von Alexandra Geese

„Ich liebe Deutschland. Deutschland hat Demokratie. Sehr schön. Sehr gut. Hier Freiheit, auch für Frauen. Frauen frei. Ich liebe Deutschland. Ich sage immer meinen Brüdern, Deutschland sehr schön.“ Nayla (Name geändert) stammt aus dem Iran. Nayla ist in ihrer Heimat drei Jahre zur Schule gegangen und tut sich noch schwer mit der deutschen Sprache. Sie ist sechsundvierzig Jahre alt und arbeitet seit vierzig. Als Angehörige der kurdischen Minderheit hat sie mehr Diskriminierung erlebt als die meisten Menschen ertragen können. Aufgrund ihrer ethnischen Herkunft verfolgt, als Mädchen seit der Kindheit zur Arbeit gezwungen. Putzen, Kochen, Waschen, Nähen, Sticken, Knüpfen — erst für die eigene, dann für die Schwiegerfamilie. Das Geld verschwindet in den Taschen der Männer. Nach der letzten Demütigung verlässt sie den Mann und schließt sich den kurdischen Peschmerga im Irak als Krankenschwester an. Dort erlebt sie Gemeinschaft und Gleichberechtigung, bis die iranische Polizei, die im Iran bereits drei ihrer Brüder ermordet hat, ihr auch jenseits der Grenze nachstellt.

Die Peschmerga organisieren die Flucht nach Schweden, zu Fuß. In Ungarn bricht der Fuß, in Deutschland kann sie nicht mehr weiter. Nayla lebt im Flüchtlingsheim, wo sie ein Zimmer mit zwei anderen Frauen teilt, und besucht den Deutschkurs. Sonntags fährt sie zum Einkaufen auf den Markt nach Tannenbusch, der billiger ist als Aldi und Lidl. Nayla ist glücklich und schmiedet Zukunftspläne. Ausbildung, Arbeit, vielleicht einen deutschen Mann heiraten.

Wenn jemand Herrn de Maziere erklären könnte, was Deutschland ausmacht, dann wäre es Nayla. Deutschland ist Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung für Frauen. Deutschland ist, dass alle ein Dach über den Kopf und Essen bekommen. Wir würden sagen: das Grundgesetz. Das ist deutsche Leitkultur. Darauf sollten wir stolz sein. Ob wir uns die Hand oder Wangenküsschen geben, ist dabei irrelevant. Niemand könnte es dem Bundesinnenminister ausdrucksvoller erklären als Nayla. Und so viel schlechter als „Wir sind nicht Burka“ ist ihr Deutsch auch nicht.

Es ist doch wunderbar, dass Deutschland heute wie eine Insel der Stabilität, der Besonnenheit und der Stabilität aus einem Ozean des nationalistischen Populismus herausragt. Wenn ich diese historische Wende vom Dunkel zum Licht betrachte, erfüllt mich das jedes Mal, glauben Sie mir, mit echter und großer Freude…
(Timothy Garton Ash zur Verleihung des Karlspreises am 25. Mai 2017)

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