„OK,” sagte Josh entschlossen, „Du hast jetzt zwei Möglichkeiten, entweder du holst die Kettensäge aus dem Schrank, machst aus Deinem Bett Brennholz und baust aus den kleinen Brettern für unseren Hof Kaninchenställe oder aber wir versuchen dein verwunschenes Liebeslager, so kompakt wie es ist, irgendwie, rüberzuschaffen.“
Alwys blickte Josh aus kleinen Augenschlitzen an. Nach dem Konzert am Vorabend mit Louisiana Red war es zwar nicht sehr spät geworden, aber spät genug, um den anstehenden Umzug mit Schlafdefizit anzugehen. Zwei Fahrten hatten sie schon im R4 in das neue Heim zum Winzerhof hinter sich. Josh schwitzte. Der Mai war über Durchschnitt warm und so waren es auch an diesem Samstagmorgen schon annähernd dreißig Grad. Jetzt ging es nur noch um Alwys’ Spanplattenbett. Alwys und Josh setzten sich auf die podiumähnliche Hochebene und blickten wortlos aus dem Fenster des dreizehnten Stockwerks – ins Unendliche, wie einst Ludwig II. während des Schluss-Applaus’ der Uraufführung von Richard Wagners Parsifal. Arme Toren waren sie beide gerade auch. Denkpause. Alwys holte einen schwarzen Kaffee und reicht ihn Josh.
„Scheißteil,” stieß er mit dem Fuß gegen die Umrandung.
„So scheiße auch nicht,” sagte Josh. „Ist der Claudius noch da?“
Alwys hörte ihn in seinem Zimmer brummen. „Der ist da, ja. Wieso?“
„Dann hol’ den mal, ich habe eine Idee,” wies Josh Alwys entschlossen an.
„Wir brauchen aber noch einen vierten Mann. Da nehmen wir hier einen aus dem Haus, einen kräftigen Spätaussiedler. Da kamen bei Euch letztens welche aus Rumänien ins Haus. Wir haben draußen auch solche im Nachbarhaus. Die sind hilfsbereit.“
Alwys ging und kam mit dem etwas unwirschen Claudius zurück.
„Jetzt macht ihr, was ich sage. Wir nehmen jetzt das Bett hochkant, tragen es in den Aufzug und suchen uns unten noch einen vierten Mann.“
Josh ging zum Fußende und verkrallte sich mittig in den Nut- und Federbrettern, auf denen sonst die Matratze auflag. Alwys und Claudius stemmten links und rechts seitlich das Kopfende hoch.
Alwlys wunderte sich, dass der behäbige Josh plötzlich so energisch und auch ziemlich wendig war.
Im Gänsemarsch bewegten sie das klobige Bett längs gekippt in den Flur Richtung Lift. In den passte es allerdings nicht mit der langen Seite hinein. Etwas ungeschickt hebelten die drei das schwere Teil, als wäre das Holz auch noch nass, war es aber nicht, hochkant auf der schmalen Seite in den Aufzug. An Joshs R 4 draußen endete die Reise auf dem nicht fliegenden Teppich, sondern klobig zu bugsierenden Viereck erst einmal.
„Klingel da bitte einen kräftigen Kerl zu uns runter,” schickte Josh Alwys zum Haus zurück. Alwys war froh, dass Josh die Aktion in die Hand genommen hatte und führte die Anweisungen nur zu gerne aus. Am Abend, so war er sich sicher, würde er schon in der neuen Bleibe die Gitarren auspacken. Einen Probenkeller hatte Josh auch.
„Paradiesisch!” freute sich Alwys. „Vielleicht endet ja auch mein Zölibat in der Vorstadt,” spekulierte er auf die Fluktuation in Joshs Winzerhofbesetzung.
Alwys kam tatsächlich mit einem stämmigen Blonden zurück. Josh machte die Ansage: „Jeder an eine Ecke von dem Ding und dann stemmen wir das über die Kühlerhaube vom R4 rauf aufs Dach!“
-.-.-
„Aufs Dach? Du hast gar keinen Dachgepäckträger, das ist viel zu groß dafür. Da steht doch alles über.“
„Käse! Macht einfach. Ich fahr langsam genug, damit wir vier deine Kleinkunstbühne mit jeder einem Arm aus dem Seitenfenster nach oben greifend das Bett fixiert bekommen. Wie eine Schreinerklemme. Ist auch gar nicht so weit bis zu uns.“
Zu viert waren die Spanplatten jetzt auch gar nicht mehr so schwer. Der blonde hieß Anatol und war kein Rumäne, sondern Armenier und auch schon etwas länger in Deutschland.
Sie trugen das Bett wie eine Sänfte, stemmten es über die Kühlerhaube auf das Autodach und legten es in der Waage haltend dort direkt auf dem Blech ab. Der sehr weich gefederte Wagen schwankte nur ganz gering. Josh stieg als erster ein, streckte den linken Arm aus dem Fahrerfenster aufwärts zum Bett und hielt es an der Kante fest. Alwys setzte sich neben ihn, reckte seinen rechten Arm durch das seitliche Schiebefenster nach oben und griff fest zu. Claudius und Anatol vervollständigten das merkwürdige Umzugsquartett auf der spartanisch gepolsterten Rückbank. Es fehlte jetzt nur noch, dass eine Frau sich oben auf dem Dach im Bikini, wenn überhaupt was anhabend, geräkelt hätte und das alternative Kalenderblatt wäre perfekt gewesen: Vier Hände für ein Hallelujah! Weil das aber nicht so war, zündete Josh den Motor seines R4s ganz profan. Bei dem kleinen Starterruck schob sich das Bett etwas nach hinten. Die Vier zogen es kräftig wieder zurück, so dass es am oberen Rand der Windschutzscheibe ins Blickfeld rückte.
„Du schaltest,” befahl Josh Alwys, „und ich habe immer eine Hand am Lenkrad, klar?“ „OK,” nickte Josh, „ich hab’ ja die linke Hand frei.“
„Macht mal,” murrte Claudius, „ich muss heute noch in das Tierstalllabor Versuchsergebnisse kontrollieren.“
Alwys legte mit der fast waagerecht rechts von der Lenksäule angebrachten Hebelschaltung den ersten Gang ein: Hebel beim nach links Drehen nach vorne drücken. Josh ließ die Kupplung langsam kommen, der Wagen setzte sich unmerklich in Bewegung. „Die Kunst des kleinsten Übergangs,“ kam Alwys als Adorno-Zitat in den Sinn. Der meinte allerdings die vom 12-Ton-Komponisten Alban Berg. Jetzt aber meinte Alwys Joshs Anfahrkünste damit. „Wie das zuerst unbewegt Bewegende,“ fabulierte er in Gedanken mit Thomas von Aquins Gottesbeweis ziemlich bildungshuberisch weiter, als das seltsame Gefährt fast wie ein Gefangenentransport im Schritttempo vom Parkplatz auf die Umgehungsstraße einschwenkte.
Alwys hatte bei dreißig Stundenkilometern den Schalthebel gerade nach hinten gezogen, zweiter Gang, der Motor orgelte schon, bis dahin waren sie im ersten Gang die Ausfallstraße entlang geheult.
„Eyh Josh, du hast keinen Porsche. Tritt jetzt mal die Kupplung gefälligst wieder.“
Jetzt drückte Alwys den Schalthebel vom zweiten Gang hinten links nach rechts vorne in den dritten. Der Wagen lag sicher auf der Straße. Das Bett bewegte sich nur minimal auf dem blanken Blechdach. Die vier Lastenhalter kam mit ihrem Übergriff gut zurecht. Überholende oder entgegen kommende Autofahrer betätigten in dem Moment, in dem sie gewahr wurden, was sie da überholten oder passierten, die Lichthupe oder zeigten Josh einen Vogel. Der ließ sich nicht aus der Ruhe bringen – wie immer.
Nach einer Fahrt von fast zehn Minuten und zwei Ampelstopps verließen sie den Autobahnzubringer und schwenkten auf die Landstraße Richtung Bingen ein. Der warme Wind zog durch die offenen Schiebefenster wie von einem Föhn geblasen hinein. Der Wagen brummte untertourig. Tatsächlich wäre Alwys an diesem Umzugssamstagmorgen beinahe gestimmt gewesen, den fast vollzogenen Ortswechsel nach diesem großartigen Blueskonzert am Vorabend als ein Zeichen zu begreifen. Ein Zeichen von Neuanfang oder zumindest positiver Veränderung.
„Heute noch grob auspacken, die Leute kenn’ ich ja schon, vielleicht spielen Josh und ich am Abend noch ein paar Stücke zusammen und morgen früh geht’s zum Gesamtkunstwerk nach R. Es geht voran!“
Alwys summte die Hausbesetzerhymne im Laufschritttempo.
Sie ließen die Stadt hinter sich, fuhren entlang blühender Apfelbaumreihen, während Alwys ein Anflug von Sentimentalität ergriff, weil ihn diese Fahrt an seine Aufbruchszeit raus aus dem Kaff erinnerte, es ergriff ihn aber auch etwas Furcht, ob ihm dieser gewissermaßen Rückzug aufs Land jetzt bekommen würde.
„Scheiße, verregneter Sonntagnachmittag auf’m Kaff! Hoffentlich halt ich das auch aus. Ist ja nicht ganz Kaff, ist ja Stadtbusbereich.“
„Wie hältst Du denn einen verregneten Sonntagnachmittag hier aus?” fragte er Josh.
„Hör Dir unser neues Stück an, dann weißt du’s,” antwortete Josh trocken und blickte besorgt auf die Fahrbahn, wo ein Radfahrer etwas zuviel Platz beanspruchte.
„Schalt mal in den Zweiten zurück, den will ich da vorn so kurz vor dem Ziel nicht mehr überholen. Könnt ihr noch halten?“ Claudius und Anatol gaben undefinierbare Laute von sich. Die Halte-Arme der vier Cliffhanger waren ihnen schwer wie Blei geworden. Die Muskeln begannen zu brennen.
Vor ihren Augen erschien bereits die handvoll Häuser von Joshs Winzerhof. Josh hielt Abstand zu dem Radfahrer. Ein Krankenwagen mit hektisch heulender Sirene und flackerndem Blaulicht kam ihnen rasend entgegen. Der Radfahrer war auch nicht gerade langsam.
„Der fährt Durchschnitt 40,” bemerkte Josh mit Respekt in der Stimme. „Gleich haben wir den.“ „Wird auch Zeit,” meinte Claudius von der Rückbank. „Alwys, wir müssen noch die Telefoneinheiten abrechnen. Hast Du Deine schon zusammengezählt?“
„Ja, natürlich,” antwortete Alwys genervt, „ich geb’ dir fünfundzwanzig Mark. Das kommt hin. Ich glaub’ aber, dass die beiden Damen der WG nicht immer richtig eingetragen haben. Oder telefoniert der Hund heimlich während unserer Abwesenheit? Die arme Sau!“
„Wir müssen die Wohnung noch übergeben, da hätte ich auch gerne, wenn Du dabei wärst. Wenn die Wohnungsbaugesellschaft was an deinem Living-Room zu bemängeln hat, will ich damit nichts zu tun haben.“
„Womit willst du überhaupt etwas zu tun haben, außer mit dem Periodensystem,” dachte Alwys und sagte aber: „OK, ruf an, wann es ist. Hoffentlich entdecken sie in Deinem Schlauch keine verbotenen Bohrungen. Und nicht vergessen: Besenrein ist das Zauberwort.“
„Wenigstens kennst Du das Wort besenrein schon, ob du es schreiben kannst, ist fraglich, glaube ich. Von dir brauch’ ich mich nicht noch anmotzen lassen, wo ich schon Deine verhunzte Zimmererarbeit hier wegzuschaffen helfe,” keifte Claudius zurück.
Das schrille Sirenengeheul des heranrasenden Krankenwagens bohrte sich immer tiefer in ihre Nervenbahnen. Plötzlich begann der französische Kastenwagen hin und her zu wanken wie von einem seitlichen Schlag getroffen. Der Krankenwagen hatte bei der rasenden Begegnung der Karossen eine derart starke Druckwelle erzeugt, dass Josh Mühe hatte, die Spur zu halten. Das Bett auf dem Dach geriet in Bewegung. Die vier, aus den Seitenfenstern nach oben gestreckten Armen hielten das Holz nur noch schwach in der Balance. Josh blieb nichts anderes übrig, als pumpenderweise die Bremse zu treten, damit die immer mehr auch die Fahrtrichtung beeinflussende Pendelbewegung gestoppt werden könnte. Zu spät: Claudius hatte hinten links keine Kraft mehr, um die Liegestätte auf dem Dach zu halten. Alwys und Anatol aber schon. So kam es, dass sich im Ausrollen von Joshs R 4 die Dachlast zur rechten Seite hin in Bewegung setzte, an der Alwys und Anatols Arme wie unsachgemäß installierte Versorgungsrohre angebracht schienen. Josh bekam den Wagen vor dem Linksabzweiger zum Winzerhof zwar wieder ausbalanciert, das Bett aber schob sich im Zeitlupentempo mit größter Gravität gegen den Asphalt. Ohne irgendwie wuchtig oder in seiner massigen Trägheit schicksalhaft zu wirken, setzte das Holzkarree mit der vorderen Ecke auf dem Fahrbahnrand auf. Mit einem sehr irdisch-berstenden Geräusch lösten sich alle Stahlwinkel und Schrauben aus ihren Halterungen und flogen wild durch die Luft, weil das Aufsetzen Spannung erzeugt hatte. Alwys und Anatol hatten vorher erhebliche Mühe dabei, das fallende Bett an seiner Unterseite mit ihren rechten Armen und Händen in hangelnder und stützender Bewegung soweit vom Auto fort zu hebeln, damit die linke Bettumrandung nicht am Blech herunterschrabbte, einen der beiden ausladenden Außenspiegel abriss oder eine der nicht bewegbaren Scheiben der Seitenfenster eindrückte.
Es wurde eine Bruchlandung wie aus dem Lehrbuch. Die Liegefläche hob von den Seitenbrettern ab, während die Umrandung aus ihrer rechteckigen Form geriet und einfach wie ein Liegestuhl zusammenklappte. Josh gab kurz Gas, damit der Wagen nicht noch von diesem recht eigendynamische Kräfte entfaltenden Strandgut beschädigt würde und kam schließlich nach fünfzehn Metern zum Stehen. Das ganze Geschehen muss ausgesehen haben, als hätten Bett und Wagen unterschiedliche Chronologien gehabt, wie im Blues beim Liebesbrief. Hier die recht zügige Fahrt des Wagens, dann die seitliche Druckwelle, die schwankende Bewegung, ein leichtes Schlingern und schließlich die Reduzierung der Geschwindigkeit bis zum vollständigen Verklingen der Aktion im leicht nachzündenden Motor des Renaults als Schlußkadenz oder nachgeschobenem Anfang von Beethovens Fünfter. Zeitgleich, aber in erheblich langsamerem Ablauf, löste sich das Bett aus seinen vier humanen Klammern, voltigierte ein fast nicht zu beobachtendes minimales Solo der Rotation auf dem Wagenoberen, wuchs sich aus zu einem monströs gezimmerten seitlichen Sonnenschutz und wollte am Ende dieser Überführungspirouette einfach nur noch Holz sein, Maserung, Jahresringe, Astloch.
„Scheiße!“ schrie Alwys. Ein Reflex ließ ihn eine Musikkassette in Joshs Sony drücken. Mit leisem Streichertremolo begann Gustav Mahlers „Lied von der Erde,” seine nicht vollendete neunte Sinfonie. „Scheiße,” sagte Alwys nach einiger Zeit noch einmal. „Ich wäre gerne mit diesem Umzug einmal fertig.“ Er drehte sich um und bemerkte erst jetzt, dass Claudius schon Richtung Bushaltestelle ging. Anatol war das Ganze nur peinlich und Josh war froh, dass sein R 4 keine Beulen abgekriegt hatte.
„Komm, All“ sagte er beschwichtigend zu Alwys, „für’s erste legste Dein Futon auf drei Paletten als Bettgestell und dann können wir ja in Ruhe ein neues Bett bauen. Ich helf’ Dir.“ „OK“ antwortete Alwys, stieg aus und begann die Planken auf den Bürgersteig zu schieben. Josh setzte zurück, kam dazu, sie kanteten das Restbett in den Wagen und mit offenen zwei Hecktüren legten sie die letzten vierhundert Meter auf dem Stichweg zum Winzerhof zurück.
„Wirf’s hinters Haus,” meinte Josh, „da liegen auch die Paletten.“
„Woher habt Ihr denn die?“ wollte Alwys wissen.
„Die holen wir ab und zu bei Harry im Discount. Wenn die neue Lieferungen bekommen, können wir uns die abgreifen. Im Sommer kann man damit gut grillen. Du kannst aber auch erst einmal mit meinem Wagen Anatol zurückfahren.“
Die „Komödie des Geldes” von Arthur Zupf erscheint mit freundlicher Genehmigung vom 1. bis 24. Dezember 2024 als Erstveröffentlichung exklusiv im Extradienst. Rückmeldungen sind explizit erwünscht.
Ich fühle mich erinnert, wie ein guter Freund aus der Kaiser-Konrad-Strasse sowie mein überaus freundlicher Hausmeister mir halfen, zu Fuss ein geschreinertes Bett aus der Mirecourtstrasse durch die Rheindorfer Strasse zu mir nachhause zu tragen. Eine Freundin, die dort ausgezogen war (nach Mondorf, die Arme) hatte es mir geschenkt. Die ganze Aktion – unvergesslich.
PS: Auch in diesem Fall wurde ein bretthartes “Futon” ausgewechselt.
Dankeschön! Das ist auch eine Intention: Kollektives Erinnern von Strukturen. Es hätte alles auch ganz anders sein können, aber trotzdem ähnlich. Habitus, sagte Bordieu dazu. Den gilt es zu durchbrechen.
Die vom erwähnten Bordieu geforderte Reflexion der sozialen Dynamiken lösen die toll geschriebenen Beiträge mal auf jeden Fall aus. Das kollektive Gedächtnis zu sozialen Dynamiken und Verhältnissen wird auf jeden Fall angesprochen. Teilweise kommt es mir vor, als ob ich dabei gewesen wäre ;-). Ob man da alte Bindungen zu durchbrechen hat, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Das Schöne: Die Erzählung unterhält famos.
Da schliesse ich mich an. Obwohl die Gegend, in der die Geschichte angesiedelt ist, eine ganz andere Kultur ist, als wo ich herkomm. Eins meiner WG-MItglieder (1977-98 in Beuel-Süd) war von da. Die hörten ganz andere Radiosender. Die hatten AFN, wir BFBS.