Das jüngste G7 – Treffen ist vorbei und hat gemessen am Aufwand so dünne Ergebnisse gebracht, wie selten. Wer die Pressekonferenz der Kanzlerin verfolgt hat, dem mag aufgefallen sein, dass eine viel Unverfängliches plappernde Kanzlerin im Kern noch weniger sagte, als man von ihr sonst gewohnt ist. Von einem Journalisten auf ihr eigenes Wort angesprochen: “Spionieren unter Freunden – das geht gar nicht” ging sie nicht mit einem einzigen Wort ein. So zog es sich durch die Veranstaltung: Die Pressefreiheit wurde, um es mal vorsichtig zu sagen: eingschränkt. Dreitausend Journalisten waren wegen des Gipfels angereist und mussten sich ebenso wie die Demonstranten damit bescheiden, dass nur etwa siebzig Handverlesene direkt an den Pressekonferenzen teilnehmen durften. Und deren Fragen wurden nicht gerade entgegenkommend beantwortet.

Damit zeigt sich in der Gipfelberichterstattung dieselbe Tendenz wie beim Umgang mit den Demonstranten. Fünfzig sollten nach Meinung des Verwaltungsgerichts in Hör- und Sichtweite des Gipfelhotels – von der Polizei dort hingefahren – dort ein bisschen krakeelen dürfen. Bis der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auch diese Entscheidung, gegen die die Staatsregierung Rechtsmittel eingelegt hatte, wieder kassierte.

Weisswurst und Gamsbart

So dominierten vom Gipfel die eminent politischen Bilder eines Weisswurst essenden und Gamsbartträgerhände schüttelnden US-Präsidenten, dem die Kanzlerin quasi auf dem Schoß sass. Pressefreiheit und Bürgerrechte haben in Bayern ihren ganz speziellen Stellenwert und stehen ja angeblich für die “Wertegemeinschaft”, die sich nach eigenem Bekanntnis dort traf – den legte auf jeden Fall die bayerische Staatsregierung fest und auf deren Agenda stehen weder kritischer Journalismus, noch Demonstranten, die ihre Grundrechte auch für die Mächtigen sichtbar wahrnehmen können. Machen wir uns also vier Tage nach dem Ereignis die Mühe, nach den Spuren und Ergebnissen dieses Gipfels zu suchen:

Neoliberalismus dominiert

Erstens: Die G7 Runde hat sich, statt sich den drängenden Problemen der Welt in Europa und in den angrenzenden Ländern mit dem Willen nach politischen Lösungen zu widmen, zunächst einmal als Treffen der Kernnationen der EU, USA und Japans im Geiste der “Reinen Lehre” der Staaten des neoliberalen Westens präsentiert. Obama und Merkel unterschieden sich in ihrem Habitus kaum von Ronald Reagan und Helmut Kohl – sie versuchten im Vorfeld der Veranstaltung bereits, den ausgeladenen Putin zu demütigen. Die wiederholte Nennung von Bedingungen, die Russland erfüllen müsse, um wieder an G 8 teilnehmen zu “dürfen” zeugt von einer Arroganz der Außenpolitik, die Merkel und Obama schnell einholen kann. Ebenso die Bemerkung Merkels, man habe sich mit Russland nur ganz kurz am Rande befasst. Unprofessionelle Äußerungen wie die des Kanadischen Premiers, der Russland für immer aus G8 verbannen möchte, zeigten eine erschreckende Naivität und Stümperhaftigkeit, die inzwischen westliche Außenpolitik umgibt. Horst Teltschick, ehemaliger Sicherheitsberater Helmut Kohls kritisiert dies ebenso wie der ehemalige NATO-General Kujat. Die G7 Runde zeigte damit, dass sie nicht willens und fähig ist, auf die aktuellen Herausforderungen der Außenpolitik einzugehen.

Grundregel der Außenpolitik mißachtet

Zweitens: In der Frage des Konfliktes der Ukraine hat sich gezeigt, dass die G7 Runde eher daran interessiert ist, sich selbst in ihrer Meinung zu bestärken. Wer Russland weiter ausgrenzen will, zeigt, dass er die einfachsten Grundbgriffe der Außenpolitik unter Staaten, die sich als Vertreter gegensätzlicher Interessen verstehen, nicht verstanden hat. Die Grunderfahrungen der Politik aus der Zeit des “Kalten Krieges”, dass man einen Kontrahenden, der über genügend Waffen verfügt, um den Planeten in Schutt und Asche zu legen, nicht ignorieren kann, sondern im eigenen Interesse respektieren sollte, sind offensichtlich vergessen. Das bedeutet einen dramatischen Verlust an Berechenbarkeit und damit an globaler Sicherheit.

Fischerei und Agrar gegen den globalen Süden

Drittens: Die globale Flüchtlingsproblematik, die vor allem ein Resultat der Wirtschaftspolitik der G7 Staaten ist, die unter anderem bei der Festlegung der Fischerei- und Agragrpolitik, die viele Staaten Afrikas immer tiefer in die Armut führt, war überhaupt kain Gipfelthema. Eine wirkungsvolle Fluchtursachenbekämpfung durch politische Verhandlungen mit Syrien unter Beteiligung Russlands und des Iran stand ebensowenig auf der Tagesordnung wie wirksame ökonomische Hilfen für Eritrea und Somalia. Die Lage im nahen Osten wurde ausschließlich unter militärischen Aspekten mit Gästen aus dem Irak erörtert und das von Merkel verkündete Ergebnis, man werde sich weiter mit “der Libyschen Regierung” verhandeln, zeigt, dass sie nicht einmal gemerkt hat, dass es dort inzwischen zwei Machtzentren gibt, die (noch) gegen den Islamischen Staat Widerstand leisten.

Armutsbekämpfung vage bestimmt

Viertens: Mit der gleichen Durchschlagskraft und Kompetenz ist offensichtlich das Thema Bekämpfung der Armut und des Hungers behandelt worden. Wie in der alten gescheiterten “Entwicklungspolitik” werden angeblich acht Milliarden an Hilfsgeldern in die Hand genommen, in welche Länder und in welche Projekte diese Gelder in welchem Zeitraum fließen sollen, war dem Vortrag der Kanzlerin nicht zu entnehmen. Da es keine strukturellen Änderungen z.B. der Agrarpolitik und Klimapolitik geben wird, handelt es sich hier offensichtlich um die Nennung ohnehin vorgesehener politischer Programme.

Klimaziele unverbindlich

Fünftens: Die vom Gipfel beschworenen Klimaziele sind so schön unverbindlich, (Eine Reduktion von 40-70% der CO – Immissionen bis Ende des Jahrhunderts, dass sie von allen unterschrieben werden können. Der Verlauf der Verhandlungen um eine Kohleabgabe in Deutschland zeigt, dass die Kanzlerin grün blinkt und rußschwarz abbiegt und Sigmar Gabriel von den Stromkonzernen lang gemacht werden wird. Damit steht auch die Reduktion der Klimakillergase in Deutschland auf der Kippe. Die angekündigte “Europäische Regelung” nach 2020 schafft der Kanzlerin, wie sie meint, Ruhe bis über die nächste Bundestagswahl hinaus. Im Übrigen darf bei der Atomenergie weiter jeder machen, was er will, die unwirtschaftlichste, subventionsabhängigste und gemeingefährlichste Energieerzeugung wird von Frankreich, England und Japan sogar mit neuen Reaktoren angefeuert. Energiepolitisch war dieser Gipfel eine Reise in die Siebiger Jahre des letzten Jahrhunderts.

Frauen und Männer sind unterschiedlich?

Sechstens: Frauen und Männder sind unterschiedlich – diese ganz neue Erkenntnis will die G7 laut Kanzlerin in ihrer Politik berücksichtigen und deshalb eine Konferenz über die positive Rolle und Stärkung der Frauen in der Wirtschaft gemeinsam mit den Entwicklungsländern abhalten. Das Thema ist verdienstvoll, allerdings fragt man sich vor dem Hintergrund, welchen Widerstand auch die Bundeskanzlerin in der Frage der Quotierung von Aufsichtsräten geleistet hat, wieso sich gerade die G7 Staaten berufen fühlen, hier eine führende Rolle einnehmen zu wollen.

TTIP beschleunigen

Siebtens: TTIP und andere demokratiefeindliche Abkommen hat der Gipfel – wen wundert es – zu beschleunigen gesehen. Die Fürsten der Industrienationen haben richtig erkannt, dass TTIP bis Ende des Jahres fertig verhandelt sein müsste, sollte es noch vor den Präsidentschaftswahlen in den USA unterzeichnet werden. Dass zu den umstrittenen Schiedsgerichten und viele andere umstrittenen Punkten kein inhaltliches Wort verloren wurde, kann nur als Zeichen interpretiert werden, dass man sich einig war, TTIP so unverändert und schnell wie möglich gegen den Widerstand der Bürger in Europa und gegen das Europäische Parlament durchzuziehen.

Organisierte Kriminalität kein Thema

Achtens: Korruption der FIFA – hier hat sich der Gipfel nach Worten von Merkel einer “tiefen und umfängliche Betrachtung des Pränomens” hingegeben.

Wirkliche Probleme einfach nicht behandelt

Letztens: Bei einer “tiefen und umfänglichen Betrachtung des Pränomens” G7-Gipfel kann der Eindruck nicht täuschen, dass “Viel Lärm um nichts” eine viel zu positive Umschreibung einer millionenschweren, aber inhaltsleeren Inszenierung vor alpanländischer Folklorekulisse wäre. Das schließt sogar den Protest mit ein: Der war bunt, phantasievoll und gewaltfrei und ganz nach dem Willen der bayerischen Polizei auch weit weg von denen, die gemeint waren und ihrer Parallelgesellschaft ungestört blieben.

Wäre die Lage in der Ukraine nicht so kritisch für Europa, würde nicht das Flüchtlingselend von Tausenden im Mittelmeer auf dem Spiel stehen, würden nicht völkermordende, rassistische Banden von Islamischem Staat bis Boko Haram viele Staaten im nahen Osten destabilisieren, könnte man vielleicht über derartige Treffen sogar lachen. Steuergelder sind schon für viel schlimmeren Unsinn wie etwa Kriege verschwendet worden.

Parallelgesellschaft in den Bergen

Leider ist die politische Realität eine andere – die neoliberalen Konzepte der Wirtschaftspolitik versagen weiterhin, die Kunjunktur der Welt schwächelt, Griechenland wird gegen jede Vernunft weiter zum Buhmann gemacht, der sich weigert, zu “sparen” obwohl bereits ein Drittel der Bevölkerung ohne Krankenversicherung lebt, Renten um 50% gekürzt worden sind und Armut wie Kapitalflucht dramatisch anwachsen. Die Erderwärmung nähert sich bis zum Ende des Jahrhunderts nach entsprechenden Prognosen nicht beherrschbaren 3%.

All dies scheint die Personen, die sich da in der Isolation der Berge getroffen haben, nicht zu erreichen. Sie zeigen deutliche Phänomene einer Parallelgesellschaft. Dafür sind sie nicht gewählt und deshalb sollten die Haushaltsmittel für solche Veranstaltungen ein für alle mal gestrichen werden.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net