Deutsche Medien können sehr vielsagend schweigen und Altes aufblasen

Steffen Grimberg/taz beurteilt die Henri-Nannen-Recherche von funk (ARD/ZDF-Netzwerk) völlig richtig. Die Story kennen wohl nur die nicht, die zu jung sind und alte Sachen nicht lesen wollen. Extradienst-Gastautor Hans Conrad Zander kann diese Geschichte wahrscheinlich auswendig aufsagen, so sehr hat ihn der beim Vorstellungsgespräch einschlafende Mann beeindruckt. Vielleicht gibt es eines Tages noch ein WDR-Zeitzeichen dazu.

Michael Maier/Berliner Zeitung porträtiert Financial-Times-Rechercheur Dan McCrum, der fast im Alleingang den deutschen Wirecard-Konzern erlegen musste, und jetzt ein Buch herausbringt: „Haus of Wirecard. Wie ich den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands aufdeckte und einen DAX-Konzern zu Fall brachte“. Da bei der Berliner Zeitung eine digitale Einmauerung zu befürchten ist, meine Stichworte. Praktisch muss es so ähnlich zugegangen sein, wie in einem Agentenfilm. Die deutschen Medien haben dabei fast komplett PR für den Betrügerkonzern gemacht. Ausnahmen seien laut McCrum die Süddeutsche und die Wirtschaftswoche gewesen. Eine besonders üble Rolle habe das Düsseldorfer Handelsblatt (Holtzbrinck-Konzern, zu dem auch Die Zeit und Tagesspiegel gehören) gespielt. Die institutionelle Aufarbeitung des Skandals durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss u.a. Prüfverfahren der Finanzaufsicht sei dagegen – im Vergleich zu Londoner Gewohnheiten – geradezu vorbildlich geraten.

Aufgekocht werden in diesen Tagen die Wissenschaftsbeziehungen zu China. Ein jahrhundertealtes Thema. Wissenschaftliche Kooperation mutiert zum Wirtschaftskrieg. Technologie und Wissen sind Macht- und Produktionsfaktoren. China ist neu- und wissbegierig, kopiert gerne, was sich bewährt hat. Da ist es mir ganz ähnlich. Und, ja sicher, erkennt es das als strategischen Wert. Die sind ja nicht blöd. Insofern war es schon immer richtig dieses ambivalente Thema öffentlich zu diskutieren und abzuwägen. Aber mit welchem Spin? Soll Deutschland, soll die EU – im Gefolge der USA? – in den Wirtschaftskrieg eines Duopols aus USA und China ziehen? Ich wäre eher dafür, Kriege zu verhindern. Hat nicht die Coronapandemie gezeigt – wie seit Jahrzehnten schon die Klimakrise – dass Weltprobleme nur durch globale Zusammenarbeit lösbar sind? Und war und ist es nicht Deutschland, das das bei den Corona-Impfpatenten bis heute blockiert (= Sonderweg!)?

Die Hälfte der Welt fiebert – und in Deutschland merkt es wieder keiner (Frauen nicht mitgemeint)

Heute um 19 h ist Champions League Finale in Turin. Vor wenigen Wochen wurde in Barcelona beim 5:1 im Halbfinale gegen VW Wolfsburg ein Zuschauer*innen*weltrekord aufgestellt. Frauenfussball ist auch in Deutschland ein TV-Einschaltquotengarant. Die WM 2011 war ein ähnliches Sommermärchen wie die 2006. Doch das Finale von Barca gegen Olympique Lyon läuft hierzulande nur im Pay-TV-Streaming eines russisch-ukrainisch-US-amerikanischen Oligarchen. Der Kerl kann mit allen, und sich also weiter unbegrenzt auf Kosten unserer Informationsfreiheit bereichern.

Wird das wenigstens durch Online-Berichterstattung kompensiert? In welcher Aufstellung wird gespielt? Wer ist verletzt (z.B. Dzsenifer Marozsán, sehr, sehr schade). Die besten Teams der Welt treffen da heute aufeinander. Wer trainiert sie? Mit welcher Spielstrategie werden sie sich begegnen? Was sind die Schwachpunkte beider Teams? Wenn Sie darüber eine seriöse deutsche Vorberichterstattung finden, geben Sie mir bitte Bescheid. Stattdessen kreisen hierzulande die Männersportredaktionen um die Begegnung zweier deutscher Provinzgrössen der Jungs. Wers mag, bitte schön. Aber die Weltklasse spielt heute in Turin. Und in Deutschland berichtet keiner.

Um zu erkennen, wie weltabgewandt die deutsche Männersportwelt agiert: in den USA, in denen in den letzten Jahrzehnten – wie in Deutschland – die Fussballerinnen im internationalen Vergleich weit leistungsstärker agierten, als die teuer bezahlten Jungsmillionäre, wurde Anfang dieses Jahres “schon” Equal Pay durchgesetzt. Dann kann das ja, einem Sprichwort zufolge, in Deutschland nur noch fünf Jahre dauern …

So schwach, arm und doof hat sich die germanische Männerwelt schon lange nicht mehr gezeigt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net