Wie Trumps Drohungen europäische Grundrechte gefährden
Das erste Jahr des ersten Beirats des deutschen Digital Services Coordinators neigt sich dem Ende zu. Zeit für ein Zwischenfazit sowie einen Ausblick auf die Zukunft des Digital Services Act und die Rolle der Zivilgesellschaft.
Der DSC-Beirat ist ein Gremium aus Zivilgesellschaft, Forschung und Wirtschaft. Er soll in Deutschland die Durchsetzung des Digital Services Act begleiten und den zuständigen Digital Services Coordinator unterstützen. Svea Windwehr ist Mitglied des Beirats und berichtet in dieser Kolumne regelmäßig aus den Sitzungen.
Mitte Juli fand die fünfte – und vorerst letzte – Sitzung des ersten Beirats des deutschen Digital Services Coordinators (DSC) statt. Da die Amtszeit der Beiratsmitglieder an die Legislaturperiode des Deutschen Bundestages geknüpft ist, steht nun die Neubesetzung des Gremiums durch den Ausschuss für Digitales und Staatsmodernisierung bevor.
Damit bietet sich die Gelegenheit, ein erstes Fazit zu ziehen. Was hat der Beirat in den zurückliegenden Monaten erreicht? Und wie steht es aktuell um die Durchsetzung des Digital Services Acts (DSA)?
Eine erste Bilanz
In knapp elf Monaten fanden fünf Beiratssitzungen statt. In dieser Zeit hat sich der Beirat eine Geschäftsordnung gegeben, die eine Grundlage für die Zusammenarbeit bietet. Außerdem haben sich die Mitglieder untereinander und den DSC etwas näher kennengelernt sowie erste inhaltliche Themen beackert.
Das war nicht immer einfach. Die verschiedenen im Beirat vertretenen Interessen führten – quasi entlang von Sollbruchstellen – wiederholt zu inhaltlichen Spannungen. Insbesondere bei der Frage nach dem Selbstverständnis des Beirats gingen die Vorstellungen regelmäßig auseinander.
Einige sehen die Rolle des Gremiums darin, den DSC in Fragen der Durchsetzung des DSA auch hinsichtlich europäischer Aspekte zu beraten. Andere präferieren hingegen den Fokus auf deutsche Kontexte. Auch der Grad der Transparenz des Beirats, also welche Teile der Sitzungen öffentlich und welche nur hinter geschlossenen Türen stattfinden, musste immer wieder ausgehandelt werden.
Bei vielen inhaltlichen Themen arbeitete der Beirat dafür umso konstruktiver zusammen. Von einer gemeinsamen Stellungnahme zur Frage, wie Kinder und Jugendliche online besser geschützt werden können, ohne dass sie ihre Privatsphäre opfern müssen, bis zu internationalen Themen – die diverse Besetzung des Beirats hat sich bewährt, um den DSC möglichst umfangreich zu beraten.
Im besten Fall ist es also eine Stärke des Beirats, dass er so unterschiedliche Perspektiven aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Industrie zusammenbringt.
Dabei muss festgehalten werden, dass sich die Besetzung des Beirats anders gestaltet hat als vorgesehen. Die Beiratsmitglieder werden auf Vorschlag der Fraktionen vom Plenum des Bundestags gewählt. In der zurückliegenden Legislaturperiode gingen zwei der vorgesehenen 16 Sitze aufgrund ihrer Fraktionsstärke an die AfD. Die AfD nominierte jedoch nur eine Person: den Blogger Hadmut Danisch. Aus ihrer Sicht ist er ein Vertreter der Zivilgesellschaft. Allerdings fällt Danisch regelmäßig mit misogynen und verschwörungserzählerischen Aussagen auf. Er wurde letztlich vom Plenum abgelehnt.
Die Zukunft des Beirats
Somit war der Beirat um zwei Personen kleiner als geplant, und die Zivilgesellschaft verfügte nur über acht Vertreter*innen – deutlich weniger als gesetzlich vorgesehen.
Dies wird wohl im nächsten Beirat ebenfalls so sein. Denn aufgrund des Rechtsrucks bei der vergangenen Bundestagswahl hat die AfD nun das Vorschlagsrecht für vier statt nur zwei Sitze. Nur die CDU/CSU darf mit sechs Sitzen mehr Beiratsmitglieder vorschlagen.
Und auch wenn die zivilgesellschaftliche Vertretung darunter leidet, ist zu hoffen, dass der nächste Beirat ebenfalls ohne die AfD auskommt. Denn seit Jahren verunglimpft die Partei den DSA als Zensurwerkzeug. Erst im vergangenen Juni hat sie dem DSC vorgeworfen, durch die Ernennung von sogenannten “trusted Flagger” die Meinungsfreiheit im Netz zu gefährden.
Damit unterminiert die AfD nicht nur gezielt ein Gesetz, dass ihren eigenen Online-Aktivitäten einen Riegel vorschieben könnte. Sondern sie setzt auch zivilgesellschaftliche Organisationen, die zum Beispiel als trusted Flagger an der Durchsetzung des DSA beteiligt sind, Repression und Schmierkampagnen aus. Sehr wahrscheinlich würden die von der AfD vorgeschlagenen Beiratsmitglieder diese Politik auch aus dem Beirat heraus betreiben.
Die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft
Tatsächlich gibt es ein durchschlagkräftiges zivilgesellschaftliches Ökosystem, das die Umsetzung des DSA auf deutscher und europäischer Ebene maßgeblich mitgestaltet. Viele der von der Europäischen Kommission eingeleiteten Verfahren gegen Big Tech basieren auf Belegen, die zivilgesellschaftliche Organisationen zusammengetragen haben.
Diese Organisationen verfügen über viel Expertise, mit der sie die Risikoberichte der größten Plattformen kritisch hinterfragen. Sie pochen auf die Rechte der Nutzer*innen. Und sie geben immer wieder Feedback, um Verbesserungen zu erzielen. Auch viele der wegweisenden gerichtlichen Verfahren gegen Plattformen unter dem DSA wurden und werden von NGOs ausgefochten.
Dass die Zivilgesellschaft stark im Beirat vertreten ist, erkennt somit ihre besondere Expertise an, die zu einer konsequenten Durchsetzung des DSA und dem Schutz von Grundrechten im Netz beiträgt.
Liegt die DSA-Durchsetzung auf Eis?
Wie es um die weitere Durchsetzung des DSA bestellt ist, steht derweil auf einem ganz anderen Blatt. Denn obwohl höchste Vertreter*innen der Europäischen Kommission über Monate immer wieder versicherten, dass der Druck der Trump-Regierung auf den DSA nichts an dessen Durchsetzung ändern wird, hat sich der Wind inzwischen gedreht.
So berichtet die Financial Times, dass die Europäische Union die Ermittlung gegen X wegen Verstößen gegen des DSA hinauszögert. Grund dafür seien die laufenden Zollverhandlungen mit der US-Regierung, die die Kommission angeblich nicht gefährden wolle.
Diese Entscheidung ist aus gleich mehreren Gründen kein gutes Signal. Einerseits ist die Ermittlung gegen X die am weitesten gediehene Durchsetzungsmaßnahme der Kommission, der Abschluss der Untersuchung wurde noch vor der Sommerpause erwartet. Und nur allzu deutlich zeigt Elon Musk, der Eigentümer von X, seine Verachtung gegenüber europäischen Regelwerken. Das ist, knapp drei Jahre nach Inkrafttreten des DSA, eine besorgniserregende Entwicklung – gerade auch weil die Kommission stets betont, dass eine starke Durchsetzung des DSA essenziell sei, um die europäischen Grundrechte im Netz zu schützen.
Andererseits erweckt Brüssel so öffentlich den Eindruck, den Argumenten Trumps und der Tech-CEOs zu folgen, wonach europäische Bußgelder US-amerikanische Firmen unfair bestrafen und nichttarifäre Handelshemmnisse darstellen würden. Tatsächlich aber gilt der DSA für alle Plattformen gleichermaßen, die ihre Dienste oder Produkte europäischen Nutzer*innen anbieten. Mit Handelspolitik hat das Regelwerk eigentlich nichts zu tun.
Umso fataler ist es, wenn die Kommission den DSA als Faustpfand im Handelsstreit mit den USA betrachtet. Das zeichnet ein falsches Bild von der Absicht, die das Regelwerk verfolgt. Vor allem aber sollte die Durchsetzung europäischen Rechts niemals als Verhandlungsmasse eingesetzt werden, insbesondere wenn Grundrechte auf dem Spiel stehen. Andernfalls ist es die Europäische Union selbst, die rechtsstaatliche Prinzipien aushöhlt, statt sie zu verteidigen.
Svea Windwehr ist Co-Vorsitzende von D64 e.V., einem überparteilichen Verein mit über 800 Mitgliedern, der sich für progressive Digitalpolitik einsetzt. Als Assistant Director of EU Policy arbeitet sie bei der Electronic Frontier Foundation zu europäischen Themen, mit einem Schwerpunkt auf Plattformregulierung, Nutzer*innenrechte und Überwachung. Sie studierte Politikwissenschaft und Recht in Maastricht, Berkeley und Oxford. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
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