Das sozialpolitische Profil der neuen Regierung in Paris
Von Peter Wahl
Der französische Präsident hat seine Regierungsmannschaft zusammengestellt. Die Zusammensetzung der Ministerriege lässt einige Rückschlüsse auf den zukünftigen Kurs zu.
Einschränkend muss man allerdings festhalten, dass das Kabinett sich nach der Wahl zur Nationalversammlung (11. und 18. Juni) schon wieder ändern könnte. Dann nämlich, wenn Macron keine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich bekommt. Er wäre dann zur Kohabitation gezwungen und müsste neben programmatischen Kompromissen auch personelle Zugeständnisse machen. Das kann so weit gehen, dass er einen Premierminister ernennen muss, den ihm eine Parlamentsmehrheit, anderer politischer Couleur diktiert.
Derzeit ist noch völlig offen, wie die Wahlen zur Nationalversammlung ausgehen. Fest steht auf alle Fälle, dass es für Macron nicht so leicht wird, wie bei der Präsidentschaftswahl, bei der mehr als die Hälfte seiner Wähler nur deshalb für ihn gestimmt haben, weil sie LePen verhindern wollten.
Vor diesem Hintergrund ist klar, dass die Zusammensetzung der Regierung ihrerseits für den Wahlkampf genutzt wird. So wird die Hofberichterstattung der großen Medien in Paris nicht müde, immer wieder zu verkünden, wie jung, dynamisch und innovativ der Neue sei. Übertroffen werden sie davon nur noch von ihren deutschen Kollegen. So erfahren wir z.B. unter dem Titel „Der Jupiter unter den Präsidenten“ in tagesschau online: „Seine geliebte Großmutter nannte den jungen Macron ‘L‘ Elu’ – den Auserwählten.“ Ein Monument kritischen Qualitätsjournalismus! Dabei hat unser Erlöser nicht mehr getan, als das deutsche Modell der großen Koalition abzukupfern. Am deutschen Wesen soll jetzt Frankreich genesen.
Große Koalition
Am deutlichsten ist dies bei der Besetzung der wichtigsten Ressorts. Eine Regierung ist bekanntlich keine basisdemokratische Veranstaltung, sondern klar hierarchisch strukturiert. Neben dem Chef gehören die Ressorts Wirtschaft und Finanzen, Militär, Außenpolitik und Inneres zum machtpolitisch harten Kern. Schauen wir uns diese Ressorts einmal an.
Ministerpräsident ist Edouard Philippe, vormals Bürgermeister von Le Havre und Mitglied der konservativen Partei Les Républicains. Philippe verkörpert in seiner Person geradezu idealtypisch die große Koalition, denn er begann seine Karriere in der Sozialistischen Partei, um dann Ende der 90er Jahren zu den Konservativen überzulaufen. Seine Ernennung zielt natürlich auch darauf, das konservative Lager zu spalten und Wähler zu Macron herüberzuziehen. Das ist aber nicht recht gelungen, da er bestenfalls zur zweiten Riege der Républicains gehört. Bisher stehen das rechte Lager und seine Spitzenfunktionäre einigermaßen geschlossen da.
Regierungserfahrung hat er im Umweltministerium unter Sarkozy als Mitarbeiter des damaligen Ministers Juppé gesammelt. Von der Ökologie ist er bruchlos in das Management des AKW-Betreibers AREVA gewechselt. Er hat seither alle großen Umweltprogramme bekämpft und sich den Ruf eines knallharten Anti-Ökos erworben. Bis zur Veröffentlichung des Korruptionsskandals des konservativen Präsidentschaftskandidaten Fillon gehörte er zu dessen Unterstützern. Zu seinem jetzigen Präsidenten sagte er noch Anfang des Jahres: „Macron verspricht alles und hält nichts … er ist zynisch wie ein alter Routinier“. Eine bemerkenswerte Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit.
Finanz- und Wirtschaftsminister in einem ist Bruno LeMaire. Er kommt aus den Reihen der Konservativen und war unter Sarkozy drei Jahre lang Landwirtschaftsminister. Er hat an den Vorwahlen der Republikaner teilgenommen, bei denen er mit 2,4% scheiterte. Hauptpunkte seines Programms waren damals Kürzungen der öffentlichen Ausgaben um 80 bis 90 Milliarden Euro und die Streichung einer halben Million Beamtenstellen, sowie die Erhöhung des Rentenalters von derzeit 62 auf 65 Jahre. Ein Bruder im Geiste von Wolfgang Schäuble.
Auch gegenüber den Finanzmärkten hat LeMaire sich bereits drei Tage nach Amtsantritt einige Sporen verdient: er hat schon mal die Verhandlungen zur Finanztransaktionssteuer (FTS), die beim ECOFIN am 22. Mai nach jahrelangen zähen Verhandlungen eigentlich abgeschlossen werden sollten, verschieben lassen. Begründung: er müsse sich erst mit der Materie vertraut machen. Tatsächlich hatte Macron schon im Wahlkampf offen gesagt, die FTS sei „keine Priorität“ für ihn. Und da sich derzeit Paris und Frankfurt heftig um die Beute aus dem Brexit, d.h. um das aus der City abwandernde Geschäft streiten, könnte das als Vorwand dienen, das einzige halbwegs progressive Projekt der Ära Juncker abzuschießen oder zumindest total zu verwässern.
Innenminister und Außenminister dagegen kommen vom Hollande-Flügel der Sozialistischen Partei (PS). Jean-Yves Le Drian, unter Hollande Verteidigungsminister, wurde jetzt Außenminister. Er hat das Verteidigungsressort einigermaßen geräuschlos geführt. Aufsehen erregte er nur, als er nach dem Sieg des Parteilinken Hamon in den Vorwahlen als erster Minister Hollandes öffentlich ankündigte, Macron zu unterstützen. Da im französischen Präsidialsystem die Präsidenten immer die wichtigsten Themen der Außenpolitik an sich gezogen haben, wird auch Le Drian keine großen Möglichkeiten zur Eigenprofilierung haben. So wird schon der Besuch Wladimir Putins in Paris in der kommenden Woche eine große Show und Wahlkampfnummer für Macron werden.
Der Innenminister, Gérard Collomb, PS, vormals Bürgermeister von Lyon, ist angesichts der terroristischen Anschläge, aber auch wegen zu erwartender Sozialproteste gegen die Austeritätspolitik ein äußerst wichtiger Mann der neuen Regierung. Auch er hat früh mit seiner Partei gebrochen und wurde Macron-Unterstützer der ersten Stunde. Dem Schriftsteller Luc Rosenzweig zufolge habe Collomb in Lyon mit einer Allianz aus Sozialdemokratie und Unternehmern die Stadt bereits seit Jahren zum „Laboratorium des Macronismus“ gemacht.
Das Verteidigungsministerium wird von einer Frau geführt, Sylvie Goulard, Abgeordnete im Europa-Parlement der liberalen Partei MoDem (Mouvement démocratique). Zusammen mit Daniel Cohn-Bendit und Guy Verhofstadt gründete Goulard 2010 die sog. Spinelli-Gruppe, eine Vereinigung fanatischer Europhiler, die am liebsten morgen die Vereinigten Staaten von Europa ausrufen würden. Mit ihr ist damit zu rechnen, dass Frankreich die vom Bratislava-Gipfel 2016 beschlossene Verstärkung der Militarisierung der EU energisch vorantreibt – zumindest so weit, wie USA und NATO das zulassen.
Eine radikale Mitte
Insgesamt kommen vier Minister der neuen Regierung vom PS. Zwei weitere, sowie der Ministerpräsident kommen von den Republikanern und drei aus MoDem. Zwei Ministerien bekommt die kleine linksliberale Partei Parti Radical de Gauche und die übrigen elf kommen aus dem, was die Spin-Doktoren Macrons als „Zivilgesellschaft“ bezeichnen. Damit ist aber nicht die Welt der sozialen Bewegungen und NGOs gemeint, sondern eine Weltmeisterin im Fechten, diverses akademisches Personal sowie Unternehmer und Manager ohne Parteibindung.
Politisch konstituiert sich hier eine radikale Mitte an der Spitze der Gesellschaft, wie wir sie aus Deutschland schon seit einem Jahrzehnt kennen.
Besonders großes Aufhebens machen die Spin-Doktoren davon, dass die Hälfte des Kabinetts aus Frauen besteht, auch wenn die meisten davon nur zweitrangige Ressorts betreuen. Dass das nicht gerade ein emanzipatorischer Gipfelpunkt sein muss, zeigt die Sozialministerin, Muriel Pénicaud. Sie war Chefin der Unternehmensberatung Business France. Davor arbeitete sie u.a. bei dem Rüstungsunternehmen Dassault, der Telekommunikationsfirma Orange und dem Yoghurt-Produzenten Danone. Bei Danone, wo sie von 2008 bis 2013 Personalchefin war, erregte sie internationales Aufsehen, als sie die Entlassung von 900 Beschäftigten gegen heftigen Widerstand der Betroffenen durchpeitschte. Ihr Büroleiter, Antoine Foucher passt gut zu ihr. Er war u.a. stellvertretender Direktor bei MEDEF, dem Dachverband der französischen Unternehmer, und wird als Mastermind die erste große „Reform“ Macrons anführen: die Liquidierung der Flächentarifverträge. Macron hat die Attacke gegen einen der Stützpfeiler gewerkschaftlichen Einflusses für September angekündigt, und zwar per Dekret.
Agnès Buzyn, Gesundheitsministerin geht aus ihrer Zeit als Chefin des Nationalen Krebsinstituts der Ruf als Schutzengel der Pharmaindustrie voraus. Kritik an den Konzernen bügelt sie so ab: „Ich habe in Sachen pharmazeutische Industrie nie mit den Wölfen geheult.“
Dass die Transportministerin Elisabeth Borne sich in der Vergangenheit in verschiedenen Funktionen als glühende Anhängerin von Privatisierungen im ÖPNV und bei der Bahn profilierte, und Kultusministerin Françoise Nyssen Chefin eine Großverlages ist, macht das Bild vollständig.
Hinter dem aufgebrezelten Image von Dynamik und Innovation steckt also alles in allem doch nur eine uralte Sache: Klassenkampf von oben.
Dieser Text erschien bereits bei Makroskop, Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Update 25.5., Anm. d. Red.: die These dieses Beitrages wird gestützt durch eine Recherche des französischen Onlinemagazins Mediapart (im Original hinter Paywall), die hier von Telepolis zusammengefasst wird.
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