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Die Ausgrenzung nicht-ganz-genauso-Denkender

Anlass für diese Wortmeldung ist unsere Gastautorin Petra Erler, die in ihrem aktuellen Blogeintrag, der überwiegend um wichtige europäische Themen geht, nebenbei quasi im “Vorbeischreiben” urteilt: “Aber Bernie Sanders hat seinen Platz als glaubwürdiger Deuter der Geschichte der USA verspielt.” Ein Fernurteil, das mich verblüfft. Ich würde es gar nicht wagen, weil ich zu wenig über Sanders’ tatsächliche Politik weiss. Deutsche Medien informieren mich darüber nicht. Petra Erler liest sicher mehr als ich, und sowieso in mehr Sprachen.

Ob aber US-Medien von weit besserer Informationsqualität über diesen gegen sie populär gewordenen Politiker sind, da bin ich mir – vorsichtig formuliert – nicht sicher. Und ihre Empfehlung, Oliver Anthony zur Kenntnis zu nehmen, nunja, dazu hat der Genosse Billy Bragg, den ich vor einigen Monaten beim Champions-League-Gucken in Beuel persönlich kennenlernen durfte (er ist Westham-Fan), im vorigen Jahr schon das Nötige gesagt, bzw. gesungen.

Frau Erlers Urteil stösst mir deswegen so auf, weil ich unmittelbar zuvor das hier gelesen habe. Magdalena Berger/Jacobin: Feministische Außenpolitik ist progressiver deutscher Imperialismus – Mit dem Label »feministische Außenpolitik« möchten liberale Feministinnen der Verteidigung deutscher Interessen einen progressiven Anstrich verpassen. Das zeigt sich in Gaza besonders deutlich.”

Das fehlerhafte an diesem Text ist nicht die Baerbock-Kritik, die auch hier im Extradienst ausgiebig gepflegt wird. Vielmehr nimmt die Autorin eine Frauenorganisation namens “Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP)” auseinander, weil sie eine andere Strategie fährt, als die Autorin für richtig hält. Das ist diskursiv legitim. Aber welchen Fortschritt bringt das voran?

Die US-Rechte hat die Wahl nicht zuletzt deswegen gewonnen – und europäische Rechte tun es gleich – weil Linke und Liberale sich in zahlreichen Zellteilungen selbst zerlegen und. demobilisieren. Den Nahostkonflikt in US-amerikanische, deutsche oder französische Innenpolitik zu verlegen, erleichtert das geradezu fabelhaft.

Und Linke und Liberale – was sollen sie auch den ganzen Tag machen? – haben nichts Besseres zu tun, als genau das?

Ich nenne das Zerfall. Zunächst der meisten antifaschistischen Alternativen, wobei ich an den meisten gewiss auch eine Menge auszusetzen habe – wenn ich Zeit habe. Dann aber auch der Gesellschaften, die vom Faschismus überwältigt werden. Wenn sie nicht beschleunigt Kriege entfesseln – dass sie das tun, haben sie hinreichend nachgewiesen – dann beschleunigen sie die Klimakatastrophe so, dass die meisten von uns noch eine Menge davon erleben werden. Und wer dann behauptet, sie*er habe das nicht gewollt, wird sich fragen lassen müssen: und was hast du dagegen getan?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Petra Erler

    Zunächst danke ich herzlich dafür, dass Sie meinen Blog gelesen haben und auch kritisch hinterfragen. Bernie Sanders hatte zweimal eine politische Chance: 2016 und 2020 und wurde zweimal ausgebootet. Er hat sich nicht gewehrt, sondern ist mitgeschwommen und wurde “kompensiert”. Viele seiner Anhänger sind 2016 zu trump übergelaufen. Wo sie 2020 landeten, weiß ich nicht. Unter Biden fand jedenfalls auch keine progressive Politik statt. Nicht mal die Mindestlohnfrage wurde 2024 zum Thema gemacht (vo allen anderen Dingen ganz zu schweigen)
    Heute sagt die ehemalige Leiterin seiner Präsidentenkampagne 2020, sie würde ihm nie wieder die Hand geben.
    https://x.com/briebriejoy/status/1855368824331092336
    Dass das hier nicht in der Zeitung steht oder im FS läuft, liegt mE daran, dass “unsere Kandidaten” Hillary Clinton dann Biden, dann Harris waren. Immer fein auf “Linie”.
    Was nun wieder den Song betrifft – Ist Zorn rechts? Zorn macht ungerecht. Zorn macht verführbar. Aber Zorn mobilisiert auch.
    Der Mann führt es wenigstens auf die sozialen Verhältnisse zurück – eine Zeile, die ihm besonders “als rechts” angelastet wird, habe ich auch auf meinem Blog in einem Kommentar in den Kontext gestellt. Wenn die US-Ernährungsinustrie zu viel Macht auf gesundheitliche Empfehlungen hat, die wiederum die Basis für steuerbasierte Programme (z:B. für Schulkinder) sind, dann kommen merkwürdige Empfehlungen raus – das war 2023 in den USA zum einen Gegenstand einer rechten Desinformationskampagne (auf Fox), aber es gab auch solide wissenschaftliche Kritik: Seit wann sind (gesüsster) O-Saft) oder bestimmte Bonbons gesünder als Ei oder Milch? Die Veröffentlichung enthält die Empfehlungspyramide und beschreibt die dramatische Situation: Nur 12 Prozent der US-Amerikaner ernähren sich wirklich gesund. Übergewicht ist dort ein grassierendes gesundheitliches Problem. Das wiederum ist ein Thema von RFK jr. (den wir ja auch für völlig bekloppt oder verschwörungstheoretish halten sollen). Der wiederum wollte die Demokraten auf die Partei seines Vaters bzw. Onkels zurückführen – aber hat natürlich damit beim demokratischen Establishment auch nur auf Granit gebissen.
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S002231662305530X

    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S002231662305530X

    • Martin Böttger

      Danke, dass Sie so zügig und ausführlich reagieren.
      Seit George McGovern 1972
      https://de.wikipedia.org/wiki/George_McGovern
      der von den Watergate-Gangstern ausmanövriert und von ihrem Auftraggeber Nixon vernichtend geschlagen wurde, war in den USA kein Linker mehr so “nah dran” wie Bernie Sanders. Der war und ist garantiert nicht fehlerlos. Aber vieles an seiner Strategie muss doch schon ganz gut gewesen sein. Wie demokratisch dysfunktional das US-System aus dem 18. Jh. ist, wurde jüngst hier anschaulich analysiert:
      https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/november/trump-vor-dem-comeback
      Sanders hat sich entschlossen in diesem System zu kämpfen, weil die Kräfte für seine Überwindung ganz offenbar nicht ausreichen. Daraus ergeben sich Kritik und Unzufriedenheit zwangsläufig. Trump hat im Supreme Court jetzt schon eine 6:3-Mehrheit und kann dafür sorgen, dass wir jedenfalls keine andere mehr erleben.
      Unter diesen Bedingungen hat für mich Vorrang, diese – noch – führende Weltmacht daran zu hindern, das menschliche Leben auf diesem Planeten komplett zu beenden (ob durch Atomkrieg oder Klima ist egal). Alle, die diesen guten Willen teilen, müssen zusammenarbeiten und sich gegenseitig stark machen (auch durch Streit). Falschdenkende dabei zu verlieren, können wir uns nicht mehr leisten. “Wir” Ü-60-jährige vielleicht, U60 aber sicher nicht.

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