Steine ins Wasser werfen, das kann er der Horst. Welche Wellen die erzeugen, interessiert ihn weniger. Es geht ihm ja nicht um die Sache, sondern er instrumentalisiert sie nur für den öffentlichen Effekt.

Dass es Bedarf nach tiefgreifenden inhaltlichen und strukturellen Umbauten des öffentlich-rechtlichen Mediensektors gibt, ist auch in Fachkreisen unumstritten. Die können aber strukturell nicht von ihm selbst ausgehen – im Gegenteil. Überlässt man ihn sich selbst, wird er seine eigene Implosion herbeiführen.
Der Sektor ist eine deutsche Besonderheit. Er hat historische Verdienste, die noch heute spürbar sind – demokratisch wertvolle Nischen hat er behalten, auch sozialpolitisch ist nicht gering zu schätzen, dass Deutschland vermutlich die größte nationale Free-TV-Landschaft hat.

Alle TV-Sender laufen aber mittlerweile gesellschaftlich und technologisch hoffnungslos hinter der Musik her, weil sie in ihren eigenen Strukturen keine intellektuellen Analyse-Potenziale vorhalten, weil sie glauben, die kosteten ja nur Geld.
Intellektuelle eines ganz anderen TV-Zeitalters gingen in Rente oder starben weg. Horst Königstein/NDR und Silvia Koller, Redakteurin der BR-Tatorte, waren Charaktere, nach denen wir uns noch lange zurücksehnen werden. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben jetzt in ihrer Personalstruktur ein ganz eigenes Demografie-Problem, das sie strukturell unfähig macht, die gegenwärtigen und zukünftigen Strategiefragen zu beantworten. Von der Medienpolitik von CDU und SPD werden sie ausserdem aufgrund des Lobbydrucks der Altmedien-Verleger an technikstrategischem Fortschritt noch mehr gehindert, als sie es ohnehin schon sind. Da die Verlegermacht in Deutschland aufgrund des Bedeutungsverlustes ihrer Zeitungen allerdings sinkt, ist das umkehrbar. Vermutlich gehen von dem neuen ARD/ZDF-“Funk”-Projekt mehr Gefahren für die Verleger und Medienmilliardäre aus, als von der beklagten “Tagesschau-App”. Aber das werden die auch erst merken, wenn es zu spät ist. Denn auch in ihren Verlagshäusern ist an intellektuellen Strateg*inn*en immer gespart worden.

Impulse müssen von woanders kommen.
Im parteipolitischen Raum wäre das die klassische Aufgabe von Opposition. Oder zumindest von ihren Stiftungen. Wer hat einen Draht zum technikaffinen jungen Publikum? Ihre politische Relevanz wächst nur langsam, weil sie den Pillenknick kombiniert mit der Aids-Angst repräsentieren. Mehr werden sie nur, wenn wir mehr Flüchtlinge zu uns lassen. Auf jeden Fall sind sie “werberelevant”.
Die Parteien haben exakt das gleiche Nachwuchsproblem wie die öffentlich-rechtlichen Medien. Auch der Implosionsprozess läuft schon parallel. Er zieht sich durch die gesamte korporatistische Demokratie von Kirchen, Gewerkschaften, Karnevals- und Schützenvereinen. Nicht allem davon muss man hinterhertrauern. Darum ist nicht nur die parteipolitische Besetzung der Aufsichtsgremien überprüfungsbedürftig, das hat das Bundesverfassungsgericht schon in dankenswerter Klarheit erledigt. Auch die Zusammensetzung der “gesellschaftlich-relevanten Gruppen” ist ultraveraltet. Sie verfolgen ihre Lobbyinteressen und lassen sich von den Parteien instrumentalisieren. Mit dem Publikum haben sie nur wenig zu tun. Gesellschaftliche Veränderungen der letzten 50 Jahre repräsentieren sie nicht.

Nötig wäre ein Diskurs-Projekt für die nächsten 3-5 Jahre.
Mögliche Bestandteile:
Entwürfe für öffentlich-rechtliche Programm-Relaunches
Technische Strategieentwicklung für die Zeit nach dem, was wir heute noch “Fernsehen” nennen
welche Körperschaften werden dafür überhaupt noch gebraucht?
mit welcher – auf jeden Fall viel mehr! – Bürger*innen*beteiligung? Nicht nur Direktwahl von Gremienmitgliedern, auch Mitbestimmung am Programm, bei Budgetprioritäten, bei Ideenentwicklung.
Öffnung der Apparate für Mitmachprojekte, Ausschreibung von Kreativitäts-Wettbewerben, nicht nur wie bisher an die üblichen Verdächtigen der Branche (“Vitamin B”), sondern an das ganze Publikum.
Identifikation gesellschaftlicher Kräfte, die daran ein Interesse haben, Entwicklung eines entsprechenden Diskurses mit ihnen gemeinsam.
Ausbau der Kooperation mit Hochschulen (Film, Kunst, Journalismus, etc.) und Entwicklung von sozialen Beschäftigungsmodellen in den Sendern abseits lebenslanger beamtenähnlicher Tätigkeit, die zwar eine materielle soziale Errungenschaft ist, aber praktisch heute lebensfremd. Das muss im Dialog mit und nicht gegen die Gewerkschaften entwickelt werden.

Ein katastrophal vergebene Chance war der Umgang “unseres” heimischen WDR mit den “Radiorettern”, einer weit ausgreifenden Protestbewegung gegen eine Programmreform der Radiowelle WDR3 vor wenigen Jahren. Statt mit diesen Bildungsbürger*inne*n in einen Dialog zu treten, wurden sie als konservativ/reaktionäre Veränderungsfeinde denunziert und ignoriert. Tatsächlich handelte es sich hier aber um den sozialen Kern der überlebenden Fans des öffentlich-rechtlichen Radios. Sie waren noch nicht verloren. Sie hätten für Diskurs und Engagement gewonnen werden können, wenn die WDR-Direktion nicht so viel Angst vor ihnen gehabt hätte. Herausgekommen ist eine Landschaft der gegenseitigen sozialen Verbitterung und Zuhörer*innen-Gewinne des Deutschlandfunks. Ein Beispiel, warum die Reform/Revolution aus den Sendern selbst nie kommen wird.

Öffentlich-rechtliche Medien sind aber nur zu retten, wenn es einen aktiven Kern in der Bevölkerung und im Publikum gibt, der sie als seine Sender, als seine Medien ansieht. Und dieses Gefühl wird sich nur noch vermitteln, wenn es praktische soziale Prozesse gibt, in denen es gelebt werden kann.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net