Gestern war ich von einer guten gutverdienenden Freundin zum Abendessen ins “Vendome” (Schloß Bensberg) eingeladen. Ich selbst kann mir solche Lokale nur zum Mittagessen leisten. Denn unser Menü am Abend kostete rund 250 Euro (inkl. allem). Ist das dekadent? Nein. Was dort konsumiert wird, ist Kunst. Die meisten Kunstwerke sind entschieden teurer.
Kochkunst wie die von Joachim Wissler, ist wie die kulinarische Kunst ganz anderer Preislagen, ich nenne Jean-Marie Dumaine
oder Thierry Fournier, ein wertvolles und erhaltenswertes Kulturgut. Es ist vom Aussterben bedroht.
In Deutschland herrscht beim Essen der Geiz. Beliebtestes Kantinengericht ist CurrywurstPommes, gefolgt von SchnitzelPommes und Spaghetti Bolognese. Die Gastronomen müssen ihren Lebensunterhalt über die Getränkepreise verdienen. Wein kostet im Restaurant darum bei uns das 3- bis 10-fache wie in seinem Herkunftsland.
Darum bin ich meiner Freundin für ihre Einladung zu Wissler so dankbar. Dort gab es dreierlei Rehfleisch, wie ich es so zart und saftig auf die Sekunde gegart im Leben noch nicht gegessen habe – das war Kochkunst plus Hochtechnologie in einem. Das Minitässchen Boulliabaisse war eine Geschmacksexplosion mit Kindheitserinnerungen, als Mutter und Oma Suppen noch selbst zubereitet haben. Die Dessertgänge hörten gar nicht mehr auf, mit frischen Früchten, selbstgebackenen Keksen und Pralinen. Das junge Servicepersonal war absolut nicht steif, hatte uns (3 Pers.) sofort korrekt taxiert und ging unseren mglw. speziellen Humor voll mit, selbstverständlich immer auf Ballhöhe, wenn es um kulinarische Informationen ging. Und der blutjunge Sommelier, der die begleitenden Weine bestimmt hatte (Riesling aus Trittenheim, Gewürztraminer u.v.m.) wird noch eine große Karriere machen.
Es ist eine Freude, das als Gast erleben zu dürfen. Am Mittwochabend belief sich die “Auslastung” des Restaurants nach meinem Augenschein auf 40%. In der Küche ging es an diesem Abend bei einem kurzen Einblick auf dem Weg zur Toilette hochkonzentriert und erstaunlich ruhig zu. Diese Auslastung vermag den Aufwand, der gastronomisch aufgebracht werden muss, kaum zu refinanzieren. Das Vendome lebt, so vermute ich, in Notfällen wie so viele Gourmetrestaurants von der Querfinanzierung durch einen Mutterkonzern. Haus Lerbach, Tochter der gleichen Mutter, wurde bereits geschlossen. Es bedarf wohl der Erfindung eines kulturellen Denkmalsschutzes für die Erzeuger, Produzenten und Retter der Vielfalt von Spitzen-Lebensmitteln.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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