Bundeswehr: Kabinett beschließt Wehrdienst-Modernisierungsgesetz

Am 27. August 2025 verabschiedete das Bundeskabinett das von Pistorius auf den Weg gebrachte neue Wehrdienst-Modernisierungsgesetz (WDModG). Voraussichtlich im September/Oktober wird der Bundestag das Gesetz beschließen. Kurz vor der Gesetzesvorlage war im Juni bekannt geworden, dass die Anforderungen der NATO an die Truppengröße der Bundeswehr zahlenmäßig erheblich höher liegen als bislang geplant. Die Bundeswehr soll deswegen auf 260.000 (statt aktuell 180-190.000) aktive Soldat*innen und die Reserve von 100.000 auf 200.000 Mann/Frau anwachsen. Deshalb wurden offensichtlich die Zwangsschrauben im Gesetz auch schon vor der möglichen Wiedereinführung der alten Wehrpflicht verschärft angezogen.

Zwangs-Befragungen und Erfassungen

Der laut Gesetz sogenannte „Neue Wehrdienst“ soll zunächst, wie bisher, freiwillig sein, aber die Anreize werden erheblich gesteigert. Als erstes verpflichtendes Element kommt im Gesetz die zwangsweise Befragung aller jungen Männer hinzu, die 18 Jahre alt werden. Sie müssen eine „Bereitschaftserklärung“ hinsichtlich des Wehrdienstes abgeben sowie Fragen zu körperlicher und geistiger Kriegstüchtigkeit beantworten. Junge Frauen erhalten diese Fragebögen auch, aber für sie ist die Beantwortung freiwillig, da sie ja nicht der Wehrpflicht unterliegen. Für die Einbeziehung von Frauen in die Wehrpflicht wäre eine Grundgesetzänderung notwendig, die eine 2/3-Mehrheit erforderte und aktuell nicht absehbar ist.

Männer im Alter von 18-60 Jahren unterliegen ja nach wie vor der Wehrpflicht. Nur der Wehrdienst in Friedenszeiten wurde 2011 ausgesetzt, § 1 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) ist bis heute in Kraft geblieben: „§ 1 Allgemeine Wehrpflicht (1) Wehrpflichtig sind alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und …“. § 2 lautet aktuell: „Die §§ 3 bis 53 gelten im Spannungs- oder Verteidigungsfall.“ Das ist praktisch der Aussetzungsparagraph, der allerdings eine automatische Wiedergeltung der Wehr- und Kriegspflicht für den Spannungs- und Verteidigungsfall umfasst. Durch das WDModG werden einige zentrale Teile des WPflG wieder in Kraft gesetzt, wodurch vor allem die Datenweitergabe von Meldebehörden an die Bundeswehr, Auskunfts- und Meldepflichten sowie Erfassungen und Musterungen der Wehrpflichtigen möglich werden.

Die Nichtbeantwortung der neuen Bundeswehr-Fragebögen durch Männer wird als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern geahndet. Im Wesentlichen bedeutet die Fragebogen-Aktion die systematische Wiedereinführung der vollständigen Wehrerfassung der gesamten Bevölkerung ab Jahrgang 2007. In diese Erfassung sollen später auch peu à peu ältere Jahrgänge einbezogen werden.

Zwangs-Musterungen

Ein weiteres starkes Zwangselement des Gesetzes ist die vorgeschriebene Musterung aller jungen Männer ab 1.7.2027. Bis dahin hat der Staat offensichtlich noch keine hinreichende Erfassung der Betroffenen vorgenommen und noch nicht die weiteren nötigen Voraussetzungen für die Musterung von rund 300.000 Männern jährlich geschaffen. Die Kosten allein für die Musterungen werden im Gesetz mit rund 54 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Die Zwangsmusterungen sollen dazu dienen, einen wachsenden Überblick über alle wehrdienst- bzw. kriegsfähigen Männer zu bekommen. Hierzu heißt es in der Begründung: „Beginnend mit dem Geburtsjahrgang 2008 werden in den nächsten Jahren sukzessive weitere Geburtsjahrgänge einbezogen und einer Verpflichtung zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung sowie einer Musterung unterworfen. Damit wird gewährleistet, dass sich das aktuelle Lagebild im Laufe der Zeit auf eine immer größere Anzahl von Wehrpflichtigen erstreckt. Frühere Jahrgänge werden aber auf Grundlage von § 15 Absatz 1 WPflG flächendeckend erfasst, so dass auf die Daten derjenigen Wehrpflichtigen, die vor 2008 geboren wurden, zurückgegriffen werden kann.“ Gegen die Datenweitergabe durch die örtlichen Behörden an die Bundeswehr – aktuell für Werbezwecke – konnte man bislang Widerspruch einlegen. Dies entfällt ab Inkrafttregen des WDModG, da die Datenweitergabe und -erfassung – für junge Männer ab 17 Jahren – wieder verbindlich eingeführt wird. Junge Frauen werden der Datenweitergabe weiterhin widersprechen können.

Pauschale Ermächtigung der Regierung zur Wehrdienst- und Kriegsdiensteinführung

Wesentlicher Bestandteil des neuen Gesetzes ist der Ermächtigungs-Paragraph für die Bundesregierung, je nach Bedarf und Lageeinschätzung die alte Wehrpflicht wieder in Kraft zu setzen. Dies würde im Wege einer „Rechtsverordnung“ geschehen, die zwar in diesem Fall der Zustimmung des Bundestages bedürfte, aber weit unterhalb der Anforderungen eines üblichen Gesetzesverfahrens liegt. Damit wird die Exekutive weitgehend befugt, über eine Wehrpflicht-Inkraftsetzung zu entscheiden. § 2a WDModG ist überschrieben mit „Verordnungsermächtigung“ und lautet: „Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die der Zustimmung des Bundestages bedarf, anzuordnen, dass ungediente Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst nach § 5 einberufen werden, wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist.“ Die Formulierung „zwingend erfordert“ kommt einem unbestimmten Rechtsbegriff gleich, der die Bestimmtheitsnorm für Gesetze verletzt. Auch die flexible Möglichkeit, einen Zwangswehrdienst für 6 bis zu 12 Monaten (im Spannungs- und Verteidigungsfall als Kriegsdienst zeitlich unbegrenzt!) per Rechtsverordnung einzuführen, ist nicht grundgesetzkonform. Solch weitgehende Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht erforderten ein Gesetz.

Nach aktueller Rechtslage könnte die Wehrpflicht nur mit 2/3-Mehrheit des Bundestages durch Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalles wiedereingeführt werden. Diese 2/3-Hürde wird durch die Verordnungsermächtigung umgangen. Diese Ermächtigungsklausel soll zugleich in einer Krisenlage den Spannungsfall quasi herstellen, ohne ihn zu verkünden. In der Gesetzesbegründung heißt es verräterisch: „Der formalen Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls kann auch je nach sicherheitspolitischer Lage eine eskalatorische Wirkung zukommen, die politisch nicht gewollt sein mag.“

„Freiwilligkeit“ – mit ökonomischen Zwängen

Um der „Freiwilligkeit“ nachzuhelfen, werden mit dem Gesetz jede Menge von Anreizen geschaffen, um vor allem Jugendliche aus ärmeren Schichten in die Bundeswehr zu locken. 2.300 Euro netto hat Pistorius wörtlich allen freiwillig Dienenden (Mindestzeit 6 Monate, 12 Monate und länger sind möglich) versprochen, dazu freie Unterkunft, Verpflegung, freies Fahren und mehr. Alle befristet freiwillig dienenden Soldat*innen werden – statt bisher als „Freiwillig Dienstleistende“ – als Zeitsoldat*innen (SaZ) eingestellt und nun nach dem Bundesbesoldungsgesetz bezahlt. SaZ mit 12 Monaten Mindestverpflichtung können zusätzlich eine Verpflichtungsprämie kassieren. Zu den höheren Zahlungen kommen ggf. Abfindungen bei längeren Dienstzeiten, Unterstützungen für Ausbildung oder Studium, und nicht zuletzt satte 3.500,- Zuschuss zu einem Führerschein. Das sind keine Peanuts, sondern für 18-Jährige extrem hohe materielle Anreize.

Die sogenannte (vorläufige) Freiwilligkeit wird also durch extrem hohe ökonomische Anreize, die in familiären Diskussionen schnell zu Zwängen werden können, befördert. Zudem dürften Bildungschancen oder berufliche Förderungen eigentlich nicht von militärischem Engagement abhängig gemacht werden, wie u.a. der Bundesjugendring zu Recht kritisiert. Diese Anreize und Förderungen könnten sogar geeignet sein, freie Gewissensentscheidungen zu erschweren, wenn nicht zu blockieren.

Zweifel an Verfassungsgemäßheit

Das Wehrdienst-Modernisierungsgesetz ist im Ergebnis rundherum abzulehnen. Im Kern enthält das Gesetz bereits die Rückkehr zur umfassenden Wehrdienstpflicht. Um diese in Kraft zu setzen, bedürfte es nach Inkrafttreten des WDModG nicht einmal mehr eines ordentlichen Gesetzes, sondern nur einer Rechtsverordnung der Bundesregierung! Aber nur durch ein Gesetz dürften überhaupt Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt werden, in dem diese Einschränkungen auch ausdrücklich benannt würden. Auch im WDModG selbst werden die damit jetzt schon einhergehenden Grundrechtseinschränkungen (Freiheit der Person, Freizügigkeit u.a.m.) nicht benannt. Somit ist die Verfassungsgemäßheit des WDModG insgesamt und insbesondere der Ermächtigungs-Paragraph zur Wehrpflicht-Wiedereinführung zumindest fraglich.

Kriegsdienste verweigern!

Es bleibt zu hoffen, dass sich bereits angesichts der Fragebogenaktion zur Kriegstüchtigkeit viele Jugendliche und junge Männer Gedanken über die Sinnhaftigkeit bzw. Sinnlosigkeit mörderischen Handelns im Krieg machen und zu einer eigenen fundierten Gewissensentscheidung gegen jeden Kriegsdienst mit der Waffe gelangen! Sie können mit der Beantwortung des Fragebogens bei der Motivationsfrage angeben, sich zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen entschieden zu haben. Parallel müsste gleichzeitig der Antrag auf dem üblichen Rechtsweg eingereicht werden. Auch die befragten jungen Frauen können den Anreizen des freiwilligen Wehrdienstes jetzt schon widerstehen, den Soldatinnen-Beruf ablehnen und dies via Fragebogen-Rücksendung zum Ausdruck bringen.

KDV-Hinweise:

Zum offiziellen KDV-Verfahren / Info des Ministeriums

Infos, Hinweise zum Verfahren und Beratungsmöglichkeiten gibt es u.a. bei der EAK und der DFG-VK.

Martin Singe ist u.a. im neu gegründeten KDV-Beratungsteam Bonn aktiv. Kontakt zum Autor: martin.singe@t-online.de. Vorstehender Artikel erscheint im FriedensForum 6/2025 zum 1.11.2025. Er kann vorab genutzt werden. Ein kostenfreies Probeheft des FriedensForums erhält man hier.

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