Gespräch am Nachbartisch, ein Paar, keine Ahnung, ob zusammen oder noch nicht. “Shades of Grey”, der Film, habe am ersten Wochenende “80 Millionen eingespielt”. Sie habe ja auch überlegt, reinzugehen, ihre Freundin war schon drin, es sollen mehrheitlich Frauen sein. Der Hetero-Sex mit Männern ist so langweilig geworden, dass frau in so schlechten Filmen nach Alternativen suchen muss. Tragisch, eine wirkliche Krise.

Mittlerweile ist es schon ein breiter literarischer Modetrend, über das “Ende der Liebe” zu schreiben. Je weniger es davon gibt, um so größer wird die Sehnsucht danach. Der wachsende Wunsch nach Liebe ist also weniger Gegenbeweis als Indiz für ihr mögliches Aussterben. Und so, wie man ökonomisch im Neoliberalismus nach Optimierung trachtet, wird das auch als Trend im Paarungsverhalten und Sexleben gesehen. Kann sein, dass die Liebe, im Bürgertum des 19. Jahrhunderts erstmals als Massenphänomen entstanden, schon wieder stirbt. Es verändert sich viel zur Zeit, und alles mit wachsendem Tempo.

Wer seinen Sex optimieren will, sollte vielleicht doch lieber mit Freund/in mehr darüber sprechen. Jede/r hat verborgene und dunkle Seiten. Das ist – noch – nicht verboten. Was vor wenigen Jahrzehnten verboten und pervers schien, ist heute schon für 8-10-jährige allgemein verfügbar. Lieber früher drüber sprechen, als später; und keineswegs nur über “Verhütung”.
In den 70ern waren Filme wie “Geschichte der O” (der “Spiegel”, der beständig bis heute Szenenfotos davon druckt, war damals an der Vertriebsfirma beteiligt), “Emmanuelle” und “Schulmädchenreport” Skandale, die zu Demonstrationen, Attentaten gegen Kinos und zeitweisen Verboten führten; und selbstverständlich: zu blendenden Geschäften. In den 90ern wurden sie dann schon von den privaten TV-Sendern ausgestrahlt, mit nur noch bescheidenen Einschaltquoten. Denn sie wurden nicht mehr als Porno wahrgenommen, sondern als satirisch-skurrile Zeichen ihrer Zeit.
Der heutige Porno ist ein Industrieprodukt, bei dem, wie in anderen Branchen auch, immer strenger auf Geschäftsmodelle und Rendite geachtet wird. Es geht also weniger um Qualität und schon gar nicht um “Aufklärung” und noch nie um “Befreiung”, aber wie bei jeder kapitalistischen Produktion um Ausbeutung und Aufteilung von Mehrwert. Und übrigens ist in dieser Branche die Diversität von Geschlechterrollen schon weiter gediehen, als in den meisten anderen Branchen. Es ist also ein kleiner Ausschnitt von gesellschaftlicher Wirklichkeit. Darüber müssen wir sprechen. Zuhause, in der Schule, überall.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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