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Macron auf dem Holzweg

Wer hätte es ihm nicht prophezeihen können:  Als Emmanuel Macron sich nach dem Wahlsieg der Linken bei der letzten Parlamentawahl wieder den alten rechten, neoliberalen  und konservativen Seilschaften zuwandte, war das vorzeitige Ende dieser Strategie abzusehen. Anstatt den Kompromiss mit der erstarkten Linken und der Mitte zu suchen, suchte er wieder den Schulterschluss mit der gemäßigten Rechten. Das ging trotz des politischen Schwergewichts, Ex-EU-Kommissar Michel Barnier, den er als Ministerpräsidenten gewann, vorhersehbar schief.  Faschistin Le Pen und die französische Rechte lachen sich ins Fäustchen. Die EU wird zum Amtsantritt Donald Trumps durch den offenen Wahlausgang in Deutschland, vor allem aber die Regierungskrise Frankreichs, den Ländern, die die tragenden Säulen der EU bilden, buchstäblich zur lahmen, handlungsunfähigen Ente. Das kann sich möglicherweise auf ganz Europa und den Krieg in der Ukraine auswirken.

Macron steht nun nach dem verlorenen Mißtrauensvotum von Michel Barnier vor einem politischen Scherbenhaufen. Denn es wird ihm zum einen nicht gelingen, eine/n ähnlich politisch angesehene/n und international anerkannte/n Kandidaten/in zu finden. Darüber hinaus müsste er eigentlich endlich Konsequenzen aus dem Rechtsruck ziehen, den die Populisten in Europa derzeit ausnutzen und mit Aufwind nutzen können. Für Le Pen ist die derzeitige Regierungskrise ein gefundenes Fressen, um von ihren persönlichen Korruptionsaffären durch Mißbrauch von Mitteln der Parlaments für Parteifreunde, die in die Taschen von Parteifunktionären wanderten, abzulenken. Wird sie verurteilt, profitiert ihr junger Stellvertreter  Jordan Bardella – ist er gar die zukünftige französische Ausgabe von Giorgia Meloni?

Wird sie nicht verurteilt, hat sie beste Chancen, die nächste Präsidentin Frankreichs zu werden. Wenn sich Macron nicht endlich besinnt. Er steuert Frankreich aus ähnlich blinder neoliberaler Verblendung wie Christian Lindner auf eine Demokratiekrise zu, in der die Gefahr besteht, dass Populisten und EU-Gegner die Macht in Frankreich übernehmen, weil die bürgerlich-liberalen Kräfte sich scheuen, mit der demokratischen Linken zu kooperieren und das Land lieber den Populisten überlassen. Das wäre schon in halbwegs normalen Zeiten ein Dolchstoss ins Herz der EU, dessen linke Herzkammer Frankreich, die rechte Herzkammer Deutschland ist. Was ist das für ein Virus des polit-ökonomischen Starrsinns, der Macron wie Lindner nicht über den Horizont der Matte vor ihrer Haustür blicken lässt?

Schon längst das Heft des Handelns verloren

So genial und erstaunlich vor zwei Legislaturperioden Macron sich von seinem ehemaligen Ziehvater Hollande losgesagt und eine hoffnungsvolle Bewegung “La Republique en Marche” gegründet hat, die – oh welche Duplizität der Erignisse – als scheinbar linksliberales Reformbündnis hochfliegend startete, ihn zum Präsidenten machte, viele progressive Versprechen brach  und als neoliberaler Bettvorleger landete – welche Duplizität der Entwicklung mit der deutschen Ampel und vor allem mit der FDP, mit der sich 2021 auch viele Reformhoffnungen verknüpften!

Wie diese hat Macron seine Anhänger*innen und gutgläubige Aktivist*innen der fortschrittlichen Zivilgesellschaft vor den Kopf gestoßen, enttäuscht und in der entscheidenden Phase – nämlich jetzt, wo Trump ante Portas steht – allein gelassen. Dem hätte ein kluger Präsident vorbauen können. Er könnte auch jetzt noch die Kurve zur Demokratie kriegen, indem er endlich auf Mélenchon, die Grünen und die Linke zuginge.  Er scheint aber unbelehrbar zu sein – und das könnte eine europäische Krise von unbekanntem Ausmaß auslösen. Weil er auch auf Scholz nicht hören würde, besteht wenig Hoffnung auf Erkenntnis und Umkehr. Denn die deutsch-französische Achse eiert schon viel zu lange. Wenn sie bricht, ist das der GAU.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Norbert Reichel

    Ich stimme der Analyse in weiten Teilen zu, zum Beispiel über den Weg Macrons vom sozialliberalen (sofern es das in Frankreich überhaupt gibt) Kandidaten zum neoliberalen Präsidenten, von (halb) links unten nach rechts oben, nicht ganz so ungewöhnlich im politischen Geschäft. Vielleicht folgende Ergänzungen:
    a) Frankreich ist ein zentralistisch verfasstes Land, das heißt auch ein hierarchisch orientiertes Land. Das spricht dafür, dass sich Macron – ungeachtet der Proteste gegen ihn, die viel mit der gescheiterten Rentenreform zu tun haben – bis zur Präsidentschaftswahl 2027 halten wird. Proteste wird es weiterhin geben. Das gehört zur französischen DNA. Macron hat als Präsident viele Möglichkeiten, am Parlament vorbei zu regieren, auch ohne Haushalt.
    b) Wer 2027 kandidieren wird, ist völlig offen. Auch Macron kam damals sehr überraschend ins Geschäft. So ähnlich wird es auch diesmal sein. Es kann eine ganze Menge an Kandidat:innen der rechten oder linken Mitte (so nenne ich das mal) geben, die eine Chance haben zu gewinnen. Ich persönlich glaube nicht an einen Wahlsieg von Le Pen (Bardella halte ich allerdings für gefährlicher). Mit Meloni haben beide wenig gemeinsam. Außerdem haben die letzten Parlamentswahlen in der zweiten Runde gezeigt, dass im Zweifel der Rassemblement Stichwahlen in ausreichend hohem Maß verliert. Damit rechne ich auch bei der Präsidentschaftswahl. Es hängt natürlich auch davon ab, ob sich ein Renaissance-Kandidat anders positioniert als Macron und ob auf der Linken Mélenchon oder jemand anders sich für die Stichwahl qualifiziert. (Eine Stichwahl zwischen Mélenchon und Le Pen bzw. Bardella wäre mehr als fatal, siehe zum Beispiel die Positionierungen des Ehepaars Klarsfeld.)
    c) Auf Mélenchon zugehen? Der größte Fehler Macrons war wohl, das Angebot der linken Parteien vor seiner Wahl von Barnier abzulehnen. Mélenchon und La France insoumise sind allerdings hochproblematisch, insbesondere mit dem Antisemitismus, den nicht nur der Chef ständig äußert. Auch außenpolitisch ist Mélenchon alles andere als verlässlich, er ist einfach ein linker Populist. Aber wie gesagt: es gibt andere auf der linken Seite, die mit Mélenchon auch ihre Probleme haben. Ob Macron diese Gruppierungen und Parteien für sich gewinnen kann, um eine Nachfolge von Barnier zu bestimmen, ist eine zentrale Frage. Ein weiteres Scheitern dürfte schwierig werden, denn bei den dann für Mitte 2025 anstehenden Neuwahlen dürfte der Rassemblement erst einmal profitieren und hätte die Chance, auch durchaus 40 Prozent zu erreichen.

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