentertainment. Die Unterhaltsamkeit für Medienvertreter*innen wurde für Fussballlehrer immer wichtiger, um ihren Job zu halten. Dem Fussballlehrer Meyer hat das so wenig gefallen, wie der anderen Borussia-Ikone Lucien Favre. Aber niemand hat es raus wie er, als materialistisch geschulter Ossi, dem Affen Zucker zu geben, ohne sich bei dem, wie die Mehrheit seiner Berufskollegen, zu prostituieren.
Das Ideal der Mehrheit der Fussballjournalisten und zahlungskräftigen Vereins- und Verbandspräsidenten ist Jürgen Klopp, der perfekte Dompteur der Aufmerksamkeitsökonomie. Ich meine das nicht lästerlich, sondern voller Respekt. Nicht viele können das. Und Klopp selbst profitiert durch ungezählte Werbeverträge. Für das Training seiner Mannschaften hat er seine Leute – übrigens, kein Scherz, sogar Einwurftrainer. Er muss für seine wichtigsten Spieler nur die psychologischen Basics mitbringen. Das schafft so einer aus dem Handgelenk.
Andere fühlen sich bei diesem wichtigen Trainerhandwerk durch Boulevardmedien belästigt – weil es objektiv so ist. Die haben ein Interesse, im Zusammenspiel mit “Spielerberater”-Konzernen Zwietracht und Wechselgerüchte zu befeuern – das bringt Klicks. Sie sind der natürliche Gegner jedes Fussballlehrers, der ein Team bilden muss. So schmiss Meyer 2003 hin, wie es Jahre später auch Favre tat.
Quizfrage an die fachlich Qualifizierten unter Ihnen: nennen Sie mir einen einzigen Fussballlehrer auf der Welt, der Lawrence Aidoo so stark machte, wie Hans Meyer, oder den weit berühmteren und berüchtigteren Mario Balotelli, wie Lucien Favre in Nizza (2016-18). Neben Balotelli im Sturm von OGC Nizza spielte übrigens der heutige (derzeit verletzte) Borussia-Leistungsträger Alassane Pléa seine stärksten Jahre. Alle drei jungen Männer sind schwarz – und waren (und sind) unter diesen Fussballlehrern eine grenzenlose Freude für jeden Fan.
Darum wäre Lucien Favre mein Lieblingskandidat als Meyer-Nachfolger im Borussia-Präsidium gewesen. Aber wer in diesem Alter mehr von der Welt sehen will als Mönchengladbach, hat mein volles Verständnis.
Hans Meyer wünsche ich für seine persönliche Zielgerade alles Gute. Er weiss, wie wir ihn lieben.
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