Wo bleibt eine Abwägung zwischen der Wirkung von Maßnahmen zur „Bekämpfung“ der Migration und deren Nebenwirkungen?
Mich hat an der Debatte über das „Zustrom(!)begrenzungsgesetz“ gestört, dass der von CDU/CSU vorgelegte Gesetzentwurf viel zu wenig in der Sache kritisiert wurde. Dieses Gesetz hätte keinen einzigen der zurückliegenden schrecklichen Anschläge verhindert.
Es wurde zwar ein paar Mal darauf verwiesen, dass eine zeitlich unbegrenzte Zurückweisung aller Personen ohne gültige Papiere einschließlich Schutzsuchender (ob mit oder ohne nationalen Notstand nach Artikel 72 AEUV) nicht nur europäisches Recht bzw. die Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 16a des Grundgesetzes verletzte. Ein solcher Hinweis bleibt jedoch abstrakt und man findet immer einen Juraprofessor, der das bestreitet.
Viel zu wenig wurde auf die praktische Nebenwirkung verwiesen, nämlich wenn das größte Land in der EU die Grenzen dicht macht, dann würden nämlich auch die meisten anderen europäischen Länder ihre Grenzen hochziehen – viele rechte politischen Kräfte in unseren Nachbarländern warten doch nur darauf. D.h. offene Grenzen, das Schengen-System in Europa (als notwendige Folge und Voraussetzung der Wirtschaftsunion) wären am Ende, Europa hätte eine seiner wichtigsten Errungenschaften verloren. Nationaler Egoismus und im Gefolge Nationalismus würden fröhlich Urständ feiern.
Kann man knapp 4.000 Kilometer Außengrenze überhaupt dicht machen? Es gibt doch viel zu wenige bewachte Grenzübergänge. Gibt es genügend Wachleute? Wo soll mehr Bundesspolizei herkommen? Würde nicht dem Geschäft von Schleusern für die illegale Einwanderung über die „grüne Grenze“ Tür und Tor geöffnet? Hätte unser Land nicht noch viel mehr nicht erfasste Flüchtlinge – die in die Illegalität abtauchten? Oder will man (wieder) Mauer und Stacheldraht diesmal um das ganze Land herum errichten? Was würde geschehen, wenn die von den Nachbarländer Einreisenden einfach nicht zurückgenommen würden?
Wenn schon Grenzen dicht gemacht werden sollten, dann doch an den Außengrenzen der EU – und zwar nach rechtlicher Prüfung der Schutz Suchenden, wie es das beschlossene, aber noch nicht umgesetzte „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS) vorsieht.
Sind eigentlich, die durch den Familiennachzug von (rechtlich oft mehrjährig) Geduldeten, also durch den Zuzug meist von Kindern und Frauen jemals Gewalttaten ausgegangen? Ist nicht die Familie geradezu ein Stabilisierungsfaktor – wie die Repräsentanten der beiden christlichen Kirchen hervorheben?
Und seit wann ist es rechtsstaatlich, wenn die (Bundes-)Polizei (und nicht ein Richter oder Staatsanwalt) über die Verhaftung (Gewahrsam) entscheidet? Könnte man alle Ausreisepflichtigen überhaupt in Haft nehmen? Wo gäbe es genügend Haftplätze? Kommen Kinder und Frauen auch in Haft und wie lange?
Wo bleibt eine Abwägung zwischen der Wirkung von solchen Maßnahmen und deren Nebenwirkungen?
Sind Migration und Zuwanderung – wie Seehofer sagte – wirklich die „Mutter aller Probleme“ in unserem Land, angefangen von Kita, über Schule, Wohnungsmangel, Bundesbahn, Brückensanierung etc.
Wenn man aus der Sache heraus argumentiert hätte, wäre der Vorwurf gemeinsame Sache mit Nazis zu machen, eben nicht nur ein moralischer.
Es ist doch durch diese Vorgehensweise von Merz nur gelungen, die Ängste in der Bevölkerung massiv zu schüren. Viele Leute sagen doch einfach: „Es muss etwas passieren, egal was!“ Und dieses Denken spielt doch nur den schrecklichen Vereinfachern von der AfD in die Hände. Ich bin auch nicht sicher, dass auch die CDU bei den Wählerinnen und Wählern angesichts der geschürten Ängste und mit dem Signal „Wir tun endlich was!“ gewinnen kann – außer einer autoritären bzw. illiberalen Demokratie, wie sich rundum bei vielen unserer Nachbarländer zeigt.
Dieser Beitrag erschien zuerst im “Blog der Republik”, hier mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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