In Diskussionen um „Wachstum Währung Weltwirtschaft“ ist immer wieder von den MÄRKTEN die Rede. Zum Beispiel heißt es:
Die Märkte umgehen die Schuldenbremse.
Die Märkte sind dank Trump in bester Stimmung.
Die Märkte entziehen sich der Regulierung.
Die Märkte manipulieren den Außenhandel.
Die Märkte missbrauchen ihr Insiderwissen.
Die Märkte nehmen die Wachstumsraten in die Mangel.
Die Märkte fördern den Handel mit virtuellen Währungen.
Die Märkte unterstützen Rohstoffspekulationen.
Wer oder was sind überhaupt diese Märkte? Welch seltsame Kräfte sind da aufgetaucht, um weltweit alle wichtigen Wirtschaftsentscheidungen an sich zu ziehen. Wo kommen sie her, wer hat sie gerufen, wer hat sie legitimiert?
Ich wollte Näheres wissen und die Märkte persönlich kennenlernen und befragen. Lange Zeit war die Suche vergeblich. Wo könnten sie sich verstecken? Auf Landkarten war nichts zu finden. Nur der Marktplatz, der Wochenmarkt und der Flohmarkt (manchmal auch der Weihnachtsmarkt). Und wie sollte ich sie erkennen? Ich wusste doch noch nicht einmal, welche Form, Farbe und Größe sie hatten.
Endlich bekam ich einen heißen Tipp. Anlässlich der Jahrestagung des ‘Europäischen Stabilitätsmechanismus’ wollten sich die Märkte in Luxemburg treffen. Da musste ich hin. Nach langem Suchen fand ich sie – im Seminar für unerwünschte Finanzdienstleistungen. Das hätte ich mir eigentlich denken können.
Mein erster Eindruck war enttäuschend. Dort befanden sich acht unauffällige Wesen. Angesichts der Macht, die sie ausübten, hatte ich mehr erwartet. Ich hatte mir imposante, kraftstrotzende Figuren vorgestellt. Doch die Märkte waren ausgesprochen unscheinbar. Ihr Gesichtsausdruck war belanglos und ihr Blick unstet.
Mit einem Besucher hatten die Märkte nicht gerechnet. Verunsichert rückten sie enger zusammen. Erst recht, als ich ihr Verhalten anprangerte, an ihr Verantwortungsbewusstsein appellierte und sie zur Bescheidenheit und sozialen Verantwortung aufforderte. Sie wichen meinem Blick aus. Eine solche Situation war neu für sie. Doch dann rafften sie sich auf. Sie wiesen meine Forderungen zurück.
Also musste ich anders vorgehen. Ich drohte den Märkten
- mit einer strengen Prüfung durch die Rating-Agenturen. Da lachten sie nur: „Die gehören doch längst uns“.
- mit der Aufhebung jeglicher Verschuldungsobergrenzen. Da freuten sie sich: „Genau darauf warten wir schon.“
- mit der Verstaatlichung des Bankensystems. Das schien sie nicht zu beunruhigen: „Wir gängeln staatliche Banken genauso wie private“.
- mit hohen Steuern auf Leerverkäufe. Da meinten sie nur: „Die Steueroasen in der Karibik haben noch nicht einmal Finanzämter.“
- mit dem Einfrieren der Liquidität. Das gefiel ihnen: „Das erhöht bloß un-sere Gewinnspannen.“
- mit Volksentscheiden. Das nahmen sie nicht ernst: „Die Politik bekommt ihre Weisungen von uns und nicht vom Volk.“
Die Märkte beugten sich nicht. Ich musste zu schärferen Maßnahmen greifen. Ich drohte mit der Insolvenz der Weltwirtschaft, mit der Verstaatlichung der Schweiz, mit dem Verkauf des Euro an China, mit einem täglichen Krisengipfel, mit einem Schuldenerlass von über 100% und mit einer Rückabwicklung der Globalisierung. Die Märkte ließen sich nicht beeindrucken.
Nun war mein Drohpotential erschöpft. Rasch wollte ich noch ein paar Fotos von den Märkten machen. Die Wirkung war unbeschreiblich. Plötzlich zitterten, stöhnten und jammerten sie, versteckten sich und flehten mich an. Wenn diese Bilder in die Öffentlichkeit kämen, wären ihr Ansehen und ihre Macht dahin. Ihre Stärke beruhe doch gerade darauf, dass sich niemand ein Bild von ihnen machen könne. Und dass sie unkontrolliert im Geheimen wirken könnten.
Ich war verblüfft. Man hatte uns doch immer erzählt, dass sich die Märkte rational und effizient verhalten würden. Dass sie machtvoll und durchsetzungsfähig seien. Davon war jetzt nichts mehr zu spüren. Sie wirkten gestört und gehemmt. Einige bewegten sich wie in Trance.
Angesichts ihrer Unberechenbarkeit und Unbegreiflichkeit konnten sie wohl nicht anders sein als nichtssagend und schemenhaft. Nun taten mir die Märkte leid. Ich verzichtete auf das Foto. Im Gegenzug gaben sie mir heiße Tipps, mit welchen Rohstoffen und Währungen ich derzeit erfolgreich spekulieren könnte. Jetzt suche ich jemanden, der mir das Geld dafür gibt. Angebote nehme ich ab sofort entgegen.
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