In einem Jahr findet die nächste Bundestagswahl statt und beim Blick auf den Zustand der Parteien muss sich Besorgnis breit machen. Es ist absurd bis zur Lächerlichkeit: Da mutiert eine kuriose Splitterpartei, einst von einem rechthaberischen und eitlen Professor gegründet, der nicht die Realitäten von zusammen wachsenden Nationalökonomien in Europa zur Kenntnis nehmen will, unterstützt von einem großmäuligen Unternehmer und Ideologen der Deregulierung zum Auffangbecken für Rechtsextremisten jeder Couleur. Die Partei wird angeführt von zwei Frontfrauen, deren Weltbild dem meiner Tante Erna entspricht, Jahrgang 1914, einst Mitglied im BDM (Bund Deutscher Mädel) und Absolventin der NS- Bräuteschule, welches sie unverändert mit ins Grab nahm. Petry und Storch möchten den Begriff “völkisch” mit neuem Leben erfüllen, Frauen sollen keusch sein, heiraten und gehören an den Herd – Petry und Co selbst glauben diesen Blödsinn nicht und führen ihn durch die eigene Lebensführung ad absurdum.

Die Programmatik ist primitiv: Arme Zuwanderer, nicht die Reichen, sind an der sozialen Ungerechtigkeit schuld. Das Land wird überfremdet, der Islam gefährdet das “christliche Abendland”. Homosexuelle, Schwarze, Minderheiten und Toleranz werden, “dem Volk” zwangsweise übergestülpt. Das “Volk” besteht in Wirklichkeit aus jenen Pegida- Anhängern, die keine Christen sind, lieber nicht arbeiten, Hartz vier empfangen, Bier saufen und in Horden “Deutschland den Deutschen” grölen, Flüchtlingshelfer und Flüchtlingsheime und rechtschaffene Bürger angreifen. Man verunglimpft Toleranz, Liberalität und die Freiheitsrechte des Grundgesetzes. Wer nicht denkt wie das angebliche “Volk” und dessen Mist verbreitet, ist “Lügenpresse”. Von solch hirnlosen Schwachköpfen lassen sich gestandene demokratische Parteien, die (außer den Grünen) alle auf rund 70 Jahre Geschichte in der Bundesrepublik zurückblicken, seit Monaten unter Druck setzen?

Wir leben im Jahr 2016 – Unfassbar! Ebenso unfassbar, dass diesen Rattenfängern alle Lügen, vor allem die, die Flüchtlinge bekämen mehr vom Staat, als deutsche Sozialhilfeempfänger, geglaubt werden. Und dass es Medien gibt, die ihren Absurditäten harte, aber faire Chancen bieten, sie zu verbreiten.

Da ist die SPD, die seit Monaten mit knapp über 20% in den Umfragen vor sich hin dümpelt. Inhaltlich weiß sie nicht, wie sie sich positionieren soll. Der große Vorsitzende Sigmar Gabriel ist zu feige, auszusprechen, was alle spüren: Dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, weil auch die Sozis nichts dagegen tun. Sie schlingern zwischen TTIP und CETA, die beide gleich mies sind weil sie Schiedsgerichte jenseits der rechtsstaatlichen Ordnung, geheime Hinterzimmerverfahren von Konzernen gegen Staaten erlauben, das Vorsorgeprinzip im Umwelt- und Verbraucherschutz durchlöchern, Tarifverträge und Sozialstandards gefährden und sogar die Verfassung aushebeln, wenn einmal privatisierte Kommunal- oder Staatsunternehmen nicht mehr vergesellschaftet werden dürfen. Gabriel selbst hält sich in Sachen Kanzlerkandidatur bedeckt und lässt sich von der AfD in Sachen “Obergrenze” für Flüchtlinge, über den Acker treiben.

CSU-Chef Horst Seehofer, der längst den Zenit seiner Popularität überschritten hat, benimmt sich wie ein ungezogenes Oberschichtkleinkind in der Trotzphase, dem nie Grenzen aufgezeigt wurden. Er fordert gegen Grundgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention gebetsmühlenartig die “Obergrenze” und bestätigt damit die Lügen der AfD. Die CSU nährt wider besseres Wissen die AfD-Märchen, der Staat tue mehr für Flüchtlinge als für sozial Schwache – noch eine Lüge. Seehofer ist getriebener des eigenen Ehrgeizes, mindestens genauso populistisch wie die Neonazis zu sein, ohne zu begreifen, dass ohne seine ständige Desavouierung und Intriganz gegen die Kanzlerin der Spuk der Populisten wahrscheinlich schon vorbei wäre. Er kann sich nicht damit abfinden, weder je Kanzlerkandidat der CSU zu werden, noch der Popularität seines Übervaters Frank-Josef Strauß das Wasser zu reichen. Denn der hatte ihm Entscheidendes voraus: Intelligenz.

Die Kanzlerin wiederum sieht sich immer stärker unter dem Druck einer verunsicherten CDU, deren Basis sich inzwischen dem bayerischen Heckenschützen und anderen Wadenbeißern und der Vernunft und Loyalität zu Merkel immer weniger entscheiden kann. Die Parteibasis glaubt nicht den vernünftigen Abgeordneten, die nach der Wahl in Meckpomm endlich einmal aufgezählt haben, was diese Regierung trotz Flüchtlingskrise und Entsolidarisierung der EU durch Orban und andere Vertragsbrüchige geschafft hat, was durch das millionenfache ehrenamtliche Engagement und die mitmenschliche Hilfe durch Solidarität in diesem Land geleistet wurde: Nein sie lassen sich durch nationalistische Nihilisten, mit Vorurteilen belastete Rechthaber und höchst unchristliche Kampagnen weiter verunsichern. Der Satz “wir schaffen das” ist so wahr, wie am ersten Tag, als Merkel ihn ausgesprochen hat, denn alles andere wäre eine Kapitulation des Staates vor einer ganz normalen Herausforderung gleich gekommen. Er ist weder links, noch außergewöhnlich, noch besonders human. Er ist einfach nur richtig. Für Rückzugsgefechte gibt es keinen Grund. Die Kanzlerin tut das und hat es ausgesprochen, worauf sie ihr Amtseid verpflichtet. Schämen müssen sich alle, die das in Zweifel ziehen, denn sie kritisieren nicht nur Merkel, sondern auch eine verfassungstreue Amtsführung. So weit ist es schon gekommen.

Die Grünen haben es ebenso versäumt, das Heft der Handelnden in die Hand zu nehmen. Die alten “Recken” Trittin, Roth, Ströbele und Künast haben ein Vakuum hinterlassen. Die Grünen leisten dem Mainstream punktuell Widerstand – besonders Cem Özdemir als Parteivorsitzender mit Migrationshintergrund ist dafür prädestiniert, hat in der Flüchtlingskrise wie in der Auseinandersetzung mit Erdogan Kurs gehalten. Aber statt politisch zu gestalten, beschäftigen sich die Grünen lieber monatelang mit sich selbst und veranstalten eine “Urwahl” des Spitzenkandidaten – ein sinnloses Ritual zur Selbstbefriedigung innerparteilicher Flügelarithmetik! Anstatt zu gestalten, anzugreifen, mit dem Pfund des Parteivorsitzenden zu wuchern, mit einer Persönlichkeit anzugreifen, die mit allen ihren Fehlern kompromisslos für Bürgerrechte steht und obendrein noch etwas von Wirtschaft versteht, verzetteln sie sich in einer Nabelschau, die außerhalb niemanden interessiert. So kann man erfolgreich die eigene Wirkungslosigkeit inszenieren. Zu Getriebenen werden und die Chance, gesellschaftlich zu treiben, versaubeuteln.

Die “Linke” hat eine Zeitlang Kurs gehalten gegen den Rechtspopulismus. Doch dann entdeckte angesichts der Wahlergebnisse im Osten gerade die Protagonistin der angeblich Linken der Linken, selbsternannte Parteiikone Sarah Wagenknecht, einen “linken Populismus” und ließ sich von der AfD – genau wie ihr Lebensgefährte Lafontaine während der Asylkampagne der Rechtsextremisten in den neunziger Jahren – dazu treiben, in den Chor der Populisten zynisch einzustimmen und Merkels Flüchtlingspolitik als Versuch des Kapitalismus zu diffamieren, die Löhne prekär beschäftigter Arbeitskräfte noch weiter zu drücken. Das passt zur Lüge der AfD, Flüchtlinge nähmen Eingeborenen die Arbeitsplätze weg. Ebenso dumm und rassistisch wie die Hetze der Rechtspopulisten.

Die kleine FDP, gebeutelt von Wahlen, dem kompromisslosen Lobbyismus von Westerwelle und sich mühsam erholend in der außerparlamentarischen Opposition, gehört unerwartet zu den wenigen, die sich nicht von der allgemeinen Stimmung treiben lassen. Sicher, auch Christian Lindner kritisiert die Kanzlerin für ihre Flüchtlingspolitik, aber ungewohnt sachlich und auf eine eindeutige Regelung und Förderung der legalen Einwanderung hin gerichtet.
Die Partei hat sich in Berlin von der AfD klar abgegrenzt. Der frustrierte Abgesang von Lindners Rivalen Papke vom rechten Flügel in NRW ist nicht zu unterschätzen. Noch ist die FDP lange nicht bereit für eine sozialliberale Politik, aber Bündnisse wie in Rheinland-Pfalz zeigen eine Lösung aus der tödlichen Umarmung der CDU und eine Chance zur Rückbesinnung auf etwas mehr Liberalismus. Die FDP wird sich entscheiden müssen, ob sie sich wie in der Vergangenheit rechts von der CDU positioniert oder für eine fortschrittliche Bürgerrechtspolitik mit SPD und Grünen öffnet. Sie scheint die einzige der traditionellen Parteien zu sein, die nicht von der AfD getrieben wird und damit sogar Erfolg hat. Das sollte zu denken geben.

Dieser Text erscheint parallel bei rheinische-allgemeine.de .

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net