Der unsichtbare Beitrag von Frauen zur deutschen Wirtschaft – Unsere Autorinnen sind Ökonominnen und haben berechnet, wie viel Zeit in Deutschland unbezahlt gearbeitet wird und wie viel Wohlstand diese unbezahlte Arbeit schöpft.
Wenn eine Millionärin ihren Koch heiratet und der daraufhin nicht mehr für sie arbeitet, sondern ohne Lohn das Essen zubereitet, dann gehörte diese Leistung vor der Heirat zum BIP, danach aber nicht mehr. Mit dieser Argumentation kritisierte ein Professor für Makroökonomie das Brutto-Inlandsprodukt (BIP), also den geläufigsten Wohlstandsindikator einer Volkswirtschaft, in einer Grundlagenvorlesung als nicht ganz treffend.
Das ist ein krasser Einzelfall, aber er ist symptomatisch für ein deutlich größeres Problem. Die unbezahlte Care-Arbeit, also die Sorge- und Fürsorgearbeit im Haushalt, wird ohne Lohn geleistet, weshalb ihr Umfang und ihre Relevanz in der wirtschaftlichen Betrachtung einer Gesellschaft in der Regel massiv unterschätzt werden. Wir haben sowohl die Zeit berechnet, die für unbezahlte Arbeit in Deutschland aufgewendet wird, als auch die Wertschöpfung der unbezahlten Arbeit in Deutschland auf Grundlage von Daten des Sozio-ökonomischen Panels und Lohndaten der Bundesagentur für Arbeit.
Dabei kommt heraus: Die Bruttowertschöpfung der unbezahlten Arbeit übersteigt die der abhängig Beschäftigten im produzierenden Gewerbe, und damit im größten Sektor des Bruttoinlandsprodukts. Unbezahlte Arbeit wird außerdem seit Jahrzehnten zum Großteil von Frauen getragen. In den vergangenen zehn Jahren hat vor allem die Zeit für Kinderbetreuung und für die Pflege von Angehörigen zugenommen. Pflege wird in den kommenden Jahren wegen des demografischen Wandels zudem immer wichtiger werden und im Umfang zunehmen – vermutlich ebenfalls zu Lasten von Frauen.
Warum sind diese Zahlen überhaupt wichtig?
Wenn wir nicht wissen, wie viel Haushalte unbezahlt leisten, begünstigt dieses Unwissen politische Fehlschlüsse. Christian Lindner spricht zum Beispiel einerseits gern und häufig von steuerlichen Entlastungen für den hart arbeitenden Mittelstand, weil unser gesellschaftlicher Wohlstand auf diesen Schultern ruhe. Andererseits argumentiert er gegen den staatlich bezuschussten Kita-Ausbau, weil der Sozialstaat bei der aktuellen Haushaltslage nicht aus-, sondern zurückgebaut werden sollte. Es scheint für den Finanzminister so zu sein, dass nur diejenigen arbeiten, die einer formalen Erwerbsarbeit nachgehen, und wer Kinder extern betreuen lassen will, liegt dem Staat auf der Tasche.
Dass Care-Arbeit in vielerlei Hinsicht Voraussetzung für Erwerbsarbeit ist, sei es, um Frauen formale Erwerbsarbeit zu ermöglichen oder weil enorm wichtige gesellschaftliche Bildungsarbeit in Haushalten geleistet wird, in denen die Arbeitskräfte von morgen heranwachsen, wird durch dieses Narrativ vollständig unter den Teppich gekehrt. Damit einher geht eine mangelnde Wertschätzung dieser Arbeit, die sich auch in den gezahlten Löhnen für ähnliche Care-Tätigkeiten im formalen Erwerbsleben spiegelt. Beide Faktoren, die Zeit, die für unbezahlte Arbeit aufgewendet wird, und die Löhne, die für ähnliche Tätigkeiten auf dem formalen Arbeitsmarkt gezahlt werden, beeinflussen die Brutto-Wertschöpfung.
An der Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern hat sich wenig geändert
In der aktuellen Debatte um den Fachkräftemangel wird häufig auf Frauen als ungenutztes Arbeitskräftepotenzial verwiesen. Unsere Zahlen aber zeigen: diese Idee basiert auf einem verkürzten Blick auf die Arbeitsmarktrealität. Dabei wird nämlich die zentrale Tatsache übersehen, dass Frauen bereits jetzt mehr Arbeit als Männer leisten, wenn die Zeit für unbezahlte Tätigkeiten wie Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege berücksichtigt wird. Trotz gesellschaftlicher Fortschritte bleibt die Verteilung unbezahlter Arbeit in Deutschland seit Jahrzehnten nahezu unverändert ungleich.
Die Analyse der Stunden, die Menschen für Hausarbeit, also putzen, waschen, kochen und Besorgungen, Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen aufwenden, zeigt, dass Frauen seit 30 Jahren signifikant mehr unbezahlte Arbeit leisten als Männer. Besonders auffällig ist, dass diese Ungleichheit sich seit den 1990er-Jahren kaum verändert hat. Im Jahr 1993 verrichteten Frauen 69 Prozent der unbezahlten Arbeitsstunden, während Männer nur 31 Prozent beisteuerten. Bis 2010 sank dieser Anteil zwar leicht, doch auch dann leisteten Frauen immer noch 63 Prozent der unbezahlten Arbeit. Seitdem ist die Entwicklung nahezu zum Stillstand gekommen: Im Jahr 2021 lag das Verhältnis bei 62 zu 38 Prozent, womit sich das Ungleichgewicht innerhalb eines Jahrzehnts lediglich um einen Prozentpunkt verschoben hat. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Frauen weiterhin einen erheblichen Teil der unbezahlten Arbeit tragen und dass es keine erkennbaren Fortschritte in Richtung Gleichstellung in diesem Bereich gibt.
In absoluten Zahlen wird das Bild etwas differenzierter. Die gesamte Zeit für unbezahlte Arbeit ist nämlich in den vergangenen 20 Jahren gesunken. Das liegt aber vor allem daran, dass weniger Zeit für Hausarbeit aufgewendet wird. Die Zeit, die vor allem Frauen in Deutschland für die Kinderbetreuung aufwenden, hat nämlich in den letzten Jahren wieder deutlich zugenommen. Während Frauen 1996 im Schnitt 684 Stunden pro Jahr mit der Betreuung ihrer Kinder verbrachten, sank diese Zahl bis 2013 auf 471 Stunden. In den Jahren 2020 und 2021, geprägt von der Pandemie, stieg die Betreuungszeit jedoch wieder an, auf 545 bzw. 609 Stunden pro Jahr.
Im Vergleich dazu leisteten Männer 1996 nur 184 Stunden Kinderbetreuung im Jahr, ein Wert, der 2013 auf 149 Stunden sank und sich in den Pandemie-Jahren auf 185 Stunden im Jahr 2020 und 211 Stunden im Jahr 2021 erhöhte. Trotz dieser leichten Annäherung bleibt das Ungleichgewicht offensichtlich: 1991 trugen Frauen 80 Prozent der gesamten Kinderbetreuungszeit, bis 2013 sank dieser Anteil nur geringfügig auf 75 Prozent und lag im Jahr 2021 bei 74 Prozent. Damit zeigt sich, dass die Verantwortung für Kinderbetreuung weiterhin überwiegend bei den Frauen liegt und sich die Verteilung der unbezahlten Arbeit zwischen den Geschlechtern auch in absoluten Zahlen in den vergangenen Jahren nur minimal verändert hat.
Seit 2001 wird auch die Zeit, die in Deutschland für die Betreuung und Versorgung pflegebedürftiger Personen aufgewendet wird, systematisch erfasst, und die Ergebnisse zeigen ein klares Bild: Frauen tragen auch hier den Großteil dieser unbezahlten Arbeit. Besonders auffällig ist der starke Anstieg der Pflegestunden in den vergangenen sieben Jahren. Während 2017 noch durchschnittlich 52 Stunden pro Jahr für die Pflege aufgewendet wurden, stieg dieser Wert im Jahr 2020 auf 66 Stunden und erreichte 2021 sogar 93 Stunden jährlich. Diese Entwicklung könnte durch pandemiebedingte Krankheitsfälle und den demografischen Wandel erklärt werden. Es ist jedoch bemerkenswert, dass Frauen, obwohl sie im Durchschnitt älter werden, nach wie vor den Großteil der Pflege übernehmen. Sowohl 2002 als auch 2021 leisteten Frauen 66 Prozent der Pflegearbeit, während Männer nur 34 Prozent beitrugen. Angesichts des demografischen Wandels ist in den kommenden Jahren mit einer weiteren Zunahme der häuslichen Pflegebelastung zu rechnen, die vermutlich weiterhin hauptsächlich von Frauen getragen wird.
Das Bruttoinlandsprodukt und die unbezahlte Arbeit
In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) immer noch eine der wichtigsten Messgrößen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Wohlstandsmessung. Dieser Indikator bleibt trotz all seiner Revisionen umstritten. Dennoch ergibt es Sinn, die Wertschöpfung der unbezahlten Arbeit in diese Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einzuflechten. Neben der bisherigen Erhebung der Zusammenfassung aller auf dem Markt befindlichen Güter und Dienstleistung eines Jahres verstehen wir private Haushalte ebenfalls als Produktionsorte. Dort wird Essen hergestellt und geputzt, Angehörige oder Kinder werden gepflegt. Im Gegensatz zum Marktgeschehen geschieht dies aber in aller Regel unentgeltlich. In anderen Ländern, beispielsweise in der Schweiz, ist es üblich, die Bruttowertschöpfung der unbezahlten Arbeit in einem sogenannten Satellitenkonto auszuweisen. Wir haben dies in derselben Art und Weise nun jährlich auf der Grundlage der Daten, mit denen wir gearbeitet haben, auch getan.
Alleine die Wertschöpfung der unbezahlten Hausarbeit ist größer als jede Wertschöpfung in einem anderen Wirtschaftszweig. Im Jahr 2021 übersteigt alleine die Wertschöpfung der Kinderbetreuung die des produzierenden Gewerbes, das immer noch die größte Wertschöpfung der auf dem Markt gehandelten Güter und Dienstleistungen aufweist. Die jährliche Berechnung der Wertschöpfung zeigt, dass es bedeutende Veränderungen gibt. Die Zeit während der Pandemie, als die Betriebe geschlossenen waren und die Kinder und Jugendlichen über lange Zeit zu Hause betreut wurden, lässt sich hier problemlos ablesen. Es gibt ständig Verschiebungen zwischen der bezahlten und der unbezahlten Arbeit. Diese Verschiebungen berühren Fragen des Haushaltseinkommens, der Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder und der Verfügbarkeit von Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb ist es so wichtig, diese Entwicklungen statistisch zu erfassen, damit politische Entscheidungen tatsächlich auf der Grundlage von Fakten getroffen werden können.
Verheerende politische Entscheidungen
Das Ausmaß unbezahlter Arbeit und die seit 20 Jahren gleichbleibende Verteilung zwischen Frauen und Männern sind zu wenig bekannt. Das führt oft zu leichtfertigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die die privaten Haushalte, gerade auch in Krisenzeiten nicht entlasten, sondern im Gegenteil belasten, indem weitere Dienstleistungen im Bereich der Haus- und Sorge- und Versorgungsarbeit in die privaten Haushalte verschoben werden. Inzwischen ist klar, dass diese Politik während der Pandemie verheerende Auswirkungen auf Arbeitsbelastung, physische Gesundheit und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen hatte. In jeder Krisensituation, sei es die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2007 bis 2010 oder die Diskussion über die Konsequenzen der Schuldenbremse, führen Kürzungen von öffentlichen Angeboten und Leistungen zu einer Mehrarbeit in den Haushalten, in der Regel deutlich zulasten der Frauen.
Die ungelöste Pflegesituation wird schon seit Jahren auf den Schultern der pflegenden Angehörigen in den Privathaushalten ausgetragen. Waren es vor fünf Jahren noch 80 Prozent der Pflegebedürftigen, die privat versorgt wurden, sind es heute 86 Prozent, und das bei einer deutlich gestiegenen Anzahl an Pflegebedürftigen.
Haushalte dürfen nicht mehr als Orte kostengünstiger Versorgung betrachtet werden. Der Umfang und Wert der dort geleisteten Arbeit trägt zu unserem Lebensstandard bei, aber nur, wenn keine Überlastungssituationen wie während Corona entstehen. Nicht zuletzt hat der Sachverständigenrat für Wirtschaft in seinem Jahresgutachten 2023/24 gefordert, die statistischen Informationen über die Situation in den privaten Haushalten deutlich zu verbessern, um Fehlsteuerungen zu vermeiden. Dazu gehören eine jährliche Erfassung der unbezahlten Arbeit und die Ausweisung ihrer Bruttowertschöpfung in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, ebenso wie die Erfassung ihrer Verteilung zwischen den Geschlechtern. Der normativen Gleichstellung muss nun die faktische folgen. Dazu müssen strukturelle Benachteiligungen wie die Verteilung der unbezahlten Arbeit endlich breit diskutiert werden.
Christine Rudolf ist politische Ökonomin und arbeitet in einem Thinktank für feministische Makroökonomie: economiefeministe in der Schweiz, sie ist auch als Beraterin, Autorin und Vortragende zu den Themen Frauen und Geld tätig und geschäftsführende Vorständin der Genossinnenschaft Schokofabrik eG. Verena Löffler ist Ökonomin und hat ihre Dissertation an der Universität Münster zum Thema Sozialpolitik verfasst. Sie veröffentlichte wissenschaftliche Artikel zu den Themen Care, bedingungsloses Grundeinkommen und Wohnungslosigkeit und engagiert sich in ihrer Freizeit beim unabhängigen Institut #CloseEconDataGap. Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nichtkommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.
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