Während der Syrien-Konferenz in Brüssel hat es einen Giftgasangriff auf die Stadt Chan Scheichun in einer Provinz gegeben, die von den islamistischen Terroristen der Gruppe “Al Nusra Front” – Ableger der Al Kheida Bin Ladens – kontrolliert wird. Die gesamte EU und der Bundesaußenminister und auch die USA im UN-Sicherheitsrat reagierten auf den angeblichen Giftgasangriff mit schnellen Schuldzuweisungen an die Adresse Assads und unverhohlen auch politischen Angriffen auf Russland und den Iran. Die Russen erklärten vor dem UN-Sicherheitsrat, syrische Kampfflugzeuge hätten ein Giftgaslager der Terroristen getroffen. Was davon zutrifft, werden wir wahrscheinlich nie erfahren, denn nirgendwo wird so viel gelogen, wie im Krieg. Wer das Buch von Egmont R. Koch und Fritz Vahrenholt “Seveso ist überall” in den achtziger Jahren gelesen hat, der weiss zumindest, dass das nach Meldungen angeblich verwendete Kampfgas Sarin, nur in wenigen Gramm vom Flugzeug aus in der Atemluft verteilt, nicht fünfundsiebzig sondern in einem urbanen Umfeld eher fünfunfsiebzigtausend oder mehr Menschen töten würde. Die Zahl der Toten ist für Giftgasopfer eher untypisch niedrig – so zynisch dies klingen mag.

Eines klar vorweg: Wer auch immer diesen miesen, hinterhältigen Angriff zu verantworten hat, ist ein politisch skrupelloser Mörder. Leider gibt es davon im Syrienkrieg auf allen Seiten viel zu viele.

Denn anders als vielleicht zu Zeiten den “kalten Krieges” und vielleicht im Falle Nord- und Südkorea gibt es in Syrien nicht “gut” und “böse”, sondern nur “schlimm” und “noch mehr schlimm”. Die sogenannte “Opposition” im Lande sind neben dem IS vor allem brutale, von Saudi-Arabien und Katar mit Waffen ausgestattete Islamisten oder brutale, vom Westen mit Waffen ausgestattete Islamisten. Es ist etwas mehr als zwei Wochen her, als sich diese Gruppen weigerten, an einer Konferenz aller Kriegsparteien teilzunehmen. Als im “kalten Krieg” aufgewachsener Politikbeobachter, gewohnt in der Analyse von gesagtem und nicht gesagtem stechen mir die Zeitgleichheit des Angriffs, die doch sehr zweifelhafte Qualität der Zeugen, die mein “Bonner Generalanzeiger” heute nicht als Al Nusra, sondern als “Aktivisten” bezeichnet und der propagandistische Erfolg aus Sicht der sogenannten “Opposition” doch außerordentlich deutlich ins Auge.

Und der liegt darin, dass nun die EU Außenminister allen voran “Außenpolitik-Lehrling” Sigmar Gabiel zum wiederhoten Mal ihre völlig unrealistische Position der “Bestrafung” oder Absetzung Assads reiten und sich nun – noch schlimmer – auch die Trump-Administration auf diese Position hin bewegt zu haben scheint. Ein General der Bundeswehr-Hochschule erklärte den Sachverhalt gestern in WDR 5 weitaus nüchterner: In Syrien sei es unmöglich, “zwischen schlimm und mehr schlimm” zu entscheiden, deshalb verbiete sich von vornherein die Parteinahme für eine Seite. Nur wenn man alle, wirklich alle Parteien an den Tisch einer Friedenskonferenz bekomme, wäre ein solcher auch zu erreichen. Alles andere – und das Fernbleiben der sogenannten “Rebellen” oder anderer Terrristen wie der Al Nusra verlängern den Krieg weiter und schaden dadurch der Zivilbevölkerung. Recht hat der Mann. Nicht wortschwallige Verurteilungen und Schuldzuweisungen, wie wir sie jetzt im UN-Sicherheitsrat erleben durften, sondern pragmatisches Zwingen aller Beteiligten, und seien sie noch so große “Schweine” an den Verhandlungstisch können das Leid und die Massaker an den leidtragenden Zivilisten beenden. Jeder Tag, der vergeht, ohne dass der “Westen” auch die angeblich “gemäßigten” islamistischen Mörderbanden, die er im Wahn des “arabischen Frühlings” mit Waffen und militärischen Beratern gefördert hat, an den Verhandlungstisch zwingt, macht er sich am Morden mitschuldig.

Hans-Dietrisch Genscher und Egon Bahr, Henry Kissinger und Andrej Gromyko, Jitzchak Rabin und Anwar el Sadat hätten das genau so gesehen. Weil sie wussten, dass Krieg immer mit Brutalität, Grausamkeit, Entmenschlichung, Vergewaltigung, Mord und Terror einher geht. Die “Haager Landkriegsordnung von 1851”, die einst Regeln beschloss, um Opfer der Zivilbevölkerung europäischer Kriege zu mindern, Kriegsgefangene fair zu behandeln und Verwundete zu versorgen, ist internationales Recht – aber sie wird kaum beachtet. Schon 1904 wurden “Hottentotten” in Südwestafrika und aufständischer “Boxer” in China trotzdem von den Kolonialtruppen Deutschlands, Englands und Frankreichs und der Niederlande ausgerottet und massakriert. Der IS mordet, die vom Westen unterstützten Islamisten stellen ihre Mörser und Raketenwerfer vorzugsweise auf Schulhöfen, neben Kindergärten und Krankenhäusern auf und die Syrische Armee bombardiert diese. Das schlimmste daran ist, dass das nicht klar ausgesprochen, sondern ideologisch im Propagandakrieg verschleiert wird. In Vietnam hatten noch unabhängige Journalisten Zugang – heute werden die von den Fanatikern beider Seiten getötet, damit keiner die unabhängige Wahrheit berichten kann. Da hilft nur eine Erkenntnis: Es gibt keine “sauberen” Kriege, auch wenn uns das seit dem Golfkrieg der USA 1993 immer wieder von interessierten Kriegsparteien versucht wird, zu suggerieren. Es gibt keine gerechten Kriege und die einzige Alternative zum Krieg sind politische Verhandlungen. Das gilt in Syrien, das gilt noch dringender für die Ukraine – und auch für Nordkorea.

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Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net